Mexiko | Nummer 355 - Januar 2004

Diskursguerilla: mehr als „schöne Worte“

Wie die Zapatisten durch ihre Wortergreifung den Machtdiskurs unterwandern

Neben dem physischen in Erscheinung Treten der EZLN als bewaffnete Befreiungsguerilla in Mexiko, waren vor allem neue Diskursformen und Metaphern wichtig für ihre Anerkennung in der internationalen Öffentlichkeit. Der herrschende mexikanische Machtdiskurs besonders der damaligen Staatspartei PRI (Partei der institutionalisierten Revolution) sollte so durchbrochen werden und mit ihm das zum Nationaldiskurs gewordene Prinzip der mestizaje.

Anne Huffschmid

Ihr Coming Out war alles andere als poetisch. Das Kommuniqué, mit dem in den ersten Morgenstunden des Jahres 1994 die Häuserwände von San Cristobal de las Casas plakatiert wurden, war eine flammende „Kriegserklärung“, flankiert vom Aufruf, gemeinsam mit den aufständischen Truppen „zur Hauptstadt vorzustoßen“ und den „Diktator zu stürzen“. Diesem Ruf mochte bekanntlich niemand folgen. Stattdessen machte sich Staunen breit im Lande, Bewunderung und auch Bestürzung über die offenkundige Todesverachtung der eher karg bewaffneten Rebellen.
Mehr als alle Waffengewalt war es das allererste Wörtchen, das Neugier und Echos provozierte und im Nu zum Slogan wurde: Basta, es reicht. Mit dieser Losung verbreitete sich wie ein Lauffeuer die Genugtuung darüber, dass den Regierenden quasi über Nacht die Diskurshoheit entzogen war. Das Geschwätz vom dank NAFTA unmittelbar bevorstehenden Eintritt in den First-World-Club war als „erstweltlerische Selbstgefälligkeit“ enttarnt, wie Carlos Fuentes in diesen ersten Januartagen schrieb. Statt von Berichten über die Segnungen des Freihandels waren die Zeitungen plötzlich voll von Sozialreportagen und Elendsstatistiken. Zugleich wurde mit der Selbstbenennung als Zapatistas der wohl paradoxeste aller Revolutionshelden – der als Verratener zur Gallionsfigur der offiziellen Geschichtsschreibung mutiert war – gegen das marktliberale Credo in Stellung gebracht, dass alles, eben auch das Land, (ver)käuflich sein müsse. Schließlich wurde der Mythos der Rassenharmonie, der jahrzehntelang alles Indigene zur Folklore im großen melting pot der mestizaje degradiert hatte, als Lebenslüge des postrevolutionären Mexiko demaskiert – übrigens auch der Linken, die das „schmutzige Geheimnis Rassismus“ (Carlos Monsiváis) bis dahin recht erfolgreich verdrängt hatte. Über die Landesgrenzen hinaus zündete das zapatistische basta mitten im positivistischen, denkfaulen Zeitgeist der neunziger Jahre einen diskursiven Sprengsatz: dass Revolte, wo, wie und gegen wen oder was auch immer, ebenso nötig wie möglich sei.
Es folgte weiteres Staunen: über die im Vergleich zu anderen Befreiungsbewegungen geradezu professionelle Pressearbeit und die hypermodern anmutende Internet-Nutzung, mittels derer schon nach kurzer Zeit sämtliche Texte weltweit ad hoc abrufbar waren und bis heute sind (www.ezln.org). Schnell machte das griffige Etikett der Medien- und Internetguerilla die Runde. Doch die Presseberichterstattung verflachte und verflüchtigte sich bald, auch der Cyberspace diente eher der quantitiven Beschleunigung denn zur qualitativen Vertiefung des zapatistischen Vernetzung. Die raffinierteste Kommunikationstechnologie war und blieb das gesprochene und geschriebene Wort, la palabra zapatista.

Die zapatistische Wortergreifung
Die palabra zapatista basierte vor allem auf der Verfremdung bestehender Repertoires und Mythologien, also auf der diskursiven „Unterwanderung“ einer ohnehin brüchigen kulturellen Semantik. An erster Stelle war das die Semantik der maroden Legitimationsmaschine einer verratenen weil „institutionalierten“ Revolution und ihrer Leitfigur Zapata, die mit einer Maya-Gottheit zu einer neuen Figur (Votán-Zapata) verschmolzen wurde. Gegen den paternalistischen indigenismo, der die „übrig gebliebenen“ Indios immer wieder aufs Neue zu Objekten staatlicher Fürsorge und Diskurse machte, traten Indigene nun als Subjekte einer kulturellen und politischen Erneuerung auf. Schließlich entriss man den marktliberalen Modernisierern ihr Versprechen der Demokratie und wendete es gegen den autoritären Status quo – eine bis zum Regierungswechsel 2000 höchst effiziente diskursive Strategie.
Über die Landesgrenzen hinaus wurde ein – global mehr oder weniger institutionalisierter Menschenrechtsdiskurs – radikalisiert und das Konzept der „Menschenwürde“ entwickelt, die mehr bedeutet als Recht auf Leib und Überleben. Mit dem Neoliberalismus war schon Mitte der Neunziger die zunehmende Entgrenzung kapitalistischer Einheitslogik benannt, die grenzüberschreitende Gegenwehr geboten erschienen ließ. Diese machte durch die eigentümliche Gegenüberstellung von „Neoliberalismus versus Menschheit“ neoliberale Denker und Macher flugs zu außerirdischen Widersachern – ein abstruses Konstrukt, das nur durch die hübsch ironische Wendung vom „intergalaktischen“ Widerstand, zumindest metaphorisch, wieder aufgefangen wurde. Zu dessen zentraler Protagonistin wurde die „nationale und internationale Zivilgesellschaft“ ernannt. Auch dies war ein Umkopplungsmanöver, denn gerade im neoliberalen Weltbild war der sociedad civil ja eine Paraderolle bei der Entstaatlichung und Deregulierung sozialen Handelns zugedacht. Von den Zapatistas wird diese nun, ohne jede theoretische Absicherung und sehr zum Leidwesen aller Definitionsfetischisten, schlicht zur Bündnispartnerin gegen das politische Establishment erkoren. So ist „Señora Zivilgesellschaft“ im zapatistischen Diskurs heute nichts als der Eigenname für jene schöne Unbekannte, die nicht per se, sondern nur in dem Maße existiert, wie sie behauptet und imaginiert wird.

Bestimmung des Begriffs Zapatismus
Diese Imagination gilt auch für den zapatismo selbst, der sich als politischer Akteur erst „behaupten“ muss. Statt einer ethnisch (oder national) begründeten Identitätspolitik setzt diese Selbstbehauptung vor allem auf die Politisierung eines altmodisch anmutenden Begriffs: „Wir wollen, vor allem anderen, Respekt. Respekt vor dem, was wir sind“, sagte Comandante Tacho in einem Presseinterview im Frühjahr 2001. „Wir wollen ihnen sagen: hier sind wir. Wir sind es. Wir sind Mexikaner. Wir sind Indios.“ Der anklingende Wir sind-Essentialismus ist somit (meist) strategischer und eben nicht fundamentalistischer Natur. Bei allen ethnozentrischen oder auch nationalistischen Anflügen sind Indios und MexikanerInnen Wahlidentitäten, die eine Funktion erfüllen, das MexikanerIn-Sein als Teilhabe (und nicht Abspaltung), das Indio-Sein als Zeichen für kulturelle Ausgrenzung und Differenz. Dabei verweist das Beharren auf der eigenen Differenz (als Mayas) immer zugleich auf die Existenz von anderen Differenten (Frauen, Homosexuelle, Dissidenten) und wird so zum Postulat von Diversität, ein grundlegend anderes Konzept als Identität.
Immer wieder mischen sich in diese unorthodoxe Collage, in der Subcomandante Marcos als eine Art Label fungiert, darin nicht unähnlich einer „Marke“ wie ATTAC, Versatzstücke sehr konventioneller Repertoires. Diese erzeugen nicht unerhebliche Spannungen, etwa zwischen nationalistischer Rhetorik und „intergalaktischer Umlaufbahn“, zwischen Militarismus und Militärkritik, zwischen anti-autoritärem Anspruch und revolutionärer Disziplin, zwischen dem Ethos der Kollektivität und dem der Dissidenz, zwischen den um Selbstopferung kreisenden Märtyrerdiskursen und libertärem Lustprinzip.

Die Maske/Spiegel-Metapher
Diese Widerhaken finden sich auch in der zaptistischen Bildsprache, die zum einen von einer naturalisierenden „Blut- und Boden“-Metaphorik geprägt ist, zugleich aber eine Reihe origineller, weil sinnproduktiver Bilder hervorgebracht hat. So wird die anfangs noch non-verbale Gesichtsverhüllung mit paliacate (Gesichtstuch) oder pasamontañas (das komplette Gesicht außer Augen verhüllende Mütze) als „Maske“ zum Sprachbild und damit zum zentralen Kennzeichen der zapatistischen Inszenierung. War die Maskierung bis dahin vor allem als Requisit indigener Folklore oder auch als Ausweis für Militanz und Gewaltbereitschaft kodiert, so wird sie hier zur paradoxen Performance der indigenen Gesichtslosigkeit: denn erst die Vermummung weist den mestizischen Mainstream darauf hin, dass die vermummten Indigenen überhaupt ein unterscheidbares Gesicht haben. Verknüpft wird die Maske im zapatistischen Text nun mit dem Spiegel, der für ein interaktives Selbstverständnis steht, das Identifikation statt Identifizierung bietet: die Maske wird zum Spiegel, in der Betrachtung wird die Leere des abwesenden Gesichts mit einem Antlitz gefüllt. In dieser Spiegelmaske soll der oder die Betrachtende sowohl den Anderen, ehemals Unsichtbaren, wie auch sein eigenes „wahres“ Bild (Elend, Widerständigkeit) erkennen. Der Haken dabei: Wirklich neue Bilder können in einer nur spiegelverkehrten Projektion kaum entstehen, Selbsterkenntnis oder gar -kritik geht mit einer solchen Selbstbespiegelung nicht automatisch einher. So bezeichnet die Spiegelmaske als sinnbildliche Verknüpfung zwischen den maskierten Aufständischen und ihrem zivilen, unmaskierten Gegenüber recht präzise das Dilemma einer Bewegung, die auf Betrachter – also politische Resonanzen – existenziell angewiesen ist.
In der Eröffnungsrede zum intergaláctico wird dieses Angewiesensein als utopische Verschmelzung beschworen: „Detras de nosotros estamos ustedes“ (hinter uns stehen ihr), eine grammatikalisch „unmögliche“ Behauptung , die das politisch Unvorstellbare – die Fusion von Uns, den Bewaffneten, mit Euch, den Zivilen – einen Satz lang denkbar macht. Letztlich, so heißt es in derselben Rede, solle der binär angelegte Spiegel dann auch „zu Glas“, also durchschaut und durchschritten werden, eine Anlehnung an Lewis Carrols’ Alice im Wunderland, die immer wieder als Kronzeugin für eine Logik des Widersinns herangezogen wird. „Du gebrauchst Alice im Wunderland wie der Che die Guerilla-Erfahrungen des Ho Chi Minh benutzen konnte“, sagte Manuel Vázquez Montalbán einmal im Gespräch mit Marcos. Eben das bedeutet Diskursguerilla: der Widersinn als Waffe, das Eindringen hinter die gegnerischen Diskursfronten, der Angriff an unerwarteten Orten und die Nutzung der Paradoxie als diskursive (also politische) Produktivkraft.

Die caracoles als neues Konzept
Im Sommer 2003 haben die Zapatistas nun eine neue Metapher kreiert, die caracoles, die Schneckenmuscheln. Die Umbenennung der Versammlungsorte der Zapatisten von Aguascalientes in caracoles kommt einer signifikanten Umkodierung gleich: von einem national-historischen Fundus (Die Bezeichnung Aguascalientes hatten die Zapatisten von dem gleichnamigen Ort, der 1917 Schauplatz des revolutionären Konvents war, übernommen) zu einem indigenen Symbolrepertoire. Die Spiralform der caracoles wird nach den Worten von Marcos in doppelter Richtung nachvollzogen, „in das Herz hinein, wie die Allerersten das Wissen genannt haben“, und zugleich „aus dem Herz hinaus, in die Welt, wie die Allerersten das Leben genannt haben“. Die beiden Fluchtpunkte der Schneckenspirale sind demnach Wissen und Welt/Leben, das Innere und das Äußere. Offen bleibt, welche der beiden Strömungen, die offen-libertäre oder die geschlossen-essentialistische, im Weiteren die Oberhand gewinnt.
Das wird davon abhängen, ob es gelingt, die Alltagsorganisation der Gemeinden nach außen als Prozess zu kommunizieren, der dem Konzept der indigenen Regionalautonomie leibhaftige Anschauung verschafft und sich dennoch nicht selbst genügt. Denn die Verengung nach innen käme einer Normalisierung der klandestinen Logik gleich, der Metamorphose in Widerstandsdörfer – etwa nach guatemaltekischem Vorbild, deren Überleben von militärischen Strukturen und dem Kampf um materielle Versorgung bestimmt ist. Der Widersinn drohte dann womöglich wieder zum reinen Widerstand zu gerinnen, die Wort- hinter die Waffenergreifung wieder zurückzutreten. In der Verfestigung einer normalen Klandestinität würden immer weniger Resonanzbeziehungen mit der politischen Umwelt generiert.
Unabhängig von dem Fortgang der Geschichte ist den Zapatistas in der Dekade ihrer öffentlichen Existenz vor allem eines gelungen: zu zeigen, dass diskursive Gewalt porös ist und dass übermächtige Gegner und Legitimationsmaschinen symbolisch angreifbar sind. So ist die EZLN gerade kein Beispiel für die „Nicht-Kommunizierbarkeit“ sozialer Revolten, die die Empire-Theoretiker Hardt und Negri für die meisten Kämpfe der neunziger Jahre konstatieren. Im Gegenteil, gegen das immer wieder kehrende Missverständnis vom Überbau der schönen Worte, des Nur-Symbolischen als Gegensatz zur aller realen (weil „materiellen“) Politik, sind die Zapatisten ein Beleg dafür, dass Politik nicht ohne Macht zu denken ist und Macht nicht ohne Diskurs – und dafür, dass „diskursive Praktiken“ unter Umständen sogar lebenserhaltend sein können.

Von Anne Huffschmid erscheint im Frühjahr 2004 bei Synchron das Buch Diskursguerilla: Wortergreifung und Widersinn. Die Zapatistas im Spiegel der mexikanischen und internationalen Öffentlichkeit.

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