Editorial | Nummer 300 - Juni 1999

Der Erfolg ist woanders

LN

Sie treffen sich mal wieder, die sogenannten „Herren der Welt“. Diesmal in Köln. Unschwer zu erraten, daß es sich um die Staats- und Regierungschefs der Gruppe der 7, der bedeutendsten Industrieländer handelt. Auch Rußland darf inzwischen am Tisch sitzen, wenn insbesondere globale Wirtschafts- und Währungsfragen verhandelt werden. Daß Gipfeltreffen in erster Linie symbolischer Natur sind, wird in Köln bestätigt werden. Die Initiative der deutschen Entwicklungshilfeministerin Heidi Wieczorek-Zeul zur Schuldenentlastung scheint gar nicht erst zur Abstimmung zu kommen und droht damit ebenso zu scheitern wie ihre Vorläuferin. Denn vor einem Jahr scheiterte eine Schuldeninitiative Frankreichs und Großbritanniens – damals am Widerstand Deutschlands und Japans.

Loch soll den Gipfeln nicht jegliche Wirkung abgesprochen werden: Sie eignen sich nach wie vor als Kristallisationspunkt für widerständige Kräfte, seien es die regen Aktivitäten im Rahmen der Kampagne „kölngehen“, sei es der Wirtschaftsschwerpunkt dieser Jubiläumsausgabe 300 bei den Lateinamerika Nachrichten.
Lateinamerika im Spannungsfeld zwischen Globalisierung und Regionalisierung lautet das Thema. Im Spannungsfeld also jener zweier weltwirtschaftlichen Entwicklungen, die miteinander in Konkurrenz zu stehen scheinen, aber durchaus als zwei Seiten einer Medaille zu interpretieren sind. Dabei ist die kapitalistische Globalisierung ein vielschichtiger Prozeß, der ökonomische, kulturelle, politische und ideologische Prozesse umfaßt. Aus ökonomischer Sicht ist das schnelle Wachstum grenzüberschreitender Transaktionen von besonderer Bedeutung, zieht es doch eine verstärkte Verflechtung der nationale Wirtschaften nach sich. Diese Verflechtung wiederum läßt neue Abhängigkeitsverhältnisse entstehen und verschärft bestehende. Dennoch werden längst nicht alle Wirtschaftsräume einbezogen, denn Globalisierung ist nicht nur ein Prozeß ökonomischer Inklusion, sondern eben auch der Exklusion.

Trotz der stürmischen globalen Liberalisierungsbemühungen der Welthandelsorganisation WTO und ihres Vorgängers, dem GATT (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) haben sich seit 1948 rund 80 regionale Freihandelszonen und Zollunionen gegründet, mehr als die Hälte davon in den neunziger Jahren, darunter der Gemeinsame Markt des Conosur (Mercosur) und das Abkommen zur nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA). Die Beiträge zu diesen beiden Integrationsprojekten zeigen sowohl die zunehmende Verflechtung einschließlich der daraus resultierenden Abhängigkeitsverhältnisse auf, als auch die Inklusion und Exklusion von Bevölkerungsgruppen und/oder Regionen. Offensichtlich präferieren die Nationalstaaten, gerade wenn die institutionellen weltwirtschaftlichen Regelungen auf weitreichende Liberalisierung ausgerichtet werden, politische Grenzziehungen. Die gehen zwar über die nationalen Räume hinaus, bieten aber dennoch Chancen, sich binnenökonomische wie binnenpolitische Vorteile zu verschaffen.
Widersprüchlich fällt die wirtschaftliche Bilanz Lateianamerikas in den neunziger Jahren aus. Den wenigen, deren Hoffnungen sich durch die Globalisierung erfüllt haben, stehen die vielen gegenüber, an denen der wirtschaftliche Aufschwung der letzten Dekade vorüberging.

Die Vielschichtigkeit der Globalisierung spiegelt sich in den unterschiedlichen Beiträgen in dieser Ausgabe: In Brasilien konnten jene die Geld hatten, mit der Währungskrise noch sehr viel mehr Geld machen, während die Verluste wieder einmal sozialisiert werden, und daß Krabbenfischer zu den Globalisierungsgewinnern gehören – wenn auch auf bedeutend niedrigerem Niveau, zeigt die Reportage aus Ecuador. Allen wiederkehrenden Erfolgsmeldungen zum Trotz kann jedoch nur ein nüchternes Fazit gezogen werden: „Der Erfolg ist woanders“, wie die argentinische Tageszeitung Clarín jüngst zur Jahrestagung 1999 der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) titelte.

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