Kolumbien | Nummer 441 - März 2011

Düsterer Stoff

Kohlekraftwerke in Deutschland beziehen ihren schmutzigen Rohstoff aus den Konfliktgebieten Kolumbiens

Deutschland ist einer der wichtigsten Importeure kolumbianischer Steinkohle. Die größten Tagebauminen Lateinamerikas liegen im Nordosten Kolumbiens, weitere Lizenzen wurden bereits vergeben. Die riesigen Reserven wecken Begehrlichkeiten besonders bei transnationalen Unternehmen, denen Menschenrechte der umliegenden Gemeinden und Arbeitsrechte in den Minen nicht allzu viel bedeuten. Zudem drohen schwere Schäden für die Umwelt.

Alke Jenss

Der Catatumbo ist wieder in den Blick geraten. Die Region im Nordosten Kolumbiens ist reich an Wasser, der Urwald birgt eine enorme Biodiversität, der Boden ist fruchtbar. Allerdings gibt es dort noch anderen Reichtum: Es werden an die 300 Millionen Tonnen Steinkohle im Boden vermutet, es wären die größten bekannten Kohlereserven ganz Lateinamerikas. Erste Konzessionen hat die Regierung bereits vergeben, für ein Gebiet von etwa 25.000 Hektar. Ein erheblicher Teil des Gebiets gehört zum Nationalpark Natural Catatumbo Barí. Die Motilón Barí, die dort ihre Gemeinden wenigstens teilweise autonom verwalten dürfen, haben offensichtlich wenig zu sagen bei diesem Geschäft. Eine Befragung der Gemeinden, wie sie die Verfassung vorschreibt, fand nicht statt. Acht Unternehmen, ein mexikanisches, zwei kanadische und fünf kolumbianische wollen Tagebau ausgerechnet dort betreiben. Das Unternehmen geofisin EU will schon im ersten Jahr in Canio Mariela 60.000 Tonnen Kohle abbauen, im fünften Jahr sollen bereits 790.000 Tonnen aus der Mine kommen, für die sie die Lizenz erworben haben.
„Das kommt uns alles viel zu bekannt vor“, so die Anwältin Judith Maldonado vom Anwaltskollektiv Luis Carlos Pérez. Die Pläne für den Kohleabbau haben allzu viel Ähnlichkeit mit der Ölförderung: Bereits seit den 1930er Jahren des 20. Jahrhunderts exportierte Kolumbien Öl. In den Fördergebieten haben indigene und afrokolumbianische Gemeinden laut dem Anwaltskollektiv nicht nur fast ihre gesamten selbstverwalteten Territorien verloren.
Mindestens vier Massengräber gibt es im Catatumbo, die die Anwältin mit der Ölförderung in Verbindung bringt: Wie in vielen Gegenden Kolumbiens sind selektiv und systematisch Menschen ermordet oder vertrieben worden, um Platz zu machen für ein Produktionsmodell, das auf extensiver Bodennutzung beruht: Sei es Öl- oder Kohleförderung oder etwa Agrarindustrie mit Monokulturen im großen Stil.
Ab 1999 waren paramilitärische Gruppen in der Region aktiv: Die Vertreibung der Bevölkerung ist systematisch. Zwei der bekanntesten paramilitärischen Kommandanten, Salvatore Mancuso und Jorge 40, haben die Todesschwadronen dort angeführt. Nach der angeblichen Demobilisierung der Paramilitärs ab 2004 hat aber offensichtlich eine Wiederbewaffnung stattgefunden. Die Bauernorganisation ASCAMCAT schätzt, dass die Paramilitärs dort allein in den letzten fünf Jahren mehr als 10.000 Kleinbauern und -bäuerinnen getötet haben. Über 100.000 Menschen wurden vertrieben. Gilma Tellez von ASCAMCAT ist selbst eine Vertriebene: Sie und ihre Familie konnten nicht auf ihrem Land bleiben, nachdem ihr Bruder ermordet worden war. „Ich bin ja nur eine Kleinbäuerin“, sagt sie. „Aber wir wollen uns unsere Rechte nicht nehmen lassen. Wir haben viel durchgemacht, wir wollen uns jetzt nicht wieder einschüchtern lassen, weil sie hier Kohle abbauen“.
Mit der Politik der Demokratischen Sicherheit des Ex-Präsidenten Álvaro Uribe Vélez wurde das Gebiet in den letzten Jahren militarisiert: Über 10.000 Soldaten sind heute im Catatumbo stationiert. Die größere Militärpräsenz hat aber keineswegs zu einem ruhigeren Leben für die ländliche Bevölkerung geführt: Im Gegenteil vernichteten die Besprühungen mit Glyphosaten (offiziell, um Kokapflanzungen zu zerstören) viele Ernten. Die AktivistInnen fürchten nun, dass sich die Erfahrungen aus den beiden nordöstlichen Departements Guajira und Cesar, in denen ebenfalls Kohle abgebaut wird, nun wiederholen.
Kolumbien hat die zweitgrößten Kohlevorkommen Lateinamerikas, nach Schätzungen kaum weniger als das viel größere Brasilien. Der Sektor boomt: Die ausländischen Direktinvestitionen in den kolumbianischen Bergbausektor sind zwischen 2006 und 2009 um 73 Prozent angestiegen auf circa drei Milliarden US-Dollar. Der Staat bekommt von ausländischen Unternehmen fünf Prozent an Abgaben auf die Fördermenge. 72 Millionen Tonnen Kohle jährlich exportiert Kolumbien inzwischen, Tendenz steigend. Deutschland ist dabei der zweitwichtigste Empfänger von kolumbianischer Kohle. Der Bedarf in Deutschland liegt noch immer bei circa 70 Millionen Tonnen im Jahr, die eigene Förderung bei gerade mal 13 Millionen Tonnen und sinkt bekannterweise: Kohleförderung gilt Vielen hierzulande als zu dreckig. E.on, EnBW und Evonik sind bekannte Abnehmer kolumbianischer Kohle, Vattenfall hält sich bedeckt. Wie es in den Herkunftsregionen des Rohstoffs aussieht, ist für die Energieriesen dabei kaum von Interesse. Die kolumbianische Kohle hat nur einen geringen Schwefelgehalt und entspricht somit den Vorgaben der EU, doch möglichst schadstoffarm einzukaufen.
Einige Hundert Kilometer weiter nördlich in der Guajira, haben die Leute seit langem mit den Auswirkungen des Tagebaus zu kämpfen. Seit 1986 wird hier Kohle abgebaut. Die größte Tagebaumine für Kohleabbau in Lateinamerika, der Cerrejón, frisst an ihren Rändern immer mehr Land. Enorme 69.000 Hektar nimmt die Mine inzwischen ein. 30 Millionen Tonnen wurden 2009 exportiert. Das dort operierende Unternehmen Cerrejon Coal Company gehört zu gleichen Teilen drei Multinationalen: der britisch-schweizerischen Xstrata, der australisch-britischen BHP Billiton und der britisch-südafrikanischen AngloAmerican. Zu Beginn der dortigen Kohleförderung in den 1980er Jahren war ein staatliches kolumbianisches Unternehmen beteiligt, dazu die US-Firma Exxon Mobil. Aber die vielen Anteilsverkäufe und Besitzwechsel verschleiern geschickt, welche der Firmen nun eigentlich verantwortlich gemacht werden kann. Nie wurden hier geregelte Umsiedlungsprozesse eingeleitet: Die Dörfer verschwanden einfach von der Landkarte. Das Militär räumte die Gemeinde Tabaco 2001 gewaltsam, nachdem die EinwohnerInnen ihre Besitzungen nicht aufgeben wollten. Die Häuser, in denen noch Möbel, Kleidung und Küchengeräte standen, wurden von Bulldozern eingerissen. Ohnehin verstehen sich Unternehmen und Regionalverwaltung offensichtlich gut: Ein Gerichtsurteil von 2002 gegen die Stadtverwaltung wegen der unnötig brutalen Räumung wurde nie umgesetzt. Das Unternehmen wurde gar nicht erst belangt. Dennoch wiederholen Verwaltung und Unternehmen das Vorgehen in Tabaco bei anderen Gemeinden nicht. Ohne Lebensgrundlage werden die Menschen schon aufgeben, scheint die Devise nun. Die Straßen, die zu den Gemeinden führen, werden nicht mehr gewartet, es gibt keine nennenswerte Gesundheitsversorgung, die früheren Dorfschulen sind geschlossen. Arbeit bekommen die Nachbarn in der Kohlemine nicht: Sie seien nicht qualifiziert, heißt es.
Im Dörfchen Roche in der Nachbarschaft sind noch 25 Familien von über 400 übrig. Für die Landwirtschaft, von der früher alle lebten, ist kein Platz mehr. Das Land, auf dem man sich frei bewegen darf, ist auf den Ortskern zusammengeschrumpft – überall, wo die Cerrejon Coal Company Land aufgekauft hat oder die Leute entnervt und eingeschüchtert ihren Besitz aufgegeben haben, wurden die Grenzen des Privatgeländes mit Holzpfählen markiert: Hier habt Ihr keinen Zutritt. Privates Sicherheitspersonal kontrolliert die Gegend und verbietet Angeln und Jagen in der Umgebung. Die Grundstücke wurden weit unter Wert an die Firma verkauft, fast nie reichte der Erlös, um sich anderswo ein Stück Land zu kaufen und neu anzufangen. Die Erpressung der KäuferInnen war meist: unterschreibt lieber jetzt, denn sonst bekommt ihr gar nichts mehr dafür und müsst so gehen.
Diese Unternehmenspolitik macht die Land- und Viehwirtschaft, Lebensgrundlage für die Leute in der Region, völlig unmöglich. Die Gemeinden gleichen Inseln, um die herum bereits Kohle abgebaut wird. Das Land um die indigene Gemeinde Tamaquitos, das gemeinsam bewirtschaftet wurde, hatte früher ca. 5.000 Hektar. Ein Flecken von zehn Hektar ist ihnen geblieben: 176 Menschen leben noch dort, in unmittelbarer Nähe zur Kohlemine. Der Kohlestaub, der sich auf alles legt, ist im Dorf nicht zu übersehen. Die dort lebende Ethnie der Wayúu sehen ihre Kultur vom Kohleabbau diskriminiert: Ihre enge Verbindung zur Erde, auf der sie leben, wird nicht respektiert, sagt Nilson Ramirez, Lehrer der Gemeinde. „Die Leute hatten ihre Ziegenherden und Rinder, sie haben ihre Felder bestellt, und das geht alles verloren, weil sie keinen Grund und Boden mehr haben, auf dem das Vieh weiden oder man etwas anpflanzen könnte“ erklärt er die Lage der Übriggebliebenen.
Eines der benachbarten Dörfer, Patilla, soll nach zähen Verhandlungen mit dem Unternehmen umgesiedelt werden: „Gemeinden der Zukunft“ steht auf einem Schild am Dorfeingang. Land sollen sie nicht bekommen, nur eine Siedlung. Wovon die Bäuerinnen und Bauern leben sollen, ist unklar. Die EinwohnerInnen von Roche haben zur Umsiedlung 25 Hektar bekommen, auf denen ihre Häuser stehen. Jetzt will das Unternehmen ihnen Land zur Verfügung stellen, aber nicht mit eigenen Landtiteln, sondern nur zur Pacht. „Wenn das die Zukunft sein soll, kann ich darauf verzichten“, schüttelt Ramirez den Kopf. „Wir versuchen Druck auszuüben, weil das Unternehmen nicht mal die Umsiedlungsstandards der Weltbank einhält“. In Tamaquitos fürchtet man nach den Erfahrungen der anderen Gemeinden, von den Unternehmen über den Tisch gezogen zu werden.
Die Guajira ist eine semi-aride Gegend, Wasserquellen sind knapp. Der Wasserverbrauch im Kohleabbau ist allerdings enorm. In den Kratern, wo das Erdreich ausgebaggert wurde, bleibt zudem Wasser zurück. Die Mischung von Wasser mit dem in der Kohle enthaltenen Methan kann sich selbst entzünden, Säure und Schwefel steigen dann auf. So wird der Río Ranchería, der größte Wasserlauf der Region, angezapft – und auf mehreren Kilometern Länge umgeleitet: Unter dem Flussbett wurden Millionen Tonnen Kohle vermutet. Die Verschmutzung des Flusses wird keineswegs bekämpft: Stattdessen bestehen die Unternehmen auf der Darstellung, sie hätten ein exzellentes Umweltmanagement. Doch die Menschen in der Gegend klagen über Lungen- und Hautkrankheiten.
Alfredo Tovar, im Winter 2010 auf Vortragsreise in Deutschland, ist Vorstandsmitglied der Kohlearbeitergewerkschaft Sintramienergetica und seit 22 Jahren Kohlearbeiter. Bei den AktivistInnen ist die Angst eine ständige Begleiterin: Drohanrufe und Einschüchterungen sind keine Seltenheit. Die Gewerkschaft ist am Hafen von Santa Marta aktiv, wo ein Teil der Exportkohle verladen wird, und im Departamento Cesar südlich der Guajira. Im Teilgebiet La Jagua hat die Schweizerische Firma Glencore International den Kohleabbau quasi für sich. International bekannt wurde aber besonders der Fall des US-Konzerns Drummond, der sich derzeit vor US-Gerichten verantworten muss: Mehrere Gewerkschafter, die in dessen kolumbianischen Kohleminen arbeiteten, wurden ermordet, angeblich im Auftrag der Firma. „Die Kohle hier ist ein Schatz für die einen, Schande für die anderen. Besser kann man die Situation nicht beschreiben“ sagt Tovar. Sprengungen sind die gewöhnliche Abbaumethode, mit der große Mengen Gestein aus dem Berg herausgelöst werden. Viele Arbeiter sind hörgeschädigt, haben Probleme mit der Wirbelsäule oder Lungenkrankheiten. Im November hat Glencores Tochterfirma Prodeco, die La Jagua betreibt, eine Presserklärung herausgegeben, in der es heißt, alle Tätigkeiten fänden im Rahmen kolumbianischer Gesetze statt. Menschenwürdige Arbeitsbedingungen und die Versammlungsfreiheit seien dort garantiert. „Aber“, so Alfredo Tovar, „wir haben als Gewerkschafter nicht die gleichen Rechte wie die, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind. Wir leben gesundheitlich völlig prekär, der Arbeitsschutz reicht nicht aus, und die hohe Verschmutzung schädigt vor allem auch die Gemeinden und Flüsse in der Nähe“. Der Gewerkschafter ist aufgebracht: „Wer sich wehrt, dem wird die Polizei vorbeigeschickt. Wer gewerkschaftlich aktiv ist, muss damit rechnen, schnell mal als Terrorist angeklagt zu werden.“ Ersatz für geschasste ArbeiterInnen gibt es genug: Viele kommen auf der Suche nach Arbeit in die Kohleregion. Durch den Zustrom erhöhen sich auch die Preise für den durchschnittlichen Warenkorb einer Familie. „Wir als Gewerkschaft wollen aber auch, dass diese Unternehmen in der Region investieren“. Währenddessen scheinen die Unternehmen geradezu immun gegen Gerichtsverfahren zu sein, die die Gewerkschaft gegen sie anstrengt.
Immer wieder kommt es an der Bahnstrecke, die einzig den kohlebeladenen Zügen vorbehalten ist, die zwischen den Minen und Exporthäfen hin und herpendeln, zu schweren Unfällen: „Die Unternehmen investieren nicht mal in einen Fußgängerübergang für die Kinder, die auf ihrem Schulweg die Strecke überqueren müssen“. Den Exportunternehmen hat die kolumbianische Regierung dagegen versprochen, einen neuen Großhafen zu bauen. Dieser soll ausschließlich der Kohleverladung dienen und eine Umschlagkapazität von über 30 Millionen Tonnen haben – an der noch unverschmutzten Karibikküste.

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