Musik | Nummer 367 - Januar 2005

Die Vibration des argentinischen Nordostens

Chango Spasiuk hat ein neues Chamamé-Album aufgenommen

Die Augen geschlossen, über das Instrument gebeugt, so dass die langen blonden Haare fast die Tasten berühren, verharrt die Musik einen Moment bevor das Akkordeon aufgezogen und wild zusammen gestoßen fast platzend den Rhythmus jagt. Die Mähne wird wie die Lautstärke nach oben gerissen und mit einem Lachen und sprühenden Augen werden die Jauchzer aus dem Publikum aufgenommen. Chango versteht es sein Publikum zu begeistern und mit zu reißen.

Markus Rudolf

Seine Musik ist tanzbar, abwechslungsreich und schwungvoll. Für das erste internationale Album Tarefero de mis Pagos hat er eine Schar exzellenter Musiker um sich gesammelt, mit denen er eine akustische Reise durch Zeit und Raum des Nordosten Argentiniens antritt. „Dort holen die Menschen die Ernte mit der Hand ein, und Tarefero heißt der, der diese Arbeit macht. Ganz Argentinien trinkt Mate, aber nicht ganz Argentinien weiß, wie die Leute sind, die diesen Mate ernten und mit welcher Musik sie sich unterhalten.“
Spasiuk stammt aus Misiones und „im Nordosten bekommt man als Kind entweder eine Gitarre in die Hand gedrückt oder ein Akkordeon“. Auch wenn heute das Bandoneon als typisch argentinisches Instrument gilt, kam zuerst das Akkordeon ins Land und bestimmte zusammen mit den vielfältigen kulturellen Einflüssen die Entwicklung dieser Volksmusik. „Um den Chamamé zu verstehen, muss man über 300 Jahre Musikgeschichte reden … Zuerst der afrikanische 6/8 Takt, der aus Peru kam und der in ganz Lateinamerika benutzt wird. Dann die Spanier und Jesuiten, die auf die Guarani trafen und die Immigranten, die Ende des 20. Jahrhunderts kamen und das Akkordeon brachten, mit dem die harmonische und melodische Struktur letztendlich definiert wurde, die wir heute als Chamamé kennen.“
Als Piazzolla der Volksmusik wird Spasiuk bezeichnet. Er selbst sagt, er wisse nicht warum – eine Hommage an den großen Landsmann findet sich aber trotzdem in seinem Programm und mit „Libertango“ beweist er dem Publikum, wie mitreißend das Stück auch auf dem Akkordeon klingen kann. Der Vergleich bezieht sich wohl vor allem auf die Rolle für die Wiederentdeckung und Wiederbelebung einer traditionellen argentinischen Musikform. Spasiuk nimmt wie Piazzolla das musikalische Erbe als Basis einer individuellen, aktuellen Interpretation. Argentinien ist nicht nur Tango. Aber wie in allen anderen Bereichen verdrängt die Hauptstadt vieles aus dem Hinterland. Trotzdem kann Spasiuk auf eine 20jährige Bühnenpräsenz und ein landesweit treues Publikum verweisen. Er schreibt Stücke, die zeitgenössisch und regional sind: Stilrichtungen und Rhythmen wie Polkas, Schotis, Rancheras und Rasguidos dobles treffen in seiner Musik aufeinander. „Der Chamamé ist eine Mestizenmusik. Als Chamamémusiker spielst du eine Menge anderer Rhythmen, Walzer oder Ranchera – aber mit einem ganz anderen Klang. Es ist eine andere Art die Musik zu spielen. “ Changos Stücke wollen zurück zum Einfachen „Musik ist nicht nur für den Intellekt“, nichts soll zwischen die Musik und den Menschen treten. Das ist auf dem neuen Album gelungen, die Stücke transportieren die abwechslungsreiche Vibration seiner Heimat akustisch so gut es eben möglich ist. Wer den bekannten Akkordeonspieler nicht auf der Bühne erleben kann, sollte deshalb in Tarefero de mis Pagos, von einer deutschen Firma extra in Buenos Aires produziert, reinhören.

Chango Spasiuk: Tarefero de Mis Pagos – Songs from the red land

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren