Nummer 417 - März 2009 | Paraguay

Die ungelöste Landfrage

Der Kleinbauernaktivist Zayas fordert progressive Schritte von der Regierung Lugo

Tomás Zayas ist Sprecher der Kleinbauernorganisation ASAGRAPA in der Provinz Alto Paraná im Osten Paraguays. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit ihm über die ersten Monate der Präsidentschaft Fernando Lugos, über Fortschritte in der Landfrage und darüber, mit welchen Maßnahmen der kleinbäuerlichen Landwirtschaft Paraguays eine Perspektive gegeben werden kann.

Interview: Markus Plate

Fernando Lugo ist seit einem halbem Jahr im Amt. Sie sagten vor der Wahl, dass Sie mit einem Präsident Lugo keine allzu großen Hoffnungen verbänden.Sie sahen eher die Gefahr, dass seine Präsidentschaft zu einer großen Enttäuschung für die Landbevölkerung führen könnte. Haben sich Ihre Befürchtungen bestätigt?
Lugo hat große Erwartungen geweckt und nach den Wahlen sprachen ihm laut Umfragen über 90 Prozent der ParaguayerInnen das Vertrauen aus. Er erbat sich hundert Tage für den Beginn einer neuen Politik des Wandels. Ende Oktober endete diese Phase. Bis jetzt hat er jedoch noch keine wegweisenden Sachentscheidungen in Bezug auf die Landfrage getroffen. Er hat jedoch in einigen Personalfragen gut gehandelt, das gilt vor allem für den neuen Präsidenten des Nationalen Instituts für ländliche Entwicklung und Land (INDERT). Die Großgrundbesitzer, die Ultrarechten um Ex-General Lino Oviedo und natürlich die Colorado Partei üben jedoch großen Druck auf den Präsidenten aus. Wenn die Regierung diesem Druck nachgibt und sie nicht auf die Basisbewegungen zugeht, dann könnten Lugo und seine Regierung das Vertrauen der Bevölkerung verlieren. Wir als Kleinbauern müssen den Druck aufrecht erhalten, damit die Regierung auch tatsächlich die notwendigen progressiven Schritte unternimmt.

Die Verfolgungen von KleinbauernsprecherInnen und AktivistInnen auf dem Land gehen auch unter Lugo weiter. Wie erklären Sie sich das?
Das Justizwesen und die Polizei sind auch nach der Wahl noch Instrumente der Großgrundbesitzer und der Colorado-Partei geblieben. Beide Organe werden über Geld gesteuert. Mit dem Wahlerfolg Lugos im Rücken haben die Landlosen Hoffnung bekommen, dass sich endlich etwas zu ihren Gunsten ändert und deshalb ist der Kampf um Land in eine neue Runde gegangen. Um unseren Forderungen Nachdruck zu verleihen, haben wir Landbesetzungen organisiert. Die Polizei hat mit Verhaftungen geantwortet. Allein in Alto Paraná gab es im Oktober und November 164 Verhaftungen. Die Verfolgung durch die Polizei ist äußerst brutal. Im Moment haben wir wegen dieser Situation die Intensität der Landbesetzungen zurückgefahren, dafür tragen wir unsere Forderungen um so entschiedener dem INDERT und der Regierung vor. ASAGRAPA fordert von INDERT in Alta Paraná 70.000 Hektar Land, die sogenannte Tierra Maravilla, vor allem von Diktator Strössner an Günstlinge verschenktes Land. In Paraguay haben wir rund 300.000 Landlose. Um dieses Problem zu lösen, bräuchten wir etwa drei Millionen Hektar Land. Das klingt viel, ist aber relativ wenig, wenn man bedenkt, dass der Präsident des INDERT davon spricht, dass es sieben Millionen Hektar Tierra Maravilla in Paraguay gibt, die es gelte für den Staat zurück zu gewinnen. Wenn uns das gelänge, dann könnten wir den Landkonflikt in Paraguay auf lange Sicht lösen. Und damit auch die Entvölkerung Paraguays, die Migration, den Hunger sowie das Elend und die Gewalt in den Städten. Dagegen stehen jedoch die Soja- und Viehbarone, die ihren Besitz nicht nur verteidigen, sondern sogar noch ausdehnen wollen.

Auch Sie selbst haben die Repression zu spüren bekommen…
Ja, diese Geschichte begann bereits im Oktober 2007, als man mich wegen verschiedener Delikte anzeigte, die ich angeblich gegen die Sojaproduzenten begangen haben soll. Im März 2008 wurde ich dann wegen versuchten Totschlags angezeigt. Die „Ermittlungen” dauerten mehrere Monate, in denen die Staatsanwaltschaft keinen einzigen Beweis gegen mich vorbringen konnte. Wir haben dann selbst Anzeige wegen Amtsmissbrauchs gegen die Staatsanwaltschaft erstattet. Die Sache endete mit dem Rücktritt des zuständigen Staatsanwalts. Im Oktober wurden dann der Vorwurf des versuchten Totschlags und eine weitere Anschuldigung fallengelassen. Drei Ermittlungsverfahren gegen mich laufen aber immer noch.

Angenommen es würden tatsächlich mehrere Millionen Hektar Land an landlose Kleinbauern und KleinbäuerInnen verteilt. Damit allein ist es ja noch nicht getan. Wie soll Ihrer Meinung nach eine moderne kleinbäuerliche Landwirtschaft aussehen?
Das Land erfüllt für uns Kleinbauern zwei Aufgaben: Es ist Produktionsmittel und Lebensraum. Neben der Landfrage geht es also um den Wiederaufbau ländlicher Gemeinschaften. Dazu gehören auch Handwerker und Transporteure, ein Vertriebssystem, Handelsunternehmen, um unsere Produkte an die Kunden zu bringen – alles was nachhaltiges Wirtschaften auf dem Land bedeutet. Ziel einer neuen Agrarpolitik muss es zudem sein, nicht nur Wenigen Exporterlöse zu garantieren, sondern die Ernährungssouveränität zur Priorität zu erklären. Beides schließt sich nicht aus, aber der Staat muss sehen, dass er am Soja-Exporterfolg beteiligt ist. Dazu gehört vor allem eine Exportsteuer, die in Brasilien fast 20 und in Argentinien 40 Prozent beträgt, in Paraguay aber abgeschafft wurde. Dieses Geld brauchen wir, um zum Beispiel eine umfassende Neuausrichtung der Landwirtschaftspolitik und des Neuaufbaus der kleinbäuerlichen Landwirtschaft zu finanzieren.

In den ländlichen Regionen Paraguays sind auffallend viele Kinder und Alte zu sehen, aber kaum junge Menschen. Die meisten verlassen die ländlichen Regionen in Richtung der Städte oder ins Ausland. Wie soll das ländliche Paraguay ohne junge Menschen eine Zukunft haben?
Es ist richtig, dass es in den letzten zwei Jahrzehnten eine gewaltige Migration von jungen Menschen vom Land nach Asunción und in andere Länder gab. Jetzt gibt es aber eine neue Situation. In den Städten Paraguays gibt es ebenfalls keine Arbeit, in Argentinien arbeitet die große Mehrheit der Paraguayer hart und für sehr wenig Geld, viele werden ausgebeutet und als Menschen zweiter Klasse behandelt. Die Möglichkeiten, in die USA oder nach Europa zu gelangen, sind heute minimal. Ich glaube, der Prozess der Migration hat seinen Höhepunkt bereits überschritten. Dagegen gibt es im Moment viel Jugendliche, die sich in der Bewegung engagieren. Unter den Landbesetzern sind zwei Drittel junge Menschen. Ich sehe also viel Enthusiasmus und viel Hoffnung bei den Jungen. Und ich glaube, dass wir den Jugendlichen wieder eine Perspektive auf dem Land geben können, auch im 21. Jahrhundert. Wenn es uns gelingt, die Landfrage in Paraguay zu beantworten.

// Interview: Markus Plate

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