Kuba | Nummer 507/508 - Sept./Okt. 2016

DIE WEISSAGUNG DES COMANDANTE

FIDEL CASTRO FEIERTE SEINEN 90. GEBURTSTAG INMITTEN DER ANNÄHERUNG KUBAS ZU DEN USA

1973 soll Fidel Castro prophezeit haben, dass sich Kuba und die Vereinigten Staaten erst wieder annähern, wenn es einen lateinamerikanischen Papst und einen schwarzen US-Präsidenten gäbe. Er hat wohl nicht erwartet, das Eintreffen seiner Voraussage noch selbst zu erleben. Sein 90. Geburtstag am 13. August war Anlass genug für eine Gratulation – und einen Blick zurück in die Zukunft.

Von Hans-Jürgen Burchardt
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Foto: Alberto Korda (1961) Public Domian, bearb. LN

„Wir haben es nicht nötig, dass das Imperium uns was schenkt.“ Fidel Castro machte in einem Gastbeitrag für die Parteizeitung Granma unlängst klar, dass er die Annäherung an die USA mit Argusaugen beobachtet. Mit dem Besuch Obamas im März auf Kuba hatte sich das Ende einer Ära angekündigt. Diese war untrennbar mit der Person Fidel Castro verbunden. Er machte die Karibikinsel zu einer Projektionsfläche, die die Weltpolitik stärker als manche westliche Nation beeinflusste.
1959 führte Fidel Castro in Kuba eine viel bestaunte Revolution zum Sieg, die unter dem Banner der Menschlichkeit und der Demokratie antrat und sich schon zwei Jahre später gegen eine nordamerikanische Militärintervention in der  Schweinebucht behaupten musste. Kaum hatte Kuba den Koloss im Norden in seine Schranken gewiesen, katapultierte 1962 die Kubakrise gleich die ganze Menschheit an den Rand eines neuen Weltkrieges. Es folgte ein manchmal an Abenteurertum erinnernder Revolutionsexport, der über drei Jahrzehnte das Weiße Haus und den Kreml gleichermaßen beunruhigte. In Angola gelang es Kuba, die Expansionsgelüste des südafrikanischen Apartheidregimes zu stoppen.
Auch in den 1990er Jahren beugte sich Kuba nicht dem Gang der Geschichte: Als die sozialistischen Bruderstaaten einer nach dem anderen zusammenbrachen, wurde auch der am Subventionstropf des Ostblocks hängende Tropensozialismus angezählt. Doch Kuba verweigerte sich zäh den globalen Trends Marktwirtschaft und Demokratie. Diese politische Eigenwilligkeit, das Engagement in vielen Ländern der Welt und Beharrlichkeit waren nicht nur ein Markenzeichen der Insel: Denn wer Kuba sagte, dachte Fidel Castro.
Kubas Jahrhundertfigur prägte in den vergangenen fünfzig Jahren wie kein anderer seine Heimat. An ihm spalteten – und spalten sich die Geister. Doch eines einte Freund und Feind: der Respekt vor Castros Entschlossenheit und seinem Mut. Denn Castro nahm furchtlos den Fehdehandschuh auf, den ihm der Goliath USA schon zu Beginn seiner Herrschaft hinwarf und ließ sich von keiner Drohung und Attacke einschüchtern. Er überlebte nicht nur seine zahlreichen eigenen Fehlschläge, sondern auch die Amtszeit von zehn US-Präsidenten, die ihm mehr oder weniger alle nach dem Leben trachteten. 600 Attentate zählte Castro selbst gegen sich auf, 30 bestätigten die USA.
Das Privatleben des Menschen hinter dem ewigen Guerillero gehört zu den bestgehüteten Geheimnissen auf der Insel. Sicher ist nur, dass Castro Geschichte geschrieben hat. Den ehemaligen comandante en jefe nicht nur über sein Handeln, sondern als Kristallisationspunkt seiner Ära zu verstehen, bringt uns beiden näher: Dem Menschen Fidel und dem máximo líder Castro.
1926 als Sohn eines Landbesitzers geboren und mit einem Jurastudium auf dem Weg zu einer bürgerlichen Existenz, riskierte Castro schon als 26-jähriger Leib und Leben und widmete sich dem Kampf gegen die blutige Batista-Diktatur. Ein im Sommer 1953 dilettantisch ausgeführter Angriff auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba wurde zum militärischen Fiasko. Er endete für viele mit Folter und Tod und für die Castro-Brüder mit Haft und Exil. In seiner Verteidigungsrede „Die Geschichte wird mich freisprechen“ verwandelte Fidel aber schon diese Niederlage in einen politischen Sieg und ließ sein bewaffnetes Abenteuer zum Fanal für den Widerstand werden. Der 26. Juli 1953 wurde zum Initialisierungsritual der kubanischen Revolution und der kultivierte und gut aussehende Anwalt, der gegen den ungebildeten und rüden Diktator antrat, empfahl sich der kubanischen –  und internationalen – Öffentlichkeit als charismatischer Führer und brillanter Rhetoriker.
Fidels klandestine Rückkehr aus dem mexika­nischen Exil, sein entschlossener Guerillakampf gegen die Tyrannei, die zunehmende Popularität seiner bärtigen Guerilla-Bewegung, schließlich die Vertreibung des Despoten und der Einmarsch in Havanna wurde für Generationen von Revolu­tionsromantiker*innen Kult. Nach dem Sieg zeigte Castro schnell, dass er sich nicht nur in den Bergen zu behaupten wusste. Er hatte ein Gespür für die Inselbevölkerung: In seinen Marathonreden beschwor er immer wieder das Projekt der Unabhängigkeit, mit dem er die zerklüftete Gesellschaft zu einen suchte.
Für die Bevölkerung wurde die Selbstbestimmung nach 500 Jahren Fremdherrschaft erstmals durch die Revolution von 1959 Wirklichkeit. Die US-Aggression wurde darum als eine Bedrohung wahrgenommen, die nicht nur die Nation, sondern auch ihre persönlichen Belange berührt. Statt Castro zu schwächen, haben die USA die Differenzen innerhalb der Bevölkerung schwinden und sie zu einer Einheit zusammenschmelzen lassen.
Die USA wurden zum Sündenbock für sämtliche interne Schwierigkeiten. Kubas Dissident*innen wurden so in dem Spannungsfeld zwischen nordamerikanischer Instrumentalisierung und staatlicher Repression zerrieben und konnten bisher kaum politische Glaubwürdigkeit erlangen.
Castro schuf darüber einen politischen und sozialen Zusammenhalt, der bis heute zu den zentralen Stützpfeilern der Revolution gehört. Er garantierte Landlosen, Tagelöhner*innen und Kleinbauern und -bäuerinnen über zwei Agrarreformen eine Existenzgrundlage und machte sie zu treuen Bündnispartner*innen. Den mehrheitlich ausgegrenzten Schwarzen öffnete er den Zugang zur Gesellschaft, gab ihnen Wohnraum, Bildung und Arbeit und sicherte sich nebenbei die Loyalität von mehr als einem Fünftel der Bevölkerung. Mit diesen Gesten erlangte er eine hohe Glaubwürdigkeit und Integrität, viele Kubaner*innen wurden zu fidelistas.
Die konfliktfähige weiße Oberschicht der Hauptstadt drängte er aus dem Land und platzierte die kleinbürgerliche Mittelschicht der Ostprovinzen – aus denen er selbst stammte – in Führungspositionen. Seitdem wusste er seinen Staatsapparat von loyalen Parteigänger*innen verwaltet. Als Vorsitzender der 1965 gegründeten Kommunistischen Einheitspartei PCC ließ er seinen Machtanspruch formal festschreiben. Danach regierte er hauptsächlich seinen Idealen und seinem Gewissen verpflichtet.
Wenig angetan war er von Gewaltenteilung, Meinungspluralismus oder demokratischer Mitbestimmung. Massenmobilisierungen war die wichtigste Dialogform zwischen Regierung und Bevölkerung und diente als Substitut für Partizipation.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Kuba wirtschaftlich eines der am höchsten entwickelten Länder Lateinamerikas. Doch der Reichtum war nur auf wenige verteilt und die Mehrheit der Bevölkerung lebte in Bedrängnis oder Elend. Die Politiker*innen ließen sich rasch korrumpieren und stürzten eine Regierung nach der anderen in die Krise. Zweimal folgte auf das Versagen der Demokratie eine blutige Militärdiktatur und ließ in der Bevölkerung ein weit verbreitetes Misstrauen gegenüber demokratischer Politik heranwachsen. Auch darum vernachlässigten Castro und seine Mitstreiter*innen Demokratie als Leitbild. Sie kamen zu dem Entschluss, dass die Revolution ihre Glaubwürdigkeit am besten durch konkrete Ergebnisse unter Beweis stellen könnte. Und nach militärischer Logik waren in dem sozial zerrissenen Kuba solche Fakten am effektivsten über eine autoritär festgelegte und straff durchgesetzte Sozial- und Wirtschaftspolitik zu schaffen.
Mit Blick auf die soziale Frage konnte dieses Vorgehen eine ansehnliche Bilanz aufweisen. Die zerklüftete Inselgesellschaft wuchs langsam zusammen. Benachteiligte Gruppen wurden in die Mitte der Gesellschaft geholt und erfreuen sich bis heute vieler sozialer Rechte.
Mit der Wirtschaft hat sich der kubanische Sozialismus hingegen immer schwer getan. Zwar wurde der Hunger schnell von der Insel vertrieben. Aber schon im dritten Revolutionsjahr begann man Grundnahrungsmittel zu rationieren. Mit dem Zusammenbruch des Sowjetsozialismus kollabierte auch die kubanische Wirtschaft; Hunger und Armut wurden nach 1989 wieder bekannte Größen. In Kuba wurde zwar eisern darauf geachtet, dass die neuen Kalamitäten nicht nur die Ränder der Gesellschaft trafen. Die Krisenlasten wurden von allen geschultert und die Schwächsten der Gesellschaft besonders unterstützt. Dafür verwandelte Fidel die Inselökonomie in das, auf was sie seit Jahrzehnten vorbereitet war: In eine Kriegswirtschaft mit totaler Rationierung, in der wenige isolierte Sektoren wie der Tourismus die überlebenswichtigen Devisen erwirtschaften sollten. Doch diese Strategie führt seither zu Verwerfungen zwischen denen, die weiter für die sozialistische Wirtschaft tätig sind und denen, die die heiß begehrten Dollars ergattern, mit denen man in Kuba fast alles kaufen kann: Der Kofferträger eines Devisenhotels ist heute Neureicher, der Universitätsprofessor darbt an den Rationierungen und lebt schlechter als manche seiner Student*innen. So fraß sich die neue Armut auf Kuba nicht von den Rändern in die Gesellschaft, sondern begann sich von der Mitte her auszubreiten.
Die aktuelle Regierung unter seinem jüngeren Bruder Raúl hat dies erkannt und verkündete bereits 2011 in einem dramatischen Appell, dass die Insel untergeht, wenn sie sich nicht wandelt. Unter dem Motto „Ohne Eile, aber ohne Pause“ finden schrittweise Veränderungen statt. Weitergehende Reformen (wie Internetzugang, Raum für die Privatwirtschaft) werden zwar in der internationalen Presse gefeiert, gehen auf der Insel aber nur für wenige mit konkreten Verbesserungen einher. Doch nachdem Kuba aufgrund der kriselnden Wirtschaftsentwicklung Lateinamerikas die Bündnispartner verlustig gehen, wird der ökonomische Druck nach Veränderung immer größer. Hierüber erklärt sich die neue Annäherung an den alten Erzfeind USA.
Fidel Castro selbst bastelt längst an seinem letzten Projekt: der Unsterblichkeit. Er will als Heros für die gerechte Sache in die Geschichte eingehen und misst sich dabei mit Persönlichkeiten wie Napoleon Bonaparte. Ebenso wie der charismatische Franzose sieht er sich als leidenschaftlicher Aufklärer und kultivierter Revolutionär im Namen der Befreiung. Wie Napoleon steht Fidel für effektive Verwaltungen, für kühle Kalkulationen, eiskalte Taktik und beachtliche Kühnheit. Fidel Castro weiß, dass mehr als die Erinnerung an die Opfer die Taten die Nachwelt überdauern und kennt Napoleons Platz in der Geschichte genau. Hier fühlt er sich ebenbürtig, hierhin geht er seinen letzten Gang. Fidel Castro wird uns also noch lange erhalten bleiben.

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