Deutschland | Lateinamerika | Nummer 287 - Mai 1998

Dr. Carlos Marx in Nicaragua

Eine Ko-Operation zwischen der Juventud Sandinista und der FDJ

Auf der Grundlage einer zwischenstaatlichen Vereinbarung unterhielt die DDR von1985 bis zu ihrem Ende das „Hospital Carlos Marx“ in Managua. Dort arbeiteten, zusammen mit rund 400 nicaraguanischen Angestellten, manchmal bis zu 100 Leute aus der DDR: Ärzte, Krankenschwestern, Techniker, Dolmetscher usw. Mit einem beispiellosen Aufwand wurden Medikamente und Materialien – vom Wasserhahn bis zum Röntgengerät – aus der DDR geliefert und so ein „Kreiskrankenhaus der DDR auf nicaraguanischem Boden“ aufgebaut und arbeitsfähig gehalten.

Sabine Zimmermann

Ich war eher von meinem Fernweh geleitet, als ich schnell und ohne groß zu überlegen laut und deutlich „ja“ sagte, als man mich fragte, ob ich nicht für zwei Jahre als Dolmetscherin am Hospital in Managua arbeiten wollte. Das war 1987, ich begann gerade mein letztes Studienjahr und träumte davon, wenigstens den spanischsprechenden Teil der Welt einmal zu sehen. Von Nicaragua wußte ich nicht viel, von dem Krankenhaus wußte ich das, was man eben wußte in der DDR – es war ein sympathietragendes Projekt, über das in der Presse ziemlich oft berichtet, für das immer wieder Geld gesammelt und auch lieber als für andere Projekte gegeben wurde. Da funktionierte das SpenderInnenherz in der DDR nicht anders als anderswo: anrührende Bilder von kranken Kindern haben noch immer die Herzen bewegt und die Portemonnaies geöffnet – Gott sei dank.

„Geleitet von dem gemeinsamen Ziel, die Beziehungen der Freundschaft und der antiimperialistischen Solidarität zu festigen, die die Völker und die Jugend der Deutschen Demokratischen Republik verbinden, und in Übereinstimmung mit der Vereinbarung über Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen der FDJ und der Juventud Sandinista 19 de Julio (JS 19 J) schließen der Zentralrat der FDJ, das Ministerium für Gesundheitswesen der DDR, das Nationale Exekutivkomitee der JS 19 J und das Ministerium für Gesundheitswesen der Republik Nikaragua folgendes Protokoll über den Einsatz der Brigade der Freundschaft der FDJ „Karl Marx“ im Krankenhaus Managua, das von der DDR als Solidaritätsgeschenk an die Regierung der Republik Nikaragua übergeben wurde, ab.“(Präambel eines Protokolls zwischen dem Zentralrat der FDJ, der Juventud Sandinista, dem nicaraguanischen Jugendverband, und den Ministerien für Gesundheitswesen beider Länder von 1985)

Im Stadtteil Xolotlán von Managua, im Osten der Stadt, war 1985 das Hospital „Carlos Marx“ entstanden. Erst war es in großen Zelten untergebracht. Operiert wurde in OP-Containern, wie es sie für Feldlazarette gibt, mit tarnfarbener Verkleidung. Mit der Zeit wurden dann Fertigteilhäuser daraus und feste Gebäude. Während der sogenannten III. Ausbaustufe 1989 kamen ein moderner OP-Trakt und ein Kreißsaal dazu. Es wurde immer erzählt, daß das Krankenhaus ein ausdrücklicher Wunsch der nicaraguanischen Regierung war – und daß Honecker ein Faible hatte für dieses kleine mittelamerikanische Land und deshalb diesem Wunsch entsprach. Das Hospital – eine Chefsache? Womöglich. Das wäre auch eine Erklärung dafür, daß für das Krankenhaus, das finanztechnisch ein Faß ohne Boden war (der jährliche Finanzbedarf lag schätzungsweise bei 4 Mio. Mark), immer Mittel zur Verfügung standen, auch als es der DDR ökonomisch schon ziemlich schlecht ging. Besucht hat Honecker das Land nie, aber als Indiz für die Verbundenheit mag auch die Tatsache gelten, daß Daniel Ortega ihn Anfang der neunziger Jahre in der Haftanstalt Moabit besucht hat.

Artikel 1

Der Zentralrat der FDJ und das Ministerium für Gesundheitswesen der DDR entsenden eine Brigade der Freundschaft der FDJ nach Managua, um die medizinische Betreuung der Bevölkerung der Hauptstadt der Republik Nikaragua sowie die Qualifizierung junger nikaraguanischer Kader im Bereich des Gesundheitswesens zu unterstützen.
Von Anfang an war der Andrang von Patienten riesig groß und steigerte sich jedes Jahr beträchtlich. Es beschränkte sich keineswegs auf das geplante Einzugsgebiet der Hauptstadt. Manche Leute, beispielsweise von der Atlantikküste oder aus dem Grenzgebiet zu Honduras im Norden, nahmen tagelange, beschwerliche Reisen auf sich, um ins Krankenhaus zu gelangen und in der Sprechstunde dann ein paar Minuten mit dem Arzt zu reden. Dieser Zulauf schmeichelte dem Projekt und seinen Schöpfern und ist natürlich auch Ausdruck der (objektiven oder subjektiv wahrgenommenen) Defizite des nicaraguanischen Gesundheitswesens. Nicht zu unterschätzen ist auch der exotische Faktor – es war ganz einfach schick, zu einem Doktor zu gehen, der aus Europa kam, aus Deutschland.
Das Hospital war als ein Krankenhaus der Grundversorgung angelegt, das heißt es gab die Fachrichtungen Allgemeinmedizin/ Innere Medizin, Gynäkologie und Geburtshilfe (ab 1989), allgemeine Chirurgie und Kinderheilkunde. Komplizierte Erkrankungen, die eine spezialisierte Behandlung erforderten, wurden an die Fachkrankenhäuser in der Stadt überwiesen. Im Hospital „Carlos Marx“ wurden ca. 100.000 Patienten jährlich ambulant, mehr als 10.000 stationär behandelt. Neben der Betreuung der Patienten bestand eine zentrale Aufgabe auch in der Ausbildung von nicaraguanischen Fachärzten für Allgemeinmedizin. Dies war für Nicaragua eine neuartige Fachrichtung, die ausschließlich am Hospital „Carlos Marx“ ausgebildet wurde.

Artikel 2

… [Die vertragschließenden Seiten] fördern die freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Jugend der DDR und Nikaraguas und den Austausch von Erfahrungen der Arbeit der FDJ und der JS 19 J.

So ganz ernst war das mit der Freundschaft von offizieller Seite wohl nicht gemeint. Im Gegenteil. Wir hatten ziemlich strenge Vorschriften, was den privaten Umgang mit Nicaraguanern betraf. Eine MTA mußte sogar vorzeitig ihren Einsatz abbrechen und in die DDR zurückkehren, weil sie eine Affäre mit einem Nicaraguaner hatte und das auch nicht mehr versteckte. Verbrämt wurde diese „Kontaktsperre“ (hinter der wie überall die Phobie steckte, die Leute könnten sich absetzen, via Nicaragua in den Westen) mit dem Sicherheitskonzept, das die staatlichen Stellen hatten. Komisch: Die Freundschaft, die auf dem Papier vereinbart wurde und formal auch in organisierten offiziellen Begegnungen abgefeiert wurde, durfte denn im Kleinen und Konkreten nicht sein. Sie existierte aber doch, und zwar viel tiefer, als es sich die Initiatoren des Projektes vorstellen konnten. Die tägliche Arbeit verband manche trotz Sprachbarrieren und kurzer Dauer der Begegnung (und den Vorschriften zum Trotz) aufs tiefste miteinander. Die Geschichte dieser Brigade ist auch eine Geschichte des ständigen Kommens und Gehens, der permanenten Abschiede von Freunden, die – zu DDR-Zeiten – immer endgültige Abschiede waren. Die Chance, sich ein zweites Mal im Leben zu begegnen, war gering.

Artikel 3

Für die Verwirklichung dieses Protokolls übernehmen das Ministerium für Gesundheitswesen der DDR und der Zentralrat der FDJ folgende Verpflichtungen:
(…)
5. Notwendige medizinische und technische Ausrüstungen für das Krankenhaus zu liefern sowie Medikamente, Verbandsmaterial und andere notwendige Materialien und Ersatzteile bereitzustellen.
6. Die Vergütung der Brigademitglieder und ihrer Familienangehörigen in der DDR und in der Republik Nikaragua.
(…)
8. Die Lieferung von Materialien für die Ausrüstung der Wohnungen für die Brigademitglieder und ihrer Familienangehörigen sowie deren Versorgung mit Dingen des persönlichen Bedarfs, Haushaltsgeräten und Materialien für die kulturelle und sportliche Betätigung…

Es war wirklich witzig: Bis hin zum Klopapier wurde jedes kleinste Materialstückelchen aus der DDR geliefert – der Transport war aus damaliger Sicht immer noch „billiger“, als für Devisen vor Ort oder in der Region einzukaufen. Das war auch der Grund dafür, daß (für die klimatischen Verhältnisse völlig irrsinnige) Doppelfenster in den Fertigteilhäusern hingen, die sich noch nicht einmal ankippen ließen, oder daß DDR-Türklinken montiert wurden, die man in Nicaragua nicht kennt und mit deren alltäglicher Handhabung alle, Schwestern wie Patienten, arge Probleme hatten. Richtig fatal allerdings war das Kapitel „Stromversorgung“: Der in Nicaragua aus den Kraftwerken gelieferte Strom hat 60 Hertz, die fast ausschließlich aus der DDR stammenden medizinischen und sonstigen technischen Geräte jedoch liefen mit den hier üblichen 50 Hertz. Die Lösung sah so aus, daß der Strom erst einmal gleichgerichtet und dann wieder zerhackt wurde, und dieses System war entsprechend störanfällig. Zeitweilig mußte der Notstromgenerator ununterbrochen laufen – mit Diesel, also der teuersten Art überhaupt, Strom herzustellen! Daß diese Sachen keine Schildbürgerstreiche waren, sondern aus den Gegebenheiten (um nicht zu sagen: aus der Not) der DDR-Wirtschaft geboren wurden, daran sei hier kurz erinnert.
In einem internen Gutachten, das ein Vertreter von medico international gleich 1989/90 verfaßte, war zu lesen: „Bei dem Krankenhaus handelt es sich um ein Prestigeobjekt der DDR-FDJ, das ohne entwicklungspolitische Konzeption hingestellt wurde. Vielmehr wurde ein DDR-Kreiskrankenhaus nach Nicaragua exportiert, um dort Eindruck zu machen. Vor allem Fragen der laufenden Kosten, der Folgekosten etc. wurden niemals angegangen.“ Daß dem so war, bestreitet heute keiner. Trotzdem haben diejenigen, die dabei waren, viel davon gehabt.

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