Nummer 308 - Februar 2000 | Peru

Drei Särge im Hof

Erfolgloser Hungersteik in peruanischen Gefängnissen

Nach einem Monat brachen MRTA-Gefangene in den Haftanstalten Callao, Yanamayo, V. Socabaya und Sta. Mónica einen Hungerstreik ab. Sie wollten auf ihre grausamen Haftbedingungen aufmerksam machen, doch die Medien schwiegen sich aus. Sie hofften auf eine Lockerung der Isolationshaft, doch Fujimori blieb hart.

Rolf Schröder

Der peruanische Präsident Alberto Fujimori war sauer. Chilenische Journalisten hatten ihn bei seinem Staatsbesuch mit ihren Fragen so genervt, dass er eine anschließende Tischrede Präsident Freis zu seinen Ehren unbeantwortet ließ. Was er davon halte, der Pinochet Perus genannt zu werden, war er gefragt worden. Fujimori gab sich ahnungslos. Er wisse nur, dass man ihn in seiner Heimat „el chi-no“, den Chinesen, nenne. Jeglicher Vergleich mit dem chilenischen Ex-Diktator sei überdies eine Beleidigung für einen demokratisch gewählten Präsidenten. Doch Fujimori vergaß zu erwähnen, dass in Peru ein neuer Spitzname für ihn kursiert, der beide zusammenfaßt: Präsident Chinochet.
Die chilenischen Journalisten hatten Fujimori wegen seiner unnachgiebigen Haltung im Falle von vier chilenischen MRTA-Gefangenen attackiert, die von peruanischen Militärrichtern im Schnellverfahren zu lebenslanger Haft verurteilt worden waren. Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte in Costa Rica hatte im Juli dieses Jahres ein neues Verfahren für die Chilenen gefordert (siehe LN 301). Doch sie sind keine Einzelfälle: Tausende von Aktivisten des MRTA oder des Sendero Luminoso wurden von der Militärjustiz des Fujimori-Regimes wegen Terrorismus oder Vaterlandsverrat angeklagt, und abgeurteilt; in Prozessen, die internationale Rechtsnormen verletzen. Die Verurteilten sind eingekerkert in dunklen Betonlöchern.
Wer sich in Peru für das Schicksal dieser Gefangenen interessiert, läuft Gefahr, selbst terroristischer Umtriebe verdächtigt zu werden. So blieb der Hungerstreik, in den die MRTA-Gefangenen der Gefängnisse Callao, Yanamayo, Sta. Mónica und Socabaya am 21. September getreten waren, weitgehend unbeachtet. Nur die Oppositionszeitungen „El Comercio“ und „La República“ sowie ein Sender im Kabelfernsehen berichteten gelegentlich über das Ereignis. Aktuelle Informationen zum Streik gab es nicht. Das Internationale Rote Kreuz in Lima beantwortet keine Fragen zur Situation der MRTA-Gefangenen, obwohl seine Vertreter alle 45 Tage Zugang zu den Gefängnissen haben. Peruanische Menschenrechtsorganisationen, deren Mitarbeiter ohnehin als Terroristenfreunde beschimpft werden, halten sich zurück. Die Medien sind weitgehend gleichgeschaltet. Enge Verwandte der Gefangenen, die einzigen, die neben dem Roten Kreuz überhaupt Zugang zu den Zellen haben, blieben bis zum Ende des Streikes von allen Informationen abgeschnitten. Doch die Mütter einiger Gefangenen können wenigstens Zeugnis über die Situation in den Gefängnissen ablegen. Sie dürfen ihre Söhne einmal im Monat für eine halbe Stunde besuchen, doch sie bleiben durch eine dicke Glasscheibe von ihnen getrennt.

Nur eine Hand in der Luke

Otilia Campos und Nancy Rin-cón, die Mütter von ehemaligen MRTA-Kommandanten berichten, daß ihre Söhne in der Marinebasis Callao pro Tag nur eine halbe Stunde an die frische Luft dürfen. Zu unterschiedlichen Zeiten. Kein Anwalt, kein Priester und kein Gefängniswärter wird zu ihnen vorgelassen. Die Hände eines Unbekannten servieren das Essen durch eine schmale Luke. Die Häftlinge sind von allen Informationen abgeschnitten. Nur die Bibel und einige Bücher sind erlaubt, doch Autoren wie Vargas Llosa oder García Márquez stehen schon auf dem Index. Die Maße ihrer Zellen sprechen für sich selbst: 3 Meter Höhe, 1,80 m mal 2 m Grundfläche, in der Decke ein quadratischer Lichtschacht von 15 mal 15 cm. Die Wände bestehen aus einer 70 cm dicken Betonschicht. Eine Latrine und eine 50 cm breite Pritsche gehören zur Ausstattung. Die Mütter berichten, dass für ihre Söhne der Hungerstreik der verzweifelte Versuch war, die Aufhebung ihrer totalen Isolation zu erreichen. Denn Beschwerdebriefe der Gefangenen, unter anderem an die Vorsitzenden der Menschenrechtskommission des peruanischen Kongresses und der peruanischen Anwaltskammer, waren zuvor nicht weitergeleitet worden.
Nach Einschätzung der Mutter Polays sollen die MRTA-Gefangenen mit ihrer strengen Isolationshaft dafür bestraft werden, dass sie, anders als der ehemalige Führer des Sendero Luminoso, Abímael Guzmán, nicht dem bewaffneten Kampf abgeschworen haben. Guzmán sitzt ebenfalls in Callao. Doch der ehemalige Premierminister Fujimoris, Javier Valle Riestra, gab unlängst zu, dass Guzmán zusammen mit seiner Gefährtin, Elena Iparaguirre, eine Zelle mit Zugang zu einem kleinen Hof beziehen durfte und seine Haftbedingungen gelockert wurden.

Die Kranken aus Yanamayo

MRTA-Gefangene aus anderen Haftanstalten schlossen sich dem Streik an, allein sechzig aus dem Hochsicherheitstrakt in Yanamayo, der auf einer Höhe von 3900 m im Bezirk Puno liegt. Was die Angehörigen der dort eingesperrten Gefangenen erzählen, ist ebenso erschütternd wie die Berichte aus der Marinebasis Callao. Für eine Stunde Besuchszeit im Monat treten sie den weiten und beschwerlichen Weg in die Sierra an. Allein von Lima dauert die An- und Abreise vier Tage.

20 Grad unter Null

Die Temperaturen können in Yanamayo bis auf 20 Grad unter Null sinken, und eine Heizung gibt es im Gefängnis nicht. Der Anteil der Gefangenen mit Tuberkulose ist entsprechend hoch. 27 Gefangene sind an einer rätselhaften, tumorartigen Schwellung des Kiefers erkrankt, doch Nachforschungen über Ursachen dieser Krankheit werden trotz wiederholter Mahnungen der Angehörigen nicht eingeleitet. Mangelerscheinungen aufgrund der defizitären Mahlzeiten kommen hinzu, denn Obst, Gemüse oder Salat gehören selten zum Speiseplan. Für die medizinische Versorgung steht nur ein Krankenpfleger zur Verfügung.
Im Gefängnis Socabaya bei Are-quipa beteiligten sich Nancy Gil-bonio und Lori Berenson am Streik. Auch sie sind zu lebenslanger Haft verurteilt. Nancy Gil-bonio wurde nach Angaben ihrer Schwägerin die baldige Überführung ins das Marinegefängnis Callao angedroht. Sie ist die Ehefrau Néstor Cerpas, des Anführers jenes MRTA-Kommandos, das 1996 die Residenz des japanischen Botschafters besetzte und die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf das Schicksal der jetzt in den Hungerstreik getretenen Gefangenen lenkte, die damals gegen Geiseln ausgetauscht werden sollten. Der US-Amerikanerin Berenson konnte nicht einmal eine direkte Beteiligung an Straftaten wie Mord, Entführung oder Sprengstoffanschlägen nachgewiesen werden. Sie soll lediglich an der Vorbereitung einer von der Polizei rechtzeitig verhinderten MRTA-Aktion mitgewirkt haben und Mieterin eines Hauses gewesen sein, in dem Waffen gefunden wurden. Ihre Anwälte bestreiten beides. Doch die Verteidigung hat vor der peruanischen Militärjustiz, die über dreitausend Aktivisten des MRTA und des Sendero Luminoso im Schnellverfahren abgeurteilt hat, einen schweren Stand.

Horrorszenario

Die MRTA-Gefangenen aus Yanamayo brachen den Streik nach zwanzig Tagen ab. Die vielen Kranken in ihren Reihen hielten einfach nicht länger durch. Polay, Schulte und Rincón schafften es bis zum 21. Oktober. Otilia Campos schildert ein Horrorszenario aus den letzten Tagen. Da stiessen die kränkelnden und geschwächten Gefangenen bei ihrem täglichen Gang an die frische Luft auf drei Särge mit geöffneten Deckeln.
Zum Glück haben sich inzwischen fast alle Gefangenen von den Folgen des Streiks wieder erholt. Verändert hat sich für sie nichts: Weder in Callao, in Yanamayo, noch in den beiden anderen Haftanstalten. Auf ihre Beschwerdebriefe haben die Ge-fangenen bis heute keine Antwort erhalten. Doch Präsident Fujimori hielt Wort. Er hatte zu Beginn des Streiks mitgeteilt, keiner einzigen Forderung der Gefangenen nachgeben zu wollen.

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