Nummer 305 - November 1999 | Paraguay

Diplomatische Krise im Cono Sur

Paraguay kommt weder innen- noch außenpolitisch zurecht

Seit April diesen Jahres versucht in Paraguay eine Koalitionsregierung aus den großen Parteien die politischen Probleme in den Griff zu bekommen. Seit dem Mord an Vizepräsident Luis María Argaña am 23. März, der überstürzten Flucht des Präsidenten Cubas Grau nach Brasilien und des Drahtziehers des Attentats, Ex-Putsch-General Lino César Oviedo, nach Argentinien, ist bis heute keine Ruhe eingekehrt. Die Konflikte lodern auf allen Ebenen: innerhalb der Parteien, zwischen ihnen – und seit neuestem auch mit Argentinien.

Peter Altekrüger, Valentin Schönherr

Und wieder war Ex-General Lino Oviedo der Anlaß für die Krise. Der Marionettenspieler, der die Regierung Cubas Grau nach seiner Pfeife hatte tanzen lassen und als Drahtzieher des Attentats auf Vizepräsident Argaña vom 23. März 1999 gilt, setzte sich damals sofort nach Argentinien ab und erhielt dort prompt politisches Asyl (vgl. LN 299). Er versteht sich nicht nur gut mit Noch-Präsident Carlos Menem, sondern ist auch in obskure Geschäfte mit ihm verbandelt.
Oviedo traf sich in seinem Luxusanwesen in Buenos Aires mit seinen Gefolgsleuten und beriet Strategien eines politischen Come-backs. Bereitwillig äußerte er sich vor allem auch gegenüber jedem Journalisten, der ihn sprechen wollte – und eckte damit hart an: Politische Betätigung ist nach einer lateinamerikanischen Abmachung für politische Asylanten verboten. Die paraguayische Regierung unter Luis Angel González Macchi reagierte entsprechend energisch und verlangte die Auslieferung Oviedos. Als Menem dies verweigerte, begann ein Schlagabtausch von Beschuldigungen und Beleidigungen auf höchster Ebene, der mit dem zeitweiligen Abzug der paraguayischen Botschafter aus Argentinien und Uruguay auch handfeste Konsequenzen hatte. Der argentinische Außenminister Di Tello wiederum zweifelte an, daß die vierjährige Amtszeit des paraguayischen Präsidenten nach der Frühjahrskrise überhaupt legal ist.

Diplomatische Eiszeit

Die diplomatische Eiszeit dürfte nicht enden, bevor nicht das Problem Oviedo bewältigt ist. Eine Lösung ist da allerdings nicht in Sicht. Die paraguayische Regierung will Oviedo im eigenen Land hinter Gitter bringen. Argentinien und die USA fürchten jedoch, daß bei einer Rückkehr Oviedos die gesamte Region destabilisiert werden könnte. Die beiden aussichtsreichsten Kandidaten für die argentinische Präsidentschaft am 24. Oktober, Duhalde von den regierenden Peronisten und De la Rúa von der oppositionellen Alianza, wollen die Menemsche Politik nicht weiterverfolgen, sondern Oviedo so schnell wie möglich außer Landes bringen.
Wenn sich keine Drittländer bereiterklären, Oviedo aufzunehmen – Panama, Venezuela und sogar Deutschland waren hypothetisch im Gespräch –, könnte es spätestens nach dem Amtsantritt des neugewählten argentinischen Präsidenten am 10. Dezember doch zu einer Auslieferung Oviedos nach Paraguay kommen. Zunächst hat Menem die Situation zu entschärfen versucht, indem er Oviedo Anfang Oktober zum Umzug von Buenos Aires ins 3 000 Kilometer südlich gelegene Feuerland zwang.

Ein Strohmann für Feuerland

Im verbalen Schlagabtausch ist von argentinischer Seite gelegentlich das Argument vorgebracht worden, die Regierung des Nachbarlandes wolle mit dem Wirbel um Oviedo in erster Linie von den hauseigenen politischen Problemen ablenken. Das ist nicht aus der Luft gegriffen, zumal bei den paraguayischen Bemühungen um Oviedo offenbar die politische Symbolik eine wichtige Rolle spielt. So ist es um den nach Brasilien geflohenen Ex-Präsidenten Cubas Grau bemerkenswert still, obwohl dieser als Strohmann Oviedos keine geringe Verantwortung für die Frühjahrsunruhen trägt. Oviedo, der nach wie vor damit droht, nach Paraguay zurückzukehren und dann einen „Staatsstreich mit Wahlstimmen“ zu führen, taugt jedoch viel besser als Feindbild, gegen das die politischen Kräfte in Paraguay mobilisiert werden können. Dabei darf allerdings der nach wie vor beträchtliche Einfluß vom charismatischen General Oviedo auf seine Anhänger nicht unterschätzt werden.

Personalkarussell und Flügelkämpfe

Die Krise scheint so schlimm, daß eine von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin für den 13. Oktober anberaumte Tagung über die deutsch-paraguayische Zusammenarbeit kurzfristig abgesagt werden mußte – immerhin waren zwei Minister der ehemaligen Oppositionsparteien und verschiedene Parlamentarier geladen. Schließlich könnte der eigene Posten bei der Rückkehr ja andersweitig vergeben sein. Trotz der Gründung einer Regierung der nationalen Einheit nach der Staatskrise im Frühjahr sieht es mit der Einheit schlechter denn je aus. Noch wird der vereinbarte Status quo gehalten und sind die Ministerposten entsprechend verteilt, sechs für die Colorados, je zwei für die Liberalen und den Encuentro Nacional. Aber das Personalkarussell dreht sich, schon mehrere Minister mußten – mitunter auch auf Drängen aus den eigenen Reihen – ihren Posten räumen, unter ihnen Anfang September auch Außenminister Miguel Saguier von den Liberalen.
Nicht nur die seit 1940 ununterbrochen regierende Colorado-Partei ist in sich zerstritten, auch der Partido Liberal Radical Auténtico besteht zumindest aus zwei miteinander zerstrittenen Fraktionen. Ein Parteitag der Liberalen wurde unlängst zum Kampfschauplatz, als die Delegierten mit allen möglichen Einrichtungsgegenständen gegeneinander vorgingen. Setzt sich dieser Trend fort, könnten durchaus wieder mehrere selbständige liberale Parteien entstehen – unter dem Stroessner-Regime waren es zu Spitzenzeiten acht. Der sozialdemokratisch orientierte Encuentro Nacional scheint noch nicht in diesem Maße betroffen, obwohl sich auch dort mehrere innerparteiliche Strömungen mit eigenen Namen und eigenen Programmen gebildet haben.

Ex-Präsident Wasmosy unter Druck

Geschickt hat es der Parteiflügel des ermordeten Vizepräsidenten Luis María Argaña geschafft, seine Machtposition innerhalb der Colorado-Partei auszubauen: Die beiden Söhne von Argaña scheinen die Fraktion fest im Griff zu haben. Obwohl die Fraktion UNACE des flüchtigen Generals Oviedo noch immer existert, laufen immer mehr ihrer AnhängerInnen zu den Argañisten über. Oder aber die Betroffenen werden aus der Partei ausgeschlossen – ein Schicksal, das Oviedo und 60 seiner Gefolgsleute ereilte. Gegenwärtig wird unter anderem versucht, den gewählten Bürgermeister von Ciudad del Este an der brasilianischen Grenze abzusetzen, weil er sich noch immer zu Oviedo und seiner Bewegung bekennt. Aber auch die dritte große Colorado-Fraktion des ehemaligen Präsidenten Wasmosy steht seitens des Argaña-Flügels unter Druck. Die Immunität von Wasmosy als Senator auf Lebenszeit wurde aufgehoben, und damit ist der Weg bereitet, ihm wegen Korruption den Prozeß zu machen. Unter diesen Bedingungen dürfte die Regierung der nationalen Einheit das Jahresende nicht überstehen.

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