Nummer 416 - Februar 2009 | Queer

„Die Regierung tut so, als gebe es keine Probleme“

Ein Interview mit den GenderaktivistInnen Jorge López und Zulma Robles aus Guatemala

Diskriminierung und oft tödliche Gewalt prägen in Guatemala den Alltag von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern (LGBT). Für die Achtung ihrer Menschenrechte arbeitet die Nichtregierunsgorganisation OASIS (Organisation zur Unterstützung einer integralen Sexualität um AIDS entgegenzutreten). Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit zwei AktivistInnen über trans- und homophobe Morde, die Einstellungen von Staat und katholischer Kirche und die Folgen des Bürgerkrieges.

Katja Schatte

Sie leisteten mit OASIS in den ersten Jahren ausschließlich Präventions- und Aufklärungsarbeit im Bereich HIV/AIDS. Seit Ende der 1990er Jahre liegt der Schwerpunkt der Arbeit verstärkt darin, die Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern (LGBT) zu fördern. Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Jorge: Was wir zu Beginn unserer Tätigkeit machten, ist natürlich sehr wichtig: Kondome verteilen, HIV-Tests, mit den Menschen über ihr Sexualverhalten sprechen. Aber diese Arbeit kratzt nur an der Oberfläche des Problems. In eigenen Studien haben wir festgestellt, dass ein Anteil von 18,3 Prozent der schwulen und bisexuellen Männer sowie Transgendern mit dem HI-Virus infiziert ist. Eine wirkliche HIV-Prävention impliziert aber nicht nur Aufklärung. Vielmehr müssen die gesellschaftlichen Vorurteile beseitigt werden, die etliche Menschen als einzige Einkommensquelle die Sexarbeit lassen.

Wie äußerten sich die Vorurteile gegenüber der LGBT-Community in der Vergangenheit?
Jorge: Hier spielte der Bürgerkrieg in Guatemala (1960 bis 1996, Anm. d. Red.) eine entscheidende Rolle.
Die LGBT-Community wurde in jener Zeit massiv unterdrückt. Dies hatte viel zu tun mit der Position des guatemaltekischen Militärs, dessen Mitglieder während der Zeit des Bürgerkrieges tun konnten, was sie wollten. Sie mussten keinerlei Sanktionen fürchten. Schwule und Lesben wurden von ihnen eingeschüchtert, damit sie nicht an die Öffentlichkeit gingen. Die Militärs haben uns über viele Jahre beigebracht, unsere sexuelle Orientierung zu verstecken. Als der Krieg vorüber war, die Friedensabkommen unterschrieben waren, nahmen wir an, dass die Bedingungen für die sexuelle Vielfalt sich auch verbessern würden. Doch die Gewalt uns gegenüber verschlimmerte sich.

Was geschah dann in der Zeit unmittelbar nach dem Krieg?
Jorge: Es gab zum Beispiel den Fall der Transgender María Conchita im Jahr 1997. Zwei Soldaten vom guatemaltekischen Militär ermordeten sie auf der Türschwelle von OASIS. Dieser Mord hat uns natürlich sehr erschüttert. Die Presse griff uns an und die Kirche schimpfte, dass die Abnormalen jetzt heraus kämen. Die Polizei nahm Transgender und Transvestiten fest, die als Teil unserer Bewegung gegen Morde und Diskriminierung protestierten. Sie wurden eingesperrt, gefoltert und vergewaltigt. Die Morde an Leuten aus der LGBT-Community wurden viel systematischer.

Wie sieht die gesellschaftliche Situation der LGBT-Community heutzutage aus?
Jorge: Zulma sagte vor ein paar Tagen etwas sehr Interessantes: Sie kann das Haus verlassen, die Menschen schauen sie an und jemand sagt vielleicht, „Oh, wie schön sie aussieht“. Aber diese Gesellschaft ist heuchlerisch. Es gibt keine Bildung, und es gibt keine Arbeit für Menschen, die in der Öffentlichkeit zu ihrer sexuellen Orientierung stehen. Und selbst wenn man diese erstickende Stimmung etwas weniger wahrnimmt, ist die offene Gewalt in den Straßen uns gegenüber so groß. Laut einer Studie von OASIS haben 80 Prozent der LGBT-Community Angst davor, als schwul oder als lesbisch identifiziert zu werden.

Welche Rolle spielen Regierung, Militär und Polizei in der gegenwärtigen Situation?
Jorge: Die Regierung tut so, als gebe es keine Probleme. So muss sie keine Lösungen finden. Würde die Regierung sich des Problems annehmen, müsste sie Stellung beziehen, was vielen PolitikerInnen nicht gerade dabei helfen würde, Stimmen bei der nächsten Wahl zu gewinnen. Also ist es egal, ob die Polizei eine Transgender auf der Straße umbringt, die ja sowieso ein Mensch war, der nichts wert war, ein verhasster Mensch, ein Mensch ohne Ausbildung, eine Person, die in den Augen der Gesellschaft nichts Interessantes zum Staat beitrug. Also warum sollte es die Regierung kümmern, dass dieser Mensch umgebracht wird? Ich glaube nicht, dass Präsident Álvaro Colom uns umbringen will. Aber es werden auch keine Maßnahmen ergriffen, damit unsere Leben geschützt werden.

Wieso äußert sich Präsident Colom nicht in dieser Weise?
Jorge: Es sind religiöse Vorurteile, die Colom auch öffentlich ausdrückt. Kardinal Rodolfo Quezada Toruno (Erzbischof von Guatemala-Stadt, Anm.d. Red.) ist vor einiger Zeit aufgetreten und hat gesagt, dass wir Homosexuellen Respekt verdienen, aber niemals heiraten dürfen. Und nachdem der Kardinal das gesagt hatte, sagte Álvaro Colom, bevor er 2008 das Präsidentenamt antrat, dass Gott Adam und Eva und nicht Adam und Estéban geschaffen habe. So kreieren sie die Grundlage für eine Situation, in der es Tote gibt, in der es Menschen gibt, die keine Arbeit haben.

Gibt es für Sie einen Zusammenhang zwischen Machismus und Homophobie bzw. der Diskriminierung der LGBT-Community im Allgemeinen?
Jorge: Der Machismus versucht, die Männer auf eine privilegierte Position zu stellen und all das herabzuwürdigen, was nicht männlich ist. Männer und Frauen sind Opfer des Machismus. Ein Mann, der seine Privilegien als Mann abgibt, wird als etwas angesehen, das nichts wert ist. Und eine Frau, die versucht, als männlich angesehene Rollen anzunehmen, wird sofort beschränkt. Ihr Verhalten wird als Herausforderung der gesellschaftlichen Normen betrachtet. Dies führt zu ganz unterschiedlichen Umständen für schwule Männer oder Transgender von Mann zu Frau und für die lesbischen Frauen, Bisexuelle die Transgender von Frau zu Mann.

Zulma, Ihre Freundin Paulina wurde Opfer einer außergerichtlichen Hinrichtung. Sie wurden bei dem Mordanschlag schwer verletzt. Wie hat sich Ihr Leben seitdem verändert?
Zulma: Mein Leben hat sich überhaupt nicht verändert. Im Gegenteil, ich habe immer mit der Verfolgung gelebt. Ich habe ein Leben gelebt, betrogen um meine Freiheit. Es ist keineswegs einfach gewesen. Doch war der Anschlag für mich etwas so Abscheuliches, dass ich bisher noch nicht darüber hinweg gekommen bin.

Der Mord an Paulina ist kein Einzelfall. Wie wird mit den Anzeigen normalerweise umgegangen?
Zulma: Der Staat tut nichts, um die Morde aufzuklären. Sie halten die Beweise zurück und versuchen, sie nicht öffentlich zu machen.

Haben Sie Anzeige erstattet?
Zulma: Jorge hat alle entsprechenden Schritte unternommen. Ich war damals im Krankenhaus. Von dort musste ich nach zwölf Tagen flüchten, weil sie nicht zugelassen haben, dass ich dort wieder gesund werde. Also musste ich an einen privaten Ort fliehen, wo ich anderthalb Monate geblieben bin. Später wurde ich in ein anderes privates Versteck gebracht, wo ich zwei Jahre verbrachte, in denen ich ausschließlich telefonischen Kontakt zu meiner Familie haben konnte. Jetzt bin ich wieder nach Hause zurück gekehrt. Die Regeln sind aber immer noch die gleichen. Ich bleibe gezwungenermassen eingeschlossen und führe praktisch ein rein privates Leben

Gibt es in Ihrem Fall Fortschritte?
Zulma: Es gab überhaupt keine Fortschritte bis vor ungefähr drei Wochen, als es bei der Staatsanwaltschaft zu einem Personalwechsel kam. Einer der neuen Staatsanwälte wollte sich darum kümmern, in dem Fall zu ermitteln. Er ordnete an, dass ich angerufen werde. Ich sollte einige Polizisten identifizieren, die am Tatort gewesen waren, und ich konnte einige identifizieren. Sie sagten mir dann, sie würden weiter ermitteln und mich wieder anrufen.

Mittlerweile begleitet Peace Brigades International (PBI) Sie in Ihrer Arbeit, um internationale Öffentlichkeit und damit mehr Sicherheit für Sie zu gewährleisten. Wie kam es dazu?
Jorge: Indem wir die Mordfälle aufrollen, sind wir einer extremen Gefährdung ausgesetzt. Der Fall von Paulina und Zulma hat einen besonderen Aspekt, da Paulina Menschenrechtsaktivistin war. Wäre sie dies nicht gewesen, wie viele der anderen vorher ermordeten Personen, hätte niemand außer OASIS öffentlich darüber gesprochen. Wir fingen noch in der Mordnacht an, Briefe zu schreiben, um international Alarm zu schlagen, dass eine Menschenrechtsaktivistin außergerichtlich hingerichtet worden war. Alarm geschlagen haben wir auch wegen der vielen anderen Morde. Wir haben Trauermärsche und Demonstrationen veranstaltet. Aber erst als die Welt mitbekam, dass es eine Menschenrechtsaktivistin war, die außergerichtlich hingerichtet worden war, erhielten wir Aufmerksamkeit. Wir konnten so das Interesse von Amnesty International wecken. Und PBI haben uns in solidarischer Weise die Begleitung gewährt, um die wir als MenschenrechtsaktivistInnen gebeten hatten, um so den Spielraum für unsere Arbeit zu garantieren und unsere Leben zu erhalten.

Wie ist die Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern in der aktuellen gesellschaftlichen Situation des Landes zu verorten?
Jorge: Die Diskriminierung, unter der wir wegen unserer sexuellen Orientierung leiden, ist nur die Spitze eines ganzen sozialen Problems. Dessen Wurzeln liegen im vergangenen Bürgerkrieg, in der Korruption der Regierung. Und wenn die Menschen Blut auf den Straßen von Guatemala sehen, durchleben sie wieder jene Psychose des Bürgerkrieges. Es ist nötig, menschliche Entwicklungsprozesse in Gang zu bringen, in denen wir uns von all diesen Spuren des Krieges und der sozialen Ungleichheiten befreien können und lernen, uns als Personen wertzuschätzen. Wir müssen verstehen, dass auch die eigene Lebensqualität besser sein wird, wenn sich die des Nachbarn oder der Nachbarin verbessert.

Weitere Infos: www.geocities.com/oasiseduca
www.pbi-guatemala.org

KASTEN:

Zu den Personen
Jorge López ist Gründungsmitglied und Direktor von OASIS (Organisation zur Unterstützung einer integralen Sexualität um AIDS entgegenzutreten), Zulma Robles arbeitet ehrenamtlich für die Organisation. OASIS startete 1993 als Selbst‑
hilfeprojekt, beschäftigte sich anfänglich mit HIV/AIDS- Präventionsarbeit und unterstützt LGBT Sexarbeiter. Aktuell wird Jorge López von der Staatsanwaltschaft ein versuchter Mord an einer transgender Sexarbeiterin vorgeworfen, obwohl diese und ein weiterer Zeuge ihn nicht als einen der zwei Täter identifizierten. Für den 23. Januar wurde ein Gerichtstermin anberaumt. Jorge López droht ein Gefängnisaufenthalt, der für ihn, aufgrund seiner Tätigkeit für die LGBT-Community, erhebliche Risiken bergen würde.

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