Mexiko | Nummer 463 - Januar 2013

„Diese Kandidatur wurde uns aufgezwungen”

Multimedialer Widerstand gegen den Präsidenten von Televisas Gnaden

Am 1. Dezember tritt Enrique Peña Nieto die Nachfolge von Felipe Calderón als mexikanischer Präsident an. Wie schon bei den Präsidentschaftswahlen vor sechs Jahren wurden nach dem Urnengang im Juli dieses Jahres Vorwürfe wegen Stimmenkaufs und Wahlbetrugs laut. Vor allem aber gegen die massenmediale Erfindung des neuen Präsidenten hat sich im Laufe dieses Jahres breiter Protest organisiert.

Markus Plate

Im Süden von Mexiko-Stadt, nahe der Autonomen Nationalen Universität UNAM, zeigt die Medienaktivistin Laura Reyes einer Gruppe zentralamerikanischer Journalist_innen das Studio von Radio Zapote, das als freies oder Community Radio weder ein kommerzielles noch öffentlich-rechtliches Medium ist. Radio Zapote sendet wie viele kleine Radios ohne Lizenz, zu hoch sind die bürokratischen Hürden und Kosten für die Zulassung in Mexiko. Bis zu zwei Millionen Menschen kann Zapote mit seinem UKW-Sender theoretisch erreichen, in der Praxis ist es aber nur ein Bruchteil davon. Daneben wird das Programm im Internet gesendet.
Die Journalist_innen wollen von Laura Reyes vor allem wissen, wie sie den neuen Präsidenten Enrique Peña Nieto und die Rolle der Massenmedien bei dessen Kandidatur einschätzt. Der TV-Sender Televisa habe eine fundamentale Rolle bei der Erschaffung des Images Peña Nietos gespielt, erläutert die 30-Jährige. Die Gruppe Televisa kontrolliert nicht nur Fernsehkanäle, Radiostationen und Zeitungen, sondern verlegt auch Herz-Schmerz-Blätter. In diesen Zeitschriften werde ganz offen Webung für Peña Nieto gemacht und das bereits jahrelang. „Da werden seine Frau, die ja Schauspielerin ist, und die Familie porträtiert, da wird geschrieben, wie gut Peña Nieto frisiert und gekleidet ist”, weiß Reyes. Politische und wirtschaftliche Konzepte des Kandidaten würden ausgeblendet und dunkle Seiten, zum Beispiel, dass er seine Frau schlagen soll, sogar positiv umgedeutet.
Die beiden privaten Medienkonzerne Televisa und TV Azteca, die zusammen gut 90 Prozent der Fernseh- und Radiosender und einen Großteil des Zeitungsmarktes in Mexiko kontrollieren, haben Peña Nieto schon während seiner Zeit als Gouverneur zum Präsidentschaftskandidaten der PRI hochgeschrieben. Eine Mischung aus Kandidatenhype, Unterschlagung negativer Meldungen und einer gänzlich fehlenden Programmanalyse. Dabei entspreche Peña Nieto als autoritärer Politiker offensichtlich ganz den Vorstellungen der privaten Massenmedien, wie der Fall Atenco aus dem Jahr 2006 belege. Peña Nieto war Gouverneur des Staates Mexiko, ein Bundesstaat, der an die Hauptstadt Mexiko-Stadt grenzt. 2006 wollte die Regierung dort Bäuerinnen und Bauern von ihrem Land vertreiben, um einen neuen Großflughafen zu bauen. Als Gouverneur hat Peña Nieto den Einsatz gegen die Gemeinde angeordnet, in dessen Folge 200 Menschen verhaftet und mehr als 40 Frauen vergewaltigt wurden. Laura erinnert: „Die zwei privaten Fernsehkanäle Televisa und TV Azteca haben immer wieder dieselbe Luftaufnahme gesendet, in der Bewohner von Atenco sich gegen die Polizeigewalt verteidigen. Mit diesen Bildern haben sie eine Hetzkampagne gemacht, dass die Bewohner gewalttätig seien und der Staat hier für Ordnung sorgen müsse.”
Eine Alternative zu den traditionellen Massenmedien ist auch der Fernsehsender Rompeviento.tv, der seit Anfang Juni über das Internet sendet. Der Kanal will aus Sicht der sozialen Bewegungen über das informieren, was Televisa und Co systematisch verschweigen. Sein Sitz liegt im Zentrum von Mexiko-Stadt, in der Colonia Juárez unweit der Prachtstraße Reforma. Mit dabei sind renommierte Persönlichkeiten: Programmchef ist der Wissenschaftler und Aktivist Ernesto Ledesma. Jenaro Villamil und Jesusa Cervantes, beide von der politischen Wochenzeitung Proceso, machen gemeinsam eine Sendung. Die Menschenrechtsorganisation SERAPAZ und die Student_innenbewegung #YoSoy132 gestalten wöchentliche Programme. Von Amnesty International engagieren sich der Analyst Héctor Javier Sánchez und die Feministin Lulú Barrera. Auch die Pressefreiheitsorganisation Artículo 19 soll demnächst im Sender mitarbeiten.
Der Produzent Jesús Taylor erklärt, warum Rompeviento.tv wichtig ist, auch wenn es nur im Internet sendet. Die Regierung versuche, mithilfe der Massenmedien so zu tun, als wäre alles ruhig und in Ordnung, auch wenn die Probleme im Land immer schlimmer werden. „Selbst wir hier im Sender haben viel gelernt, zum Beispiel vom Programm von Serapaz. Oder von den Frauen von Fundem, die ein paar Meter von hier auf der Avenida Reforma demonstriert und über ihre Toten und Verschwundenen geweint haben.” Die Massenmedien würden über solche Themen entweder gar nicht oder nur einige Sekunden berichten. Der großen Mehrheit im Land fehle jeder Zugang zu unabhängiger Information, sie sehe nur die Version der Regierung oder der Massenmedien und beide seien manipuliert. „Wir geben den Organisationen Sendeplätze, damit die Leute sehen, was tatsächlich in diesem Land vor sich geht”, erklärt Taylor.
Die Aufmachung aus professionell produzierten Jingles und Teasern von Rompeviento.tv wirkt wie richtiges Qualitätsfernsehen, auch wenn die Moderationen und Gesprächsrunden oft noch ein wenig träge sind. Aber man will ja auch nicht so glitzernd inhaltslos daherkommen wie die übermächtige Konkurrenz. Die Ablehnung der von Televisa und TV Azteca vorangetriebenen Kandidatur Peña Nietos sei ein wesentlicher Grund für das Entstehen von Rompeviento.tv gewesen, sagt Jesús Taylor: „Wir meinen, dass uns diese Kandidatur aufgezwungen wurde, von den Massenmedien, von der Wirtschaftsoligarchie und verschiedenen Regierungskreisen.” Im Prinzip habe sich der gleiche Betrug wiederholt, durch den schon vor sechs Jahren Felipe Calderón zum Präsidenten gemacht wurde. Und dagegen protestiere Rompeviento.tv entschieden.
Erfolgreicher medialer Widerstand in Mexiko wird jedoch nicht durch Namen, sondern durch eine Zahl symbolisiert: 132. Dahinter steht die größte und quirligste Student_innenbewegung der letzten zwanzig Jahre. Als im Mai dieses Jahres Peña Nieto an der privaten Universidad Iberoamericana sprechen sollte, kam es zu Protesten. Die Massenmedien disqualifizierten die Protestierenden als uniferne, bezahlte linke Chaot_innen. Daraufhin identifizierten sich 131 Anwesende als eingeschriebene Student_innen der Iberoamericana und in den Tagen danach tausende an anderen Universitäten als der oder die 132. Studierende. Bis zum Wahltag organisierte die schnell wachsende Bewegung landesweit Demonstrationen gegen Peña Nieto und die ihn unterstützende Medienmacht. Sie bloggte und twitterte, was das Zeug hielt, erstritt sich sogar Sendezeit bei Televisa, organisierte eine landesweite Wahlbeobachtung am 1. Juli und sendet bis heute in alternativen Medien wie Radio Zapote oder Rompeviento.tv.
Die Amtseinsetzung Peña Nietos konnte die Bewegung dennoch nicht verhindern. Nicht nur bei Deborah, Mitglied des Medienkollektivs von #YoSoy132, löste das Katerstimmung aus: „Nach dem Wahlabend gab es natürlich Frustration. Wie mächtig das System ist, das ist uns erst nach dem Wahlabend richtig bewusst geworden. Wenn du sechs Wochen lang kaum geschlafen hast, wenn du unglaublich viel Arbeit reingesteckt hast und dennoch das Ziel nicht erreichen konntest, dann ist das einfach deprimierend.” Hinzu kam, dass die politischen Gegner_innen sich aktiv wehrten: Televisa kaufte Aktivist_innen von YoSoy132 ein, die PRI-Wahlmaschinerie bot eine ganze Schar bezahlter Blogger_innen auf, die Peña Nieto in ein gutes und seine Kritiker_innen in ein schlechtes Licht rücken sollten.
Seither hat die Bewegung etwas an Kraft verloren. Vielen ist mit dem Wahlausgang die Motivation abhanden gekommen, andere ducken sich weg aus Angst vor dem, was ab dem 1. Dezember kommen mag. Auch Jesús Taylor von Rompeviento.tv befürchtet Unterdrückungsmaßnahmen, wenn Peña Nieto erst einmal Präsident ist. Für ihn ist klar, dass die Regierung Peña Nieto repressiv sein wird. Das habe der Fall Atenco überdeutlich gezeigt. Die Massenmedien versuchten, das zu kaschieren und das Bild einer Regierung der Versöhnung zu zeichnen. „Medien, die nicht auf Regierungslinie sind, müssen mit Repressionen rechnen und natürlich herrscht Angst. Wir sind schon jetzt eines der gefährlichsten Länder für Journalist_innen, wir werden zum Schweigen gebracht, nicht nur von den Narcos, auch von der Regierung. Und man muss sehen, was nach dem Regierungswechsel passiert”, sagt er.
Laura Reyes von Radio Zapote zieht dagegen eher die positive Bilanz, dass der Widerstand gegen die Kandidatur Peña Nietos einiges in Bewegung gebracht habe – und das hoffentlich weit über die Amtseinführung hinaus: „Die jungen Leute haben heute viele Werkzeuge an der Hand, oft mehr, als ihnen selbst klar ist. Zum Beispiel konnte die Bewegung #YoSoy132 sehr viel übers Netz mobilisieren und der Logik der Massenmedien einiges entgegensetzen. Es ist nicht verboten, sich der Kommunikation zu widmen. Es gibt ein Recht auf Information und Kommunikation, es geht darum, dieses Recht auch in Anspruch zu nehmen.”
Und so mag auch Ranyoz vom Medienkollektiv von #YoSoy132 nicht von einer Niederlage sprechen: „Ich glaube nicht, dass es eine Niederlage war, sondern eine Erfahrung. Wichtig an der Bewegung ist, dass wir gezeigt haben, was passiert; nämlich, dass alle Wahlinstitutionen gekauft sind, dass die Medienkonzerne Präsidenten produzieren können. Wir wussten, dass uns da ein Präsident aufgezwungen wird. Es ist ja nicht so, dass es das erste Mal wäre. Die haben über Jahre die Wahl Peña Nietos vorbereitet. Uns ist es gelungen zu zeigen, dass unsere Demokratie eine Farce ist. Ja, in der Bewegung sind viele demoralisiert, aber auf der anderen Seite konnten und können wir auch nicht erwarten, dass man einen so bedeutenden Wandel in wenigen Monaten erreichen kann.”

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren