Nummer 427 - Januar 2010 | Uruguay

Ein Anarchist für alle

Die UruguayerInnen haben “Pepe” Mujica zum Präsidenten gewählt

Stefan Thimmel

Schon kurz nach dem zweiten Wahlgang war klar, dass es letztlich ein deutlicher Sieg werden würde: Mit dem amtlichen Endergebnis von 53 Prozent der Wählerstimmen wurde der 74-jährige José „Pepe“ Mujica vom linksgerichteten Parteibündnis Frente Amplio am letzten Novembersonntag zum 40. Präsidenten Uruguays gewählt. Keine noch so schmutzige Kampagne der beiden großen rechten Oppositionsparteien konnte den Triumph des Ex-Stadtguerilleros verhindern. Vor allem die beiden Ex-Präsidenten Julio María Sanguinetti und Jorge Batlle von der rechtskonservativen Colorado-Partei hatten sich hierbei hervorgetan, so wollte Batlle Mujica beispielsweise in Zusammenhang mit dem ausgehobenen Arsenal eines Waffenschiebers bringen.
Mujicas Kontrahent, der ehemalige Präsident und bekennende Neoliberale Luis Alberto Lacalle von der rechtsliberalen Nationalpartei erhielt bei der Stichwahl nur 43 Prozent. Und der Wahlsieger stellte sich schließlich selbst auch kein Bein mehr, nachdem er im Wahlkampf noch durch abschätzige Bemerkungen sowohl über die argentinischen NachbarInnen als auch über einige Parteien in seiner Mitte-Links-Koalition Eigentore geschossen und vor allem die WählerInnen aus der immer noch sehr breiten Mittelschicht in Uruguay verunsichert hatte. Der Triumph des ehemaligen Tupamaros bedeutet für Uruguay einerseits innenpolitisch eine Weiterführung der auf Sozialreformen und Investitionen ausgerichteten Politik und andererseits eine Konsolidierung der 1971 gegründeten Frente Amplio. Bei einer Niederlage wären mit Sicherheit Grabenkämpfe bei der Suche nach Verantwortlichen ausgebrochen und sogar ein Auseinanderbrechen eines der ältesten Linksbündnisse Lateinamerikas wäre nicht auszuschließen gewesen.
Für die südamerikanische Politik könnte der Einfluss des knorrigen „Anarchisten“ (so bezeichnet er sich auch heute noch selbst) einen Schub bringen. Den verschiedenen Integrationsinitiativen wie der Bank des Südens, UNASUR, Telesur etc. steht der neugewählte Staatschef deutlich offener gegenüber als sein Vorgänger Tabaré Vázquez, der bei seiner Außenpolitik immer auch Washington im Blick hatte. Und da Mujicas präsidiale „Vorbilder“ Michelle Bachelet (Chile) und Luiz Inácio „Lula“ da Silva (Brasilien), auf die er sich im Wahlkampf immer wieder bezog, bald aus dem Amt scheiden, wird auch die Zusammenarbeit mit seinem „Freund“ Hugo Chávez (den er allerdings vor seinem Sieg aus taktischen Gründen selten erwähnte) an Wichtigkeit gewinnen. Schon in den ersten Tagen als gewählter Präsident kündigte Mujica an, stärker mit Venezuela zu kooperieren. Und auch mit Argentinien will er den Ausgleich suchen und das durch den Bau einer Zellulosefabrik am uruguayischen Ufer des Río Uruguay seit mehr als drei Jahren vergiftete Verhältnis wieder normalisieren.
José Mujica wird am 1. März 2010 von seiner Ehefrau Lucía Topolansky, die wie er selbst viele Jahre im Untergrund und in den Kerkern der Militärdiktatur inhaftiert war und heute Mehrheitsführerin der Frente Amplio im Parlament ist, den Präsidentenstab überreicht bekommen. Er will „El Presidente de Todos“, der Präsident aller UruguayerInnen, werden. Das hatte auch schon sein Vorgänger Vázquez beim Antritt der ersten Linksregierung Uruguays am 1. März 2005 versprochen und mit einer Popularität von über 70 Prozent zum Ende seines Mandats zu einem guten Teil eingelöst. „El Pepe“ wird daran gemessen werden. Andererseits wünschen sich aber nach wie vor einige in der Frente Amplio, dass er weniger Kompromisse macht und die „Breite Front“ wieder mehr nach links führt.

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