Kolumbien | Nummer 325/326 - Juli/August 2001

„Effektive Kontrollmechanismen des Drogenmarktes existieren nicht“

Interview mit Alberto Tunubalá Paja, Mitglied des „Sozial Alternativen Bündnis“ im Süden Kolumbiens

Alberto Tunubalá Paja ist Gouverneur der südkolumbianischen Provinz Cauca. Tunubalá wurde als erster indigener Gouverneur in das Amt gewählt. Zusammen mit den Amtskollegen der fünf angrenzenden Provinzen lanciert er im Bloque Social Alternativo (Sozial-Alternatives Bündnis) einen Alternativplan zum Plan Colombia. In erster Linie geht es dabei um die umweltverträgliche Bekämpfung der Drogenkulturen. Diese Frage, sowie die politische Dezentralisierung gelten als ständige Konfliktpunkte zwischen den Provinzen und Bogotá. Im Juni nahm Tunubalá an einer Anhörung vor Mitgliedern des Bundestages teil, um über die Lage in Kolumbien zu informieren. Seine Chancen, aus Deutschland Unterstützung zu erhalten stehen nicht schlecht: Die Rot-Grüne Regierungskoalition setzt bei der Lösung des Konflikts in Kolumbien neben den etablierten politischen Akteuren verstärkt auch auf unabhängige „dritte Kräfte“.

Harald Neuber

Sie gehören zu einer Gruppe von sechs Gouverneuren im Süden Kolumbiens, die eine von den Konfliktparteien unabhängige Linie verfolgen und ein alternatives Konzept zum umstrittenen Kolumbienplan vorgestellt haben. Welche Möglichkeiten bieten sich Ihnen?

Das Hauptziel unserer Gruppe, dem „Sozial-Alternativen Bündnis“, ist die biologische Vielfalt des Amazonas zu schützen, weil wir in ihr das größte ökonomische Potenzial sehen, auf dem wir die regionalen Wirtschaftsstrukturen aufbauen wollen. Zudem verfolgen wir mit großer Sorge die zunehmende Präsenz der bewaffneten Gruppen im Süden des Landes. Diese Entwicklung erschwert es zunehmend, uns der Rekonstruktion der Wirtschaft zu widmen. Wir sprechen uns gegen die Praxis der bewaffneten Gruppen aus, Städte und Dörfer anzugreifen, und Gebäude zu zerstören. Es ist an der Zeit, die Kämpfe, auch gegen die Zivilbevölkerung, einzustellen und die Waffen niederzulegen. Besonders verurteilen wir das brutale Vorgehen der Paramilitärs, die immer wieder Dörfer angreifen und Massaker verüben.
In dieser Situation muss der Friedensprozess konkrete Maßnahmen definieren und soziale Programme anbieten, um das dem Konflikt zu Grunde liegende soziale Problem zu lösen. Strukturelle Reformen sind dringend nötig. Vor wenigen Wochen haben wir im Namen der sechs Provinzen eine Resolution verabschiedet, in der die Etablierung einer neuen ständigen Nationalversammlung gefordert wird, in welcher unter Beteiligung aller relevanten Sektoren die Probleme angegangen werden.

Sie haben auch einen Alternativplan zum Kolumbienplan angeboten. Wo liegen denn die hauptsächlichen Unterschiede?

Den Alternativplan haben wir als „Sozial-Alternatives Bündnis“ in erster Linie verabschiedet, um einen Gegenvorschlag zur Bekämpfung der illegalen Anpflanzungen vorzulegen. Wir schlagen manuelle Strategien vor, anstatt ganze Landstriche aus der Luft zu besprühen. Die Bekämpfung muss von den Bewohnern der Regionen selber und in enger Kooperation mit den regionalen Autoritäten stattfinden. Mit dem Plan ergreifen wir auch in der Sozialpolitik Partei und fordern für das Bildungs- und Gesundheitswesen eine Verbesserung. Zudem wird die Unterstützung allein erziehender Frauen und der vernachlässigten Jugend gefordert. Der Ausbau der Region hat drei Seiten. Neben der technischen und der produktiven Infrastruktur, Telefon- und Stromleitungen, sowie Unternehmen, muss auch die soziale Infrastruktur in Form von Schulen und Krankenhäusern aufgebaut werden. Der Plan ist im Gouvernement Cauca entwickelt worden und findet inzwischen von fünf angrenzenden Gouvernements Unterstützung, sodass wir uns selber an das US-Außenministerium gewandt haben, um gegen die Besprühungen mit Herbiziden zu protestieren.

Diese Besprühungen sind aber schon in vollem Gange. Wie wollen Sie diese Strategie noch verhindern?

Verhindern können wir sie natürlich nicht, wir können aber Alternativen anbieten, eben mit dem Programm zur manuellen Bekämpfung der Drogenanpflanzungen. Dabei müssen wir ja auch zwischen den Kleinpflanzungen und industriellen Anpflanzungen unterscheiden. Um die Kleinpflanzungen zu bekämpfen, müssen den Landarbeitern soziale Alternativen geboten werden. Unser Vorschlag ist, die heute arbeitslosen Landarbeiter bei der manuellen Bekämpfung der industriellen Anpflanzungen zu beschäftigen. Die Zentralregierung in Bogotá hat sich damit grundsätzlich einverstanden erklärt, aber auf die US-Außenpolitik verwiesen.

Und wie war deren Reaktion?

Das US-Außenministerium hat erklärt, dass die Region Cauca ebenso wie Kolumbien und die ganze Andenregion die bestehenden Probleme selber lösen müssten. Es gebe keine schnelle Lösung. Deswegen wenden wir uns aber gegen den von ihnen forcierten Einsatz von Herbiziden. Diese Praxis wird nun seit über zwölf Jahren praktiziert, damals rechnete man mit 15.000 bis 20.000 Hektar Drogenanpflanzungen, heute sind es weit über 100.000 Hektar. Dazu kommt eine Anheizung des Konfliktes, denn die Besprühungen verursachen eine Welle von Binnenflüchtlingen, die sich teilweise dann wieder einer der bewaffneten Gruppen anschließen.
Mit der US-Seite haben wir auch die Frage der Verantwortlichkeit erörtert. Fakt ist, dass der Drogenmarkt ein internationaler Markt ist und wir ihn nicht ausschließlich in Kolumbien bekämpfen können. Das Produkt, die Droge Koka, muss international geächtet und bekämpft werden. Hier liegt das Hauptproblem, denn effektive Kontrollmechanismen des Marktes existieren nicht. Dazu gehört auch die Kontrolle der zur Koka-Verarbeitung nötigen Chemikalien. Diese müssen erst nach Kolumbien eingeführt werden. Wieso werden also nicht die Pharmaunternehmen in die Pflicht genommen?

Vor allem gilt es aber den bewaffneten Konflikt zu lösen. Welche Gruppen sind in der Region Cauca präsent und welche Probleme ergeben sich daraus?

Im Cauca ist in erster Linie die Guerilla, die FARC und die ELN, präsent, die sich zunehmend einer politischen Lösung öffnen. Dieser Prozess geht aber sehr schleppend voran. Es kommt zu immer wieder aufflammenden bewaffneten Auseinandersetzungen. Wir halten alle bewaffneten Gruppen für Angriffe auf Dörfer und die Zivilbevölkerung für verantwortlich, dazu kommen die Verschleppungen nicht nur von Menschen, sondern auch von Material, wie LKWs. Die Zivilbevölkerung wendet sich deutlich gegen diese Auseinandersetzungen. Auf der anderen Seite und viel schwer wiegender ist die Offensive der Paramilitärs in den vergangenen sechs, sieben Monaten im Norden des Cauca. Sie sind für zahlreiche Massaker an der Zivilbevölkerung verantwortlich und fügen der Region einen nachhaltigen Schaden zu. Wir würden uns wünschen, dass diese Gruppen über die irreparablen Schäden des bewaffneten Konfliktes nachdenken und sich darüber klar werden, dass die Toten nach einem irgendwann realisierten Friedensabkommen nicht mehr auferstehen werden. Ein Zeichen für den Friedenswillen der Menschen war der Marsch von Santander nach Cali Mitte Mai, mit dem von verschiedenen im Bloque Social Alternativo zusammengeschlossenen Organisationen mehr Toleranz gefordert wurde.

Aber welche Möglichkeiten der Partizipation haben diese Organisationen im Konflikt überhaupt?

In der Regionalverwaltung haben wir verschiedenen Organisationen einen Freiraum eröffnet.Diese Organisationen können eigene Vorschläge zur regionalen Gestaltung einreichen und ihre Analysen bezüglich der wirtschaftlichen und politischen Probleme anbieten, auch auf nationalem Gebiet. Dieser Prozess ist einmalig und unterscheidet sich von allem, was bislang realisiert wurde.

Stehen Sie mit den bewaffneten Gruppen in Kontakt?

In unserer Funktion als Regionalregierung haben wir bislang keinen Kontakt zu ihnen aufgenommen. In Anbetracht der negativen Entwicklung denken wir, und diese Meinung wird auch von den anderen fünf Gouverneuren geteilt, dass ein solcher Schritt nötig werden wird. Bislang stellt sich vor allem aber die Zentralregierung einer solchen Kontaktaufnahme entgegen. Sie stellen sich auf den Standpunkt, dass es die politische Struktur in Kolumbien nicht erlaubt, solche Gespräche auf regionaler Ebene zu führen. An diesem Punkt haben wir natürlich erhebliche Differenzen mit der Zentralregierung, weil diese Meinung Ausdruck einer politischen Kultur ist, die es bis heute verhindert hat, dass den Regionen ebenso wie den einfachen Bürgern mehr politische Beteiligung zugebilligt wird. Auch hier liegt eine Ursache der Kultur der Gewalt.

Sollten auch die Paramilitärischen Einheiten bei den politischen Gesprächen beachtet werden?

In Kolumbien herrscht Übereinkunft darin, dass es sich bei der so genannten bäuerlichen Selbstverteidigung um nichts anderes als terroristische Gruppen handelt. Darum wenden wir uns gegen Verhandlungen mit ihnen. Ich verstehe aber, dass einzelnen Bürgermeistern in Anbetracht der Kräfteverhältnisse und Allianzen zum Teil nichts anderes übrig bleibt, als auch mit paramilitärischen Befehlshabern zu kooperieren. Als Regionalregierung haben wir bereits geeignete Schritte unternommen, uns gegen ihre Bedrohung zur Wehr zu setzen, auch physisch.

In Berlin haben Sie Mitte Juni auf Einladung der Bundesregierung an einer öffentlichen Anhörung vor einem Unterausschuss des Auswärtigen Ausschusses teilgenommen. Wie bewerten Sie das Treffen und die weiteren Gespräche, etwa mit dem SPD-Generalsekretär Franz Müntefering oder der Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul?

Die Gespräche sind in einem guten Klima verlaufen, es scheint, dass die europäischen Regierungen allgemein sehr misstrauisch gegenüber dem herkömmlichen Kolumbienplan sind. Die Anhörung in Berlin diente aber wohl eher dem gegenseitigen Kennenlernen, über die Lage in unserem Land war ja schon recht viel bekannt. Es wurde aber deutlich, dass unter den Teilnehmern, im Deutschen Bundestag also, verschiedene Meinungen zur Lösung des sozialen Konfliktes bestehen. In diesem Sinne denke ich, dass nicht alle Teilnehmer von der Anhörung zufrieden waren.

Interview: Harald Neuber

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