Kuba | Nummer 282 - Dezember 1997

Effizienzbeschwörung hinter verschlossenen Türen

Der Parteitag der kubanischen KP

Viele Erwartungen wurden an den V. Parteitag der Kubanischen Kommunistischen Partei (PCC) geknüpft. Schließlich war er schon ein Jahr überfällig, und selbst eine Studie des Zentralkomitee offenbarte den bröckelnden Rückhalt bei der Bevölkerung. Die Ver-öffentlichungen kubanischer Medien legen jedoch nahe, daß eine tiefgründige Auseinanderstzung ausblieb.

Knut Henkel

Eine Analyse der gesellschaftlichen Situation hatten sich Revolutionäre der ersten Stunde wie jugendliche Kader versprochen. Klartext wollte man reden, die gesellschaftlichen Probleme benennen und nach Lösungen suchen, um die auseinanderdriftende kubanische Gesellschaft zu festigen. So war es in den Straßen Havannas vor Beginn des Parteitags am 8. Oktober zu hören.
Dafür wurde es auch höchste Zeit, denn selbst eine Studie des Zentralkomitees der PCC vom April 1996 kam zu einem beunruhigenden Ergebnis: nur noch rund 45 Prozent der Bevölkerung würden verläßlich hinter der Regierung Fidel Castros stehen, rund 25 Prozent seien hingegen als prinzipielle Regierungsgegner anzusehen und die verbleibenden 30 Prozent der Bevölkerung würden ihre Unterstützung von ihrer ökonomischen Situation abhängig machen. Doch im wirtschaflichen Bereich sieht die Bilanz der Regierung Castro nicht allzu rosig aus: nach dem ökonomischen Höhenflug vom letzten Jahr, der dem Land 7,8 Prozent Wirtschaftswachstum und ein höheres Binnenangebot beschert hatte, sieht es im diesem Jahr wieder schlechter aus: 2,5–3 Prozent wird es geben, wenn der Wirtschaftsstratege der Regierung, Carlos Lage, mit seiner Parteitagsprognose recht behält. Damit hinkt die Konjunktur nicht zum ersten Mal hinter den Erwartungen und dem Plan hinterher, der 5 Prozent Wachstum vorsah.

Fehlendes Konzept

Woran es liegt, wissen die kubanischen SpezialistInnen nur allzugut: am fehlenden Konzept der Regierung. Doch was sie nicht wissen, ist, wo besagtes Konzept herkommen soll. Sechs Jahre wurde nur reagiert und improvisiert statt agiert. Was ebenfalls fehlt, ist der offene Umgang mit dieser Situation – eine breite Diskussion über die Nöte und Zwänge, denen sich die Regierung gegenübersieht, über Ziele und Probleme der derzeitigen Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung, wie Omar Everleny Perez, Vizedirektor am Studienzentrum der kubanischen Wirtschaft (CEEC), unumwunden zugibt. „Ich hoffe, daß unsere gesellschaftlichen Probleme, die eng mit der Legalisierung des US-Dollars im Juli 1993 verknüpft sind, auf dem Parteikongreß diskutiert werden, und daß es zu einer breiten öffentlichen Diskussion darüber kommt.“ Der Wunsch des Sozialwissenschaftlers ging jedoch nicht in Erfüllung, denn der Kongreß tagte hinter verschlossenen Türen. Eine Praxis, die erstmals beim letzten Parteitag 1991 angewandt wurde. Zudem erweckt die Berichterstattung in den kubanischen Medien bisher nicht den Anschein, als ob es die erhoffte tiefgründige Analyse und Diskussion gegeben hätte. Zwar wurden in den Redebeiträgen der Delegierten immer wieder Probleme wie die Perspektivlosigkeit der Jugendlichen, ansteigende Korruption, Doppelmoral, Diebstahl oder die fehlende Arbeitsmotivation und -produktivität angesprochen.Zu einer Analyse der Ursachen und der Entwicklung von Lösungsansätzen kam es den zugänglichen Informationen zufolge aber nicht.
Symptomatisches Beispiel dafür ist die seit Monaten auf der Stelle tretende Diskussion um den aktuellen Rückschlag in der kubanischen Zuckerproduktion, die das Vorjahrsergebnis um rund 300.000 Tonnen unterschritt. Der neuerliche Einbruch wird auf vielfältige Versäumnisse und die schwierige Kreditsituation zurückgeführt – eine tiefergründige Analyse blieb aus. Diese Tatsache wiegt um so schwerer, führt man sich vor Augen, daß gerade 76 der 1210 Agrarkooperativen (UBPC), die den Großteil der Anbaufläche beackern, schwarze Zahlen schreiben. Die Ursache für die mangelnde Rentabilität liegt jedoch auf der Hand, wie auch Everleny zugibt . Es ist der fehlende Arbeitsanreiz, resultierend aus dem staatlichen Ankaufssystem für Agrarprodukte: „Der Staat legt die Preise vorher fest, zu denen er ankaufen wird. Und er legt die Preise so fest, wie er es für richtig hält. Dies sind eben keine Preise von Angebot und Nachfrage, es sind ziemlich niedrige Preise, die nicht unbedingt die Produktivität der Kollektive steigern,“ so der Sozialwissenschaftler. Zu lesen ist in der offiziellen Presse über derartige Hintergründe allerdings nichts, da wird an die ArbeiterInnen appelliert, mehr und effizienter zu arbeiten. Gleiches geschah allem Anschein nach auch auf dem Parteitag, wo kaum ein Wort so oft zu hören war wie Effizienz. Eine kritische Diskussion wird dadurch nicht angeregt. Eher wird damit Verlogenheit und Doppelmoral gefördert, aber das scheint bei der politischen Führung noch nicht angekommen zu sein.

Bittere Pille für den Zuckerminister

Andererseits scheinen die gesellschaftlichen Krisenphänomene aber auch nicht ganz unter den Tisch gefallen zu sein, denn nach dem Parteitag kam es zu den ersten Personalveränderungen: Ende Oktober wurde der bisherige Zuckerminister Nelson Torres entlassen, dem der neuerliche Erntereinfall dem Vernehmen nach angelastet wurde. Die Kastanien aus dem Feuer holen – sprich die Zuckerproduktion ankurbeln – soll nun Ulises Rosales del Toro. Del Toro ist nun allerdings nicht irgendwer, sondern ranghöchster General nach Raúl Castro und Mitglied des engsten Führungsstabs um Fidel Castro – ein klares Indiz dafür, wie wichtig die Wiederbelebung des Zuckersektors den Verantwortlichen ist. Was einen General nun dazu befähigt, einen ganzen Industriezweig zu reorganisieren, wird sich hier so mancher/manche fragen, nicht aber in Kuba, denn dort spielt das Militär seit etlichen Jahren eine aktive Rolle in der Wirtschaft. Nicht nur zahlreiche Unternehmen des Landes, wie das drittgrößte Tourismusunternehmen – Gaviota Sociedad Anónima – befinden sich in den Händen der revolutionären Streitkräfte. Sondern auch in der Landwirtschaft hat die Arme einiges zu bieten. Seit Jahren verfügt sie über eigene landwirtschaftliche Betriebe, welche die Versorgung der gesamten Streitkräfte mit Nahrungsmitteln sicherstellen und Überschüsse auf den Bauernmärkten verkaufen. Aufgrund dieser Erfolge, die unter anderem auf die Einführung westlicher Managementmethoden zurückzuführen sind, ist die Armee wohl die letzte Option, um den Zuckersektor, an dem 500.000 Jobs hängen, wieder flott zu machen. Auf die positiven Effekte eines Personalwechsels scheint man auch beim kommunistischen Jugendverband (UJC) zu setzen. Neue Gesichter sollen frischen Schwung bringen, den viele Parteimitglieder, wie der 48jährige Hochschullehrer Ivan, angemahnt hatten. Für die Jugend müsse einfach mehr getan werden, auch von Seiten der Partei, denn sonst wäre angesichts fehlender Perspektiven die heranwachsende Generation schnell für die sozialistische Gesellschaft verloren, so die niederschmetternde Prognose. Prostitution und Diebstahl wären nur zwei Phänomene, die auf den Verfall der sozialistischen Moral hindeuten würden und denen man entgegensteuern müsse.
Doch sowohl der UJC als auch Rosales del Toro stehen vor nahezu unlösbaren Aufgaben, deren Ursache dieselbe ist. Weder den Zuckerbauern noch den perspektivsuchenden Jugendlichen hat der kubanische Staat einen angemessenen Lohn bzw. Job anzubieten. Nahezu alle Werktätigen kommen mit ihrem Durchschnittslohn von rund 200 Pesos nicht aus, da aufgrund des geringen Angebots die Preise seit langem der Lohnentwicklung vorausgeeilt sind. Letztlich müssen alle KubanerInnen sich nach zusätzlichen, oft illegalen Einnahmequellen nach Feierabend umschauen, um über die Runden zu kommen; weshalb die Arbeitsmotivation nicht die beste ist.
Ursache für diese Situation ist zum ersten die niedrige Produktivität, zum zweiten der Geldüberhang und zum dritten die Einführung des US-Dollar quasi als Leitwährung, der immer noch 22mal mehr wert ist als der heimische Peso. Aus diesem irrwitzigen Verhältnis resultiert denn auch das kubanische Dilemma, was allenfalls intern in ganzer Tragweite thematisiert und diskutiert wurde. Nach außen drang nichts, und vielleicht sollte das auch so sein angesichts der anhaltenden Strangulierungspolitik des übermächtigen Nachbarn USA. Deren „Kapitulation oder Tod“-Politik, unterstützt und getragen vom kubanischen Exil in Miami, das höchstwahrscheinlich die Bombenserie der letzten Monate lanciert hat, läßt wenig Spielraum für eine pragmatische Auseinandersetzung. Jedes Zeichen von „Schwäche“ gilt in Miami wie Washington nach wie vor als Signal, die Daumenschrauben enger zu ziehen. Und den dortigen Herren ist noch immer etwas eingefallen, wenn es darum ging, den ungeliebten Fidel Castro ins Straucheln zu bringen. So gilt es, zumindest nach außen hin die Reihen eng geschlossen zu halten, was seinen Niederschlag auch im Machtzuwachs der Armee findet, die immerhin ein Viertel des Politbüros stellt – unter ihnen auch der neue Hoffnungsträger für die Zuckerindustrie: General Ulises Rosales del Toro.

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