Argentinien | Nummer 333 - März 2002

Duhalde auf Schlingerkurs

Regierung unter Druck von Bevölkerung, IWF und Provinzen

Der Wonnemonat Mai wird für Argentiniens leidgeplagte Bevölkerung Besserung bringen. Das zumindest verspricht Präsident Eduardo Duhalde. Bis dahin hofft Duhalde, Übereinkommen mit den Provinzregierungen und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) unter Dach und Fach bekommen zu haben. Schafft er es nicht, bleibt ihm im Prinzip nur der Rücktritt.

Martin Ling

Eduardo Duhalde ist länger im Amt als seine drei Vorgänger. Das ist ein Erfolg, denn weder bei der Bevölkerung noch beim Internationalen Währungsfonds (IWF) oder den Provinzfürsten verfügt Duhalde über Kredit. Ihn zu bekommen, dürfte schwerfallen. Vor allem bei der Bevölkerung, die landesweit fast täglich gegen seinen Wirtschaftskurs demonstriert. Die Mittelschicht, weil sie sich um ihre Ersparnisse betrogen sieht, und die Armen, weil sie auch im neuen Wirtschaftsprogramm so gut wie außen vor bleiben.
Nach seinem Amtsantritt im Januar hatte Duhalde noch große Töne gespuckt. Mit Einfuhrbeschränkungen wollte die Regierung Dulade der einheimischen Industrie Vorrang verschaffen, mit verbessertem Kündigungsschutz sollten die ArbeiterInnen geködert werden, und vor allem hatte der Präsident versprochen, dass jeder Kleinsparer seine US-Dollars zurück bekäme. Letztere Zusage hat er mit der Zwangsumwandlung der US-Dollars in Pesos (Pesifikation) schon offen gebrochen, und die ersteren wird der IWF im Zuge der Einigungsbestrebungen sicher zu Fall bringen. Und dass eine Übereinkunft mit dem IWF oberstes Ziel ist, hat Duhalde in einer Radioansprache am 20. Februar bereits offen bekundet: „Ohne die Unterstützung der internationalen Organisationen werden die Kosten der Krise für uns ungeheuer groß sein.“ Duhalde gehört ganz sicher nicht zu denen, die die Kosten der Krise zu tragen haben, und so beschränkt sich seine Einheit mit der Bevölkerung denn auch auf die Rhetorik. In der Öffentlichkeit hat sich der einst das Bad in der Menge liebende Populist in seinen ersten Amtswochen gerade einmal präsentiert. Er weiß warum. Nicht wenige fordern auf Demonstrationen seinen Kopf, weil er zu sehr mit der als durch und durch korrupt verschrienen politischen Klasse verbunden ist.

IWF macht Druck

Der IWF zeigt indes wenig Bereitschaft, Argentinien schnell unter die Arme zu greifen. Abwarten, den Druck auf Reformen verstärken, heißt die Devise aus Washington. IWF-Chef Horst Köhler gab dem argentinischen Wirtschaftsminister Jorge Remes Lenicov Mitte Februar eine eindeutige Botschaft mit auf den Rückweg nach Buenos Aires: Erstmal müsse Argentinien die versprochenen Reformen umsetzen. Fundamental sei dabei, dass die Staatseinnahmen anstiegen, während die Ausgaben in den Provinzen sinken müssten. In sechzig Tagen könne man sich dann weiter unterhalten. Dass die Regierung Duhalde den Ratschlägen des IWF nachzukommen versucht, ist offensichtlich. Die ursprüngliche Regierungsmaßnahme, mit einem gespaltenen Wechselkurs einen Weg aus der Krise zu suchen, war dem IWF ein Dorn im Auge. Duhalde und Lenicov lenkten ein. Statt eines fixierten Wechselkurses für den Finanz- und Handelsverkehr und eines freien Wechselkurses für sonstige Transaktionen gibt es inzwischen nur noch einen pro forma freien Wechselkurs. Pro forma, weil die 40 Prozent der Argentinier, die überhaupt Konten bei den Banken unterhalten, nur eingeschränkt an ihre Guthaben herankommen und ergo auch nur eingeschränkt ihre Zwangspesos in Dollars umtauschen können.
Schon im Dezember 2001 hatte die damalige Regierung De la Rúa die Barabhebungen auf 1.000 Dollar pro Monat beschränkt, inzwischen wurde diese Summe auf 1.500 Pesos festgesetzt. Den Unmut der betroffenen Bevölkerung versucht die Regierung nun mit leichten Lockerungsmaßnahmen abzumildern. Über Girokonten kann inzwischen wieder frei verfügt werden und auf Sparguthaben gibt es einen Zugriff über spezielle Zertifikate, mit denen die Argentinier Neuwagen, Landmaschinen oder Immobilien kaufen können, aber auf keinen Fall US-Dollars. Mit diesen Maßnahmen versucht die Regierung, den Verfall des Peso in Grenzen zu halten. Rund 2,20 Peso müssen inzwischen für einen US-Dollar bei den Wechselstuben berappt werden, die Abwertung des Peso nach Ende der Parität beläuft sich damit auf knapp 55 Prozent.
Freuen können sich darüber in erster Linie die Exporteure, deren Produkte auf dem Weltmarkt nun bedeutend billiger und konkurrenzfähiger geworden sind. Wirtschaftsminister Lenicov rechnet deswegen mit einem Handelsbilanz-Plus von 12 Milliarden US-Dollar in diesem Jahr. Darüber würden sich wiederum die Gläubiger des Landes freuen, denn Lenicov hat schon angekündigt, dass Argentinien seine Schulden erneut bedienen würde, wenn es wieder zahlungsfähig wäre.

Sparen ist etwas anderes

Weit weniger begeistert von der Abwertung des Peso sind die Sparer aus der Mittel- und Oberschicht. Ihre gesamten US-Dollarvermögen wurden zu einem Kurs von 1,40 Peso zu einem US-Dollar umgestellt. Im Klartext: Für jeden eingezahlten US-Dollar gibt‘s – wenn die Beschränkungen einmal gänzlich aufgehoben worden sind – gerade mal einen Gegenwert von 71 US-Cent zurück, und den auch noch in Peso. Sparen ist etwas anderes.
Im Normalfall können den Banken Abwertungen relativ egal sein, sind sie als Kreditgeber und Ersparnisempfänger doch sowohl Gläubiger als auch Schuldner, so dass sich ihr Vermögen und ihre Schulden abhängig von den Beständen gleichermaßen entwertet. Im Fall Argentinien müssen sie jedoch in den sauren Apfel beißen – auf den ersten Blick zumindest. Denn ihr Vermögen wird zu einem paritätischen Kurs Peso zu US-Dollar auf Peso umgestellt, während ihre Schulden zu 1,4 Peso pro einem US-Dollar zwangspesifiziert werden. Doch die Sozialisierung von privaten Verlusten hat in Argentinien eine schlechte Tradition. Lenicov hat schon angekündigt, den Banken in Form von Staatsanleihen ihre Verluste zu kompensieren, womit wiederum die Staatsverschuldung nach oben getrieben wird.
Richtig freuen können sich die in US-Dollar verschuldeten Unternehmen, werden ihre Schulden doch zu einem guten Teil sozialisiert. Allein Volkswagen, Renault und Telefonica sollen dadurch zusammen um 10 Milliarden US-Dollar entlastet werden. Ob sie sich dafür in Form von Schaffung neuer Arbeitsplätze erkenntlich zeigen, wie die Regierung hofft, bleibt fraglich. Dass sinkende Kosten alleine noch lange kein Argument für neue Arbeitsplätze sind, lässt sich rund um den Globus verifizieren.
Auch der IWF-Forderung nach sinkenden Ausgaben in den Provinzen versucht die Regierung nachzukommen. Duhalde hat den Provinzen bereits eine neue Steuerverteilung angeboten, nach denen diese einen prozentualen Anteil am jeweiligen Steueraufkommen erhalten würden. Die Provinzen haben dankend abgelehnt, schließlich erhalten sie bisher eine fixe, konjunkturunabhängige Summe, und mit einem Wirtschaftsboom rechnen die Provinzfürsten offenbar nicht. Lenicovs Ziel, das Gesamtdefizit der Provinzen im Jahr 2002 von 4,924 Milliarden Peso auf 1,091 Milliarden Peso (etwa 580 Millionen Euro) runterzudrücken, rückt damit in weite Ferne. Bisher zumindest machen die Provinzchefs wenig Anstalten, sich in Sachen Konsolidierungskurs von der Regierung mit ins Boot nehmen zu lassen.
Unterstützung erhält die Regierung bis dato lediglich in Form verbaler Art aus dem Ausland. Auf dem Gipfeltreffen der Präsidenten der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur warben die benachbarten Staatschefs um „mehr Verständnis für die komplexe Lage Argentiniens“. Besonders der brasilianische Präsident Fernando Henrique Cardoso legte sich ins Zeug: Er warf den internationalen Finanzorganisationen sogar vor, die Hilfen für Argentinien „an unfaire Vorbedingungen“ zu knüpfen. Mehr als moralische Unterstützung vermögen die Nachbarländer indes kaum zu geben, haben sie selbst doch mit Handelseinbußen auf Grund der argentinischen Abwärtsentwicklung zu kämpfen.
Und das Versprechen des deutschen Kanzlers, Gerhard Schröder, sich beim IWF für Argentinien einzusetzen, darf man getrost als Höflichkeitsfloskel abtun. Denn der Argentinien-Besuch war für Schröder eine aus der letzten Sommer verschobenen Lateinamerikareise herrührende Altlast, der er sich ohne groben Verstoß gegen diplomatische Formeln nicht mehr entledigen konnte. Im Wahlkampfjahr ziemt es sich ansonsten nicht, sich mit Verlierern gemein zu machen. Und gewonnen hat Duhalde noch nichts, weder die Präsidentschaftswahl 1999 noch die Provinzen, noch den IWF und schon gar nicht die Bevölkerung. Diese organisiert sich derweil weiter, protestiert und macht gegen die gesamte politische Klasse mobil. Cacerolazo folgt auf cacerolazo, Straßenblockade auf Straßenblockade, und in den Stadtteilen werden Versammlungen abgehalten, die sonntäglich in ein Gesamttreffen münden.

Keine Schonfrist

Ob in La Plata, Jujuy oder in Buenos Aires: Argentinien ist in Bewegung. Mit offenem Ausgang. Eine Schonfrist bis Mai, soviel ist sicher, wird Duhalde nicht eingeräumt bekommen. Im Amt ist er nur mangels Alternativen, das weiß auch die Bevölkerung und besinnt sich notgedrungen auf sich selbst.

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