Editorial | Nummer 296 - Februar 1999

Kolumbianische Realitäten

LN

Ein Hauch von Frieden weht über das Land. Seit einem halben Jahrhundert bestimmen Gewalt und Bürgerkrieg das Leben in Kolumbien. Nun schickt sich erneut ein Präsident an, einen Ausweg aus der Spirale von Mord und Totschlag zu suchen. Ausgestattet mit der Selbstverständlichkeit der Machtausübung, wie sie nur die Konservativen besitzen, spricht der ehemalige Fernsehtalkmaster und heutige Staatschef Andrés Pastrana landauf, landab unermüdlich vom Frieden. Fraglos ein ehrenwertes Unterfangen, selbst wenn manche ihm neben persönlichem Ehrgeiz vor allem die Absicht unterstellen, auch in Kolumbien eine neoliberale „Strukturanpassung“ durchsetzbar zu machen. Die längerfristigen politischen Kosten seines hohen Einsatzes lassen sich derzeit kaum abschätzen. Enttäuscht die jetzige Regierung die von ihr geschaffene hohe Erwartungshaltung, indem die Verhandlungsbemühungen scheitern, werden weitere Gespräche auf absehbare Zeit unmöglich.

Die Gefahr ist groß, nicht nur wegen der erzeugten Erwartung. Bisher läßt Pastrana nicht die ernsthafte Absicht erkennen, grundlegende Probleme und Konfliktursachen auch nur zu benennen, geschweige denn anzugehen. Zwar scheint eine Unterstützung seiner Friedensinitiatve und sogar weitergehende soziale Veränderungen in Wirtschaft und Politik durchsetzbar. Aber die Beilegung des bewaffneten Konflikts braucht mehr als soziale Reformen. Ohne wirkliche Veränderung der Machtverhältnisse, ohne Offenlegung vor allem der wirtschaftlichen Interessen und ohne echte Beteiligung der Bevölkerung wird sich die ebenso diffuse wie explosive Mischung aus Guerilla, Armee, Drogenmafia, Paramilitärs, in- und ausländischen Konzernen sowie korrupten PolitikerInnen und StaatsvertreterInnen nicht entschärfen lassen.

Der Komplexität des Konfliktes mögen sich viele KolumbianerInnen durchaus bewußt sein. Doch scheinen die wenigsten wissen zu wollen, worum es dabei geht. Die FARC-Guerilla kritisiert das fehlende Bewußtsein ihrer Landsleute über das wirkliche Ausmaß der Auseinandersetzungen. Wesentlichen Anteil daran haben die Medien: Immer auf der Suche nach der schnellen Nachricht, wird Information zweitrangig. Oder auf erstaunlich hemmungslose Weise manipuliert und verdreht. In den Köpfen vieler KolumbianerInnen hält sich hartnäckig das Bild einer gewaltbereiten, rücksichtslosen Guerilla. Jeder militärische Angriff der Aufständischen wird in Funk und Fernsehen ausführlich von Verteidigungsminister und Generälen verdammt. Die gezielten Morde der Todesschwadronen verstärken das kollektive Gefühl, in einem Land zu leben, das im Strudel der Gewalt untergeht. Nach politischen Forderungen und Interessen, nach den Ursachen des langjährigen bewaffneten Konflikts und nach den Verbindungen der Paramilitärs zur Armee fragt öffentlich kaum jemand.

Das ist zum Teil ein Ergebnis der soziokulturellen Entwicklung Kolumbiens, wo politisch motivierte Morde an der Tagesordnung sind. Wo ein Menschenleben bisweilen nicht mehr als zehn Mark wert ist. Wo der Umgang mit dem Tod so routiniert ist, daß nur zehn Minuten nach der Tat allenfalls leicht rosa verfärbtes Spülwasser davon zeugt, daß hier soeben ein Mensch erschossen wurde. Wo US-amerikanische Unfallchirurgen zum üben hinfahren, um den Umgang mit Schußverletzungen zu trainieren. Und wo ein jeder im Dunkeln intuitiv die Straßenseite wechselt, wenn ihm zwei oder drei Gestalten entgegenkommen.

Um in diesem Klima von geballter Gewalt und ständiger Bedrohung überleben zu können, braucht es Ventile. Die extreme Ausgelassenheit, die Lust am Feiern erscheinen, von außen betrachtet, angesichts der dauernden Klagen über das Leben in Kolumbien schizophren. Ebenso die alljährlich mit Riesenpomp zelebrierte Wahl der „Miss Colombia“, die in Form spärlich bekleideter junger Damen über die Bildschirme flimmert und bisweilen die Hälfte der Fernsehnachrichten einnimmt. Dann bleibt eben keine Zeit mehr für andere Meldungen, geschweige denn für Informationen. Und die KolumbianerInnen sind abgelenkt vom Trauerspiel in ihrer Heimat. Sonst müßte man vielleicht wirklich eines Tages die eigene Haltung verändern.

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