Nummer 367 - Januar 2005 | Rassismus / Antirassismus

Die US-amerikanische Leitkultur

Samuel P. Huntington definiert die „amerikanische Identität“

In seinem neuen Buch „Who are we? Die Krise der amerikanischen Identität“ stellt der Harvard-Politologe Samuel P. Huntington provokante Thesen zur US-amerikanischen „Leitkultur“ vor, die er vor allen Dingen in Abgrenzung zu lateinamerikanischen MigrantInnen interpretiert. Seine nationalistisch gesinnte ArgACumentation bläst in das Horn der Neocons, der Neokonservativen, die das „wahre und moralische Amerika“ repräsentieren.

Elke Stefanie Inders

Nach „The Clash of Civilizations“ setzt sich der Harvard-Politologe Samuel P. Huntington in seinem neuen Buch mit der US-amerikanischen Identität auseinander, die er von allen Seiten bedroht sieht: von den MultikulturalistInnen, den global agierenden Geschäftsleuten, den IslamistInnen und vor allen Dingen der stetig wachsenden hispanoamerikanischen, katholischen Minderheit. Amerika, das ist für ihn die anglo-protestantische Kultur, die auf dem amerikanischen Credo von Freiheit, Gerechtigkeit, Individualismus, Privateigentum und Arbeit basiert. Diese Kultur sieht er wie einst das Römische Reich, mit dem er Amerika gerne vergleicht, kläglich dahinschwinden.
Die Debatte um den Abtreibungsparagrafen, die Legalisierung der Homo-Ehe, die lateinamerikanische Diaspora und der Kampf gegen den Terrorismus waren hochbrisante Wahlkampfthemen und sind Entwicklungen, die das Wesen der amerikanischen Nation aushöhlen, so Huntington. In erster Linie lieferte er damit den bellizistisch gesinnten Neocons die notwendigen Argumente bei ihrem Feldzug gegen das Böse auf der Welt. Für Huntington sind die Prinzipien des Anglo-Protestantismus und die Verklammerung von Religion und Politik bis heute ein zentrales, wenn nicht das zentrale Element der patriotisch gesinnten Öffentlichkeit Amerikas und ein maßgebliches politisches Steuerungsinstrument für die US-amerikanische Identität.
Er sieht nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion einen mentalen Identitätskollaps seines Landes. „Wir Amerikaner waren nicht mehr, was wir gewesen waren, und wir wußten nicht so recht, was aus uns werden sollte. Die USA stand ohne äußeren Feind da, denn das Reich des Bösen war untergegangen, jener Gegensatz über den sich die Amerikaner definieren konnten.“ Identitätstiftend ist für Huntington demnach das, was fremd ist und daraus folgend auch feindlich sein muss. Das nationale Projekt kann nur gefestigt werden, wenn innere und potentiell spaltende Gegensätze angesichts eines gemeinsamen Feindes in den Hintergrund treten. Aus dem Reich des Bösen wurde die Achse des Bösen.

Weißer Nativismus und Hispanische Kultur
Dass Amerika von den Latin@s übernommen wird, befürchten seit langem zahlreiche US-AmerikanerInnen, und so auch Huntington. Bilinguale Straßenschilder und Erziehung, spanischsprachige Fernsehsender sowie mexikanisches Essen würden die US-Gesellschaft unterwandern und infiltrieren. Ihre Befürchtungen sehen sie durch die hohen Geburtenraten der MexikanerInnen bestätigt. Durch verbesserte Kommunikations- und Verkehrsmittel würde den Mitgliedern der hispanischen Diaspora der Kontakt zur Heimat erleichert, aber damit auch die Assimilation und Integration in die weiße anglo-protestantische Kultur verhindert. Genau darum geht es Huntington aber: die Hispanics sollen die anglo-protestantische „Leitkultur“ übernehmen oder gehen.
„Das Katastrophale an den Mexikanern ist deren schlechte Bildung, ihr geringes wirtschaftliches Potential und deren am Familienleben ausgerichtete Einstellung und ihre katholische Arbeitsmoral, die im vollen Kontrast zur protestantischen Arbeitsmoral steht, die immer wieder die Bedeutung der Arbeit betont, und dass es in der Verantwortung jedes einzelnen liegt, ob er im Leben Erfolg hat oder scheitert.“ Auch hier löst Huntington das Problem auf seine Weise: Zwar seien die MexikanerInnen als billige Arbeitskräfte nützlich bei den Erntearbeiten, aber würde man eine weitere Einwanderung verhindern, so könnte man entsprechend die Löhne erhöhen, bzw. dieses Geld in das Bildungswesen investieren.

Einheit versus Vielfalt
Huntington hat eine Auffassung von Identität, die auf Begriffen wie Substanz, Kern- und Leitkultur aufbaut. Der Geist der amerikanischen Identität wird der/dem LeserIn bei der Lektüre gehörig um die Ohren gehauen. Bedroht wird diese auch von den Eliten der globalen Geschäfts- und Finanzwelt, FreiberuflerInnen und linken Intellektuellen. Das Debakel habe seinen Ausgangspunkt in den sechziger und siebziger Jahren, als an den Universitäten Debatten zur multikulturellen Gesellschaft geführt wurden und damit der Status und Einfluss subnationaler, ethnischer und kultureller Gruppen gestärkt wurde. Der Einsatz für Minderheiten ist für ihn ein klares Zeichen mangelnder patriotischer Gesinnung.
In diesem Sinne lehnt Huntington auch die affirmative action-Programme zur Förderung diskriminierter Minderheiten ab, die in den siebziger und achtziger Jahren unter anderem von der Ford Foundation und zahlreichen Linken tatkräftig unterstützt wurden. Und hier schlägt er mit seiner Kritik dem Fass den Boden aus, wenn er behauptet: „Die Linken bringen aufgrund ihrer Einstellung Mitleid für bestimmte benachteiligte Menschen auf.“ Wobei hier Mitleid in einem absolut abwertenden Sinne benutzt wird.
Who are we? Diese Frage beantwortet Huntington in Abgrenzung zu allem, was nicht der „anglo-protestantischen Kultur“ entspricht oder deren Hegemonie in Frage stellen könnte. Er tut dies, zwar geschickt argumentierend, letztlich auf recht einfache Art und Weise, ausgedehnt auf satten 540 Seiten.

Samuel P. Huntington: Who Are We? Die Krise der amerikanischen Identität. Europa-Verlag, Hamburg, 2004, 540 S.

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