Kuba | Nummer 415 - Januar 2009

Die Umsetzung von Ches Gedankengut

Aleida Guevara im Gespräch über Ches Vermächtnis, das Gesundheitssystem und die Jugend im heutigen Kuba

Aleida Guevara ist eine kubanische Politikerin, Kinderärztin und Toch­ter von Che Guevara. Sie ist aktives Mitglied der Kommunistischen Partei Kubas und arbeitet zusammen mit dem Centro des Estudios Che Guevara in Havanna. Als Ärztin war Aleida Guevara auch tätig in Angola, Ecuador und Nicaragua.

LN

Ihr Vater hatte die Vision eines „neuen Menschen“. Aber es bleibt noch ein langer Weg, bis der erreicht wird, oder?
Mein Vater hat vor vielen Jahren erklärt, dass der neue Mensch nie etwas Abgeschlossenes sein kann. Die Gesellschaft muss sich stets perfektionieren. Damit ist nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung gemeint, sondern auch die intellektuelle und die soziale Entwicklung. Und das bringt mit sich, dass auch dieser neue Mensch reifen muss. Das heißt, der neue Mensch wird nie fertig sein. Mein Vater sprach davon, dass sich die Gesellschaft in eine gigantische Schule verwandeln muss, in die wir alle gehen, um in ihr zu lernen, die aber gleichzeitig modifiziert werden muss. Das heißt, der Mensch wird zum Getriebe, das diese Gesellschaft vorwärts bringt. Aber mit der Vereinbarung, sich selbst ebenfalls zu verbessern, damit wiederum die Gesellschaft perfektioniert wird. Das eine bringt das andere mit sich. Der neue Mensch ist der Mensch, der in der Lage ist, das Wenige, das er hat, für das Wohl anderer zu opfern, und sich dafür gut zu fühlen. Das heißt, sich nicht gezwungen zu fühlen, dies zu tun, sondern sich darin zu verwirklichen. Das ist der neue Mensch.

Was ist Ches heutiges Vermächtnis auf Kuba?
Die kubanischen Pionierskinder, das sind unsere Jüngsten, benutzen einen Spruch, der lautet: „Pioniere für den Kommunismus, lasst uns werden wie Che.“ Als das sozialistische Europa verschwand wurde auf einem Kongress der Pioniere dieser Slogan analysiert. Ich war auch dabei und sah zu, wie ein 12-jähriger Pionier aufstand und sagte: „Was ist unser Streben für die Zukunft? Eines Tages zum Kommunismus zu kommen?“ Und alle anderen antworteten: „Jaaaa!” – „Seid ihr euch sicher?“ Und alle: „Jaaa“. – „Wer ist der Mensch der uns dahin führen kann?“ Und alle riefen: „El Che! Das Beispiel des Ches!“ – „Seid ihr sicher?“ – „Ja, wir sind sicher!“ Und das war‘s. Es gab nicht einmal eine Diskussion. Alle waren sich einig. So etwas findet man häufig auf Kuba. Glücklicherweise haben wir eine Unmenge von Kindern und Jugendlichen, die in der Lage sind zu begreifen, was in ihrer Reichweite liegt.

Und darüber hinaus?
Eine weitere wichtige Sache sind unsere internationalen Missionen, die Hilfe für andere Länder. Für das kubanische Volk bedeuten diese oft ein großes Opfer. Früher hatte alle Menschen einen Arzt in ihrer Nähe. Heute sind viele von diesen Ärzten in Venezuela. Also müssen die Leute zu einem anderen, weiter entfernten Arzt gehen. Aber in Situationen wie nach den Wirbelstürmen merkt man, wie unsere Solidarität zu uns zurück kommt. Länder, die gerade wesentlich weniger haben als wir, schickten Flugzeuge und Schiffe mit Lebensmitteln und Baumaterial. Da wir früher Solidarität gesät haben, können wir sie nun ernten. Wenn wir in der Lage sind, Sachen herzugeben, die wir eigentlich bräuchten, um sie anderen Ländern geben zu können, dann ist dies das beste Beispiel dafür, dass wir uns der Umsetzung des Gedankengutes von Che Guevara jedem Tag mehr nähern.

Seit der Revolution gab es große Fortschritte. Welche sind die bedeutendsten Fortschritte im Gesundheitssystem?
Wir entwickelten ein System der Prävention. Uns ist klar geworden, dass es viel einfacher ist, einer Krankheit vorzubeugen, als sie heilen zu müssen. Aber hierzu fehlte die Aufklärung in der Bevölkerung. Kuba hat während der gesamten Revolution Kampagnen für Hygiene, Ernährung und Sport gemacht. All diese Dinge werden sozusagen auf öffentlicher Ebene behandelt. Das Gesundheitssystem Kubas ist untrennbar mit der sozialistischen Gesellschaft, in der wir leben, verbunden. Wir haben gelernt, in größeren Netzwerken zusammen zu arbeiten. Das ist sehr angenehm, obwohl es manchmal große Probleme mit den Medikamenten gibt. Aber wir können zum Beispiel Arzneipflanzen anbauen. Die Menschen kennen diese und wissen sie anzuwenden. Das schafft eine sehr intime Interaktion zwischen dem Gesundheitswesen und der Bevölkerung und führt auch dazu, dass sich das Gesundheitssystem, trotz der schwerwiegenden wirtschaftlichen Probleme, weiterentwickeln kann. Wir führen interessante Experimente mit Pflanzen und Tieren durch, um ihren Nutzen für präventive Heilmethoden zu testen oder um die Symptome von schweren Erkrankungen zu lindern. In diesem Bereich arbeiten wir sehr hart.

Und die große Herausforderung Gesundheitserziehung …
Ja, die Gesundheitserziehung der Bevölkerung ist das Schlüsselwort. Denn die neuen Generationen müssen auch geschult werden. Deshalb veranstalten wir Kampagnen zu den Themen Ernährung, Bewegung, Wohlbefinden, Wechselwirkungen mit der Umwelt und Sport. Da liegt noch eine Menge Arbeit vor uns. Aber das ist die Zukunftsaussicht: Das Lebensniveau zu erhöhen und die Dauer des Lebens zu verlängern.

Stimmt mein Eindruck, dass ein Teil der Jugendlichen die Erfolge der Revolution als selbstverständlich hinnimmt? Sie scheinen die Probleme des Alltags, wie Transport, Wohnsituation, Internetzugang und das Konsumniveau, satt zu haben.
Das stimmt. Es ist eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft. Die neuen Generationen werden in unseren sozialen Prozess geboren und nehmen diese erworbenen Rechte als selbstverständlich wahr. Deshalb liegt der Schwerpunkt auf der Erziehung der Ideologie der neuen Generationen. Ihnen zu vermitteln, wie viel Arbeit es tatsächlich gekostet hat, das alles, was sie heute als natürlich ansehen, zu erkämpfen, ist fast eine physiologische Aufgabe. Es ist schwierig, den Zugang zu diesen Generationen zu finden und das zu erklären, ohne langweilig, nervig oder rückläufig zu erscheinen. Es ist schwierig, die richtige Kommunikation zu finden, um einer heranwachsenden Person die tatsächlichen Privilegien, die sie in dieser Gesellschaft genießt, deutlich zu machen.
Wir haben aber auch schon viel erreicht. Unsere Sozialarbeiter zum Beispiel sind größtenteils sehr jung, oder auch unsere Kunstlehrer. Die Revolution hat gemerkt, dass sie diese Jugendlichen fast verliert. Die Propaganda der kapitalistischen Welt, die um uns herum ist, hat großen Einfluss auf manche Menschen.

Zum Embargo: Gibt es die Hoffnung, dass sich mit dem nächsten US-Präsidenten Barack Obama etwas verändern könnte?
Nein, diese Hoffnung haben wir nicht. Leider unterliegt es nicht der Macht des Präsidenten, die Blockade aufzulösen. Die liegt beim Senat. Es müsste zu einer grundlegenden Veränderung im Senat kommen und das ist im Moment fast undenkbar. Die Mitglieder des Senats sind nämlich nicht die Vertreter des Volkes, sondern Menschen mit viel Geld, die sich diese Position erkaufen. Das Wahlsystem der USA ist so korrupt, das es uns nicht die Garantie gibt, dass mit einem Präsidentschaftswechsel auch ein Veränderung des Senats oder dessen Gesetze erfolgen.

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