Film | Nummer 417 - März 2009

Ein bisschen zu viel des Guten

El Niño Pez von Lucía Puenzo lässt dem Publikum keine Verschnaufspause

Jannes Bojert

Die härteste Kritik an Romanverfilmungen kommt meist aus der Fangemeinde der gedruckten Vorlage. Die Adaption, so der häufige Vorwurf, lasse vom Original nur wenig übrig. An El Niño Pez („Das Fischkind”) von Lucía Puenzo wird dies wohl kaum jemand bemängeln können. In ihrem nun zweiten Film, der auf der diesjährigen Berlinale in der Sektion Panorama lief, verarbeitet die argentinische Regisseurin ihren eigenen Debütroman von 2004. Und von den rund 170 Seiten des Werkes kann sie nicht viele ausgelassen haben.
Puenzos erster Film XXY, in welchem sie die Geschichte eines intersexuellen Menschen und dessen Konflikten mit gesellschaftlichen Normen erzählt, wurde hoch gelobt und vielfach ausgezeichnet. Und ähnlich wie XXY überzeugt auch El Niño Pez durch einen sehr feinfühligen Umgang mit den komplexen sozialen und emotionalen Konflikten der beiden Protagonistinnen. Doch hat sich Puenzo dieses Mal ein klein wenig zu viel vorgenommen.
Der Film erzählt von der Beziehung zweier junger Frauen, die einiges auf sich nehmen, um gemeinsam leben zu können. Lala, gespielt von Ines Efron, ist die Tochter eines angesehenen Richters aus Buenos Aires, Ailín ist Guaraní aus Paraguay und seit ihrem dreizehnten Lebensjahr die Hausangestellte der Familie. Neben ihrer Beziehung mit Lala hat Ailín auch noch ein Verhältnis mit Lalas Vater. Der behandelt sie mal wie seine Geliebte, mal wie eine zweite Tochter und im nächsten Moment wieder wie seine Dienerin.
Lala liebt Ailín abgöttisch und realisiert langsam, dass Ailín nicht willens oder fähig ist, ihre Zuneigung so exklusiv zu vergeben wie sie selbst. Kurz bevor die beiden zusammen nach Paraguay durchbrennen wollen, stirbt Lalas Vater eines unnatürlichen Todes, der Ausgangspunkt der Erzählung ist. Schon aus diesen Wirren und Konflikten hätte man einen Film mit Überlänge spinnen können.
Doch in den gut 90 Minuten von El Niño Pez geht es zudem noch um Korruption und rassistische Diskriminierung im argentinischen Polizei- und Justizapparat, sexuellen Missbrauch und die Legende des Fischkindes, die sich die Guaraní in Paraguay erzählen.
Nach dem Tod des Vaters fährt Lala allein nach Paraguay. In Ailíns Heimatdorf trifft sie deren Vater, dem sie durch beharrliches Nachfragen Informationen über eine frühe Schwangerschaft ihrer Freundin und den anschließenden Tod des Kindes abringen kann. Währenddessen wird Ailín als mutmaßliche Mörderin in Buenos Aires verhaftet und in eine Besserungsanstalt für Minderjährige gesteckt. Hinter Gittern wird ihr immer deutlicher, wie weit ihre und Lalas Lebenswelten voneinander entfernt sind. Dass der Film bei einer solchen Themenvielfalt alles andere als oberflächlich bleibt, muss der handwerklichen Klasse der Regisseurin zugeschrieben werden. Durch seine raffinierte unlineare Erzählweise mit einigen magisch-realistischen Elementen gelingt es dem Film, einen Eindruck von Lalas Gefühlschaos und den willkürlich aufblitzenden Erinnerungsfetzen zu vermitteln. Lucía Puenzo versteht es, mit wenigen Einstellungen und Worten darzustellen, was sie sagen will. Nichts scheint dem Zufall überlassen, kein Kameraschwenk und kein Ton der dezenten Filmmusik. Dabei wird die Regisseurin in El Niño Pez durch das herausragende Schauspiel der beiden Protagonistinnen, insbesondere Inés Efrons, unterstützt. Auf diese Weise entsteht ein sehr dichter Film, der seinem Publikum keine geistige Verschnaufpause zugesteht. Ein bisschen weniger wäre da vielleicht mehr gewesen. Nichtsdestotrotz, El Niño Pez ist mehr als sehenswert. Bleibt zu hoffen, dass er in Deutschland einen Verleih findet und bald in den Kinos anläuft.

// Jannes Bojert

El Niño Pez // Lucía Puenzo // Argentinien, Spanien, Frankreich 2009 // Berlinale Sektion Panorama Special

Kasten:
Gold, Silber und Teddy
Auf der diesjährigen 59. Berlinale gehörten die beiden Wettbewerbsfilme aus Lateinamerika zu den Gewinnern. Der Film La Teta Asustada („Die Milch des Leids“) der peruanischen Regisseurin Claudia Llosa gewann den Goldenen Bären für den besten Film. Mit einem Silbernen Bären als Großem Preis der Jury wurde der uruguayische Film Gigante ausgezeichnet. Dieser Film von Adrián Biniez hat bereits einen deutschen Verleih und wird voraussichtlich im Herbst dieses Jahres in den Kinos anlaufen.
Der Teddy-Award für den besten Queer-Film ging nach Mexiko für den Spielfilm Rabioso sol, rabioso cielo von Julián Hernández.

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