Mexiko | Nummer 379 - Januar 2006

Dreikampf ums mexikanische Präsidentenamt

Ein Porträt der drei Präsidentschaftskandidaten aus Mexiko-Stadt

Andrés Manuel López Obrador, Felipe Calderón Hinojosa, Roberto Madrazo: Einer von den Dreien wird im Juli 2006 zum neuen mexikanischen Präsidenten gewählt werden. Mit ihrer offiziellen Ernennung zu Kandidaten ihrer Parteien endete im Dezember der Vorwahlkampf. Schließt mensch sich der beißenden Kritik der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) und ihres Sprechers Subcomandante Marcos bezüglich der dominierenden Politikerklasse im Land an, dann macht es letztendlich keinen Unterschied, welcher Kandidat das Rennen macht.

Gerold Schmidt

Sei es Calderón von der rechtsklerikalen Regierungspartei der Nationalen Aktion (PAN), der umtriebige Madrazo mit der 2000 nach siebzigjähriger Herrschaft abgewählten Revolutionären Institutionellen Partei (PRI) oder López Obrador, der Kandidat, der für die einen linksmoderaten, für die anderen sozialdemokratisierten Partei der Demokratischen Revolution (PRD): Für die ZapatistInnen – und nicht nur für sie – handelt es sich um verschiedene Spielarten einer mehr oder weniger rechten und vor allem korrupten Politik, die den neoliberalen Spielregeln folgt. Dagegen sehen vor allem UnternehmerInnenkreise – zumindest öffentlich – in dem PRD-Kandidaten einen zweiten Hugo Chávez, das neue Schreckgespenst der lateinamerikanischen Rechten.
Tatsächlich ist es ein gutes halbes Jahr vor den allgemeinen Wahlen in Mexiko schwer, klare politische Vorstellungen und Programme bei den drei wichtigsten Präsidentschaftskandidaten auszumachen. Für alle drei Aspiranten ging es bis vor wenigen Wochen noch darum, sich möglichst überzeugend der parteiinternen GegnerInnen zu entledigen. Auch standen die Bündnisverhandlungen mit kleineren Parteien bis vor kurzem im Vordergrund. In beiden Fällen war vor allem die Strategie wichtig und weniger ein ausgefeiltes Programm. Dennoch lassen sich aus Parteihintergrund, persönlicher politischer Vorgeschichte und den jüngsten öffentlichen Auftritten durchaus Unterschiede herausfiltern.

Felipe, der Clevere

Felipe Calderón ist der politische Senkrechtstarter der vergangenen Monate. Er startete als underdog gegen den vom amtierenden Präsidenten Vicente Fox favorisierten Ex-Innenminister Santiago Creel und einen weiteren Opponenten in die interne Wahl. Am Ende flogen ihm die Sympathien der PAN-Mitglieder zu und bescherten ihm einen unerwarteten und deutlichen Sieg. In den Umfragen schloss er zu seinen PRI-Konkurrenten auf. Nach heutigem Stand macht er die von vielen aufgrund äußerst magerer Regierungsergebnisse schon abgeschriebene PAN für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen wieder zu einer ernsthaften Option. Der in den 90er Jahren jüngste Parteivorsitzende in der PAN-Geschichte besetzte in den vergangenen Jahren verschiedene Posten staatlicher Institutionen und war für kurze Zeit Energieminister. Sein Verhältnis zu Präsident Fox gilt als distanziert. Dennoch will er im Wesentlichen dessen Wirtschaftspolitik fortführen. Das heißt Ausweitung des Freihandels mit eindeutigem Bekenntnis zu NAFTA und eine weitere Öffnung des staatlichen Öl- und Stromsektors gegenüber privaten Investoren. In diesem Zusammenhang ist auch sein Vorschlag zu sehen, UnternehmerInnenbeiräte für den nationalen Ölkonzern PEMEX und die Stromgesellschaft CFE einzurichten. Calderón ist Verfechter eines einheitlichen Einkommenssteuersatzes für alle Erwerbstätigen. Mit den USA will er eine „konstruktive Beziehung ohne Demagogie”, eine abgestimmte und verstärkte Grenzsicherung und ein Migrationsabkommen. Unter dem Strich bedeutet das genauso eine US-freundliche Politik wie unter Fox. Innenpolitisch verspricht der PAN-Kandidat eine „feste Hand”, die Säuberung des korrupten Gerichtswesens sowie einen schwammigen „neuen Pakt mit der Zivilgesellschaft”.
Nicht so verbissen religiös wie viele seiner ParteikollegInnen ist der PAN-Kandidat im Wahlkampf nicht zu unterschätzen. Dabei setzt er offen auf die finanzielle Unterstützung der UnternehmerInnen. Bei einem Frühstück am 14. Dezember mit 400 VertreterInnen der deutsch-mexikanischen Handelskammer hörte sich das laut der Tageszeitung La Jornada im Originalton Calderón so an: „Napoleón sagte, Kriege werden mit drei Dingen gewonnen: Geld, Geld und Geld.”

Roberto, der Lügner

Von Geld wüsste auch der PRI-Kandidat Roberto Madrazo einiges zu berichten. Zahlreiche Korruptionsskandale und Wahlmanipulationen in seinem Heimatbundesstaat Tabasco hängen ihm an. Der absolute Machtpolitiker hat sie aber bisher alle genauso überstanden wie er seine parteiinternen GegnerInnen regelmäßig austrickst. Für viele ist er der Inbegriff des skrupellosen Politikers, der, wenn der Preis stimmt, auch die eigene Mutter verkaufen würde. Absprachen sind für ihn da, um gebrochen zu werden. „Glaubst Du Madrazo? Ich auch nicht” steht auf einem viel zitierten anonymen Plakat, das in den letzten Monaten viele Mauern und Laternenpfähle schmückte. Madrazo verspricht eine Politik jenseits von Populismus und Neoliberalismus. Im Konkreten bleibt er vieles schuldig. Ein effizienteres Steuersystem, Reformen im Justiz- und Sicherheitssystem und Korruptionsbekämpfung stehen auch auf seiner Liste. Bezüglich des Wirtschaftskurses und der Rolle der Privatwirtschaft in den noch staatlichen Sektoren, vor allem der Ölindustrie, äußerst er sich widersprüchlich. Das verstärkt seine Unglaubwürdigkeit. Die Sicherung der Macht und Pfründe für ihn und seine Gefolgschaft sind sein eigentliches Programm. Dass er damit nicht völlig chancenlos ist, hat nicht nur mit der enttäuschenden Performance der Fox-Regierung zu tun. Die PRI ist immer noch die landesweit am besten organisierte Partei. Sie verfügt weiterhin über die größte StammwählerInnenschaft. Diese reicht allerdings längst nicht mehr aus, einen Wahlsieg zu sichern. Darum kommt Madrazo die mit den mexikanischen Grünen besiegelte „Allianz für Mexiko” entgegen. Bei dem erwarteten knappen Wahlausgang, könnten die Grünen, die im Zuge der Allianz ihren Präsidentschaftskandidaten zurück zogen, die entscheidenden Stimmen bringen. Von einem hypothetischen Stimmenanteil ausgehend, der sich aufgrund der Eigenarten des mexikanischen Wahlrechtes nicht wirklich dem Wählervotum stellen muss, sichern sich die Grünen andererseits Mandate im Senat und Abgeordnetenhaus sowie eine üppige Finanzierung. Vor knapp sechs Jahren praktizierte die eigentlich prinzipienlose Partei mit familienclan-ähnlichen Strukturen diese Übung noch mit der PAN. Nicht wenige BeobachterInnen gehen allerdings davon aus, dass es in der mühsam zusammen gehaltenen PRI in den kommenden Wochen und Monaten noch größere Abwanderungsbewegungen verprellter Parteifraktionen Richtung PAN und PRD und deren Kandidaten geben wird. Dann wäre Madrazo chancenlos.

AMLO, der Held der Armen

Diese möglichen Abspaltungen könnten für den seit Monaten populärsten Kandidaten der entscheidende Schub sein. Was López Obrador in den vergangenen fünf Jahren als Bürgermeister von Mexiko-Stadt zweifellos ausgezeichnet hat, ist die weitgehende Umsetzung zentraler Wahlversprechen, in manchen Fällen aufgrund hartnäckiger Beratungsresistenz. Von (wahl-)politisch größter Bedeutung ist dabei die Einführung einer monatlichen Altersgrundrente für die HauptstadtbewohnerInnen. So gering diese umgerechnet etwa 50 Euro auch sein mögen, vielen der über 70-jährigen hat diese Grundrente ein Stück Würde zurückgegeben. Die seit Jahren überfällige Einrichtung zahlreicher Abiturschulen, eine neue Universität und die Beendigung von lange brachliegenden Infrastrukturmaßnahmen kann AMLO als weitere Pluspunkte verbuchen. Im Wesentlichen stützt sich der Freund von Megaprojekten im derzeitigen Wahlkampf auf diese Erfolge und die Ankündigung ihrer Umsetzung auf nationaler Ebene. „Zum Wohlergehen aller, die Armen zuerst” ist auch in diesem Wahlkampf sein Motto. Anders als Calderón und Madrazo lehnt AMLO die weitere Öffnung des Energiesektors gegenüber der Privatindustrie entschieden ab. Den NAFTA-Vertrag will er zumindest bezüglich der Agrarpolitik neu verhandeln. Sein 50-Punkteprogramm ist zwar in erster Linie eine Liste von Einzelmaßnahmen, es macht ihn dennoch fassbarer als seine Kontrahenten. An erster Stelle dieses Programms steht die Umsetzung der 1996 zwischen Regierung und aufständischen ZapatistInnen geschlossenen Abkommen von San Andrés, die die Rechte der indigenen Bevölkerung stärken sollen. Ein Thema, das PRI und PAN inzwischen einfach ignorieren. Für das politische und wirtschaftliche Establishment reichen diese „Abweichungen” schon zum Haare sträuben. Als AMLO Ende November in Mexiko-Stadt vor gut 2000 Mitgliedern der US-amerikanischen Handelskammer sprach, quittierten diese seine Ausführungen mit eisigem Schweigen. In jüngerer Zeit hat AMLO mehrfach geäußert, seine radikale Zeit liege in der Vergangenheit, er sei mehr zur Mitte gerückt. In dem Bemühen, Mehrheiten zu gewinnen, haben ehemalige wichtige PRI-Mitglieder inzwischen seinen Wahlkampf fest in der Hand. Ähnlich wie Madrazo mit den Grünen hat López Obrador mit der Partei der Arbeit (PT) und der Convergencia zwei kleine Parteien mit ins Boot genommen. Ebenfalls nicht unbedingt die prinzipienfestesten Alliierten. Über Dritte werden Signale für den Fall eines Wahlsieges ausgesandt: Keine Konfrontation mit den USA, keine Konfrontation mit den UnternehmerInnen, weitgehender Dialog mit den politischen Gegnern. Das klingt mehr nach Lula als nach Chávez.

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