Literatur | Nummer 238 - April 1994

Ein dunkles Lächeln über Chiapas

Die Geschichte ist vertraut und paßt zum aktuellen Geschehen im Mexiko. Denn Indígena-Revolten gab es in Mexiko und besonders in Chiapas schon mehrere. Die Autorin wuchs in Chiapas auf einer Hacienda auf. Sie erlebte dort schon früh die krassen Unterschiede zwischen den reichen, privilegierten Guts­besitzerInnen und den miserablen Lebensbedingungen der indigenen Bevölke­rung.

Susan Drews

Ihr zweiter Roman “Das dunkle Lächeln der Catalina Diaz” erschien schon 1962 unter dem Orginaltitel “Oficio de tinieblas”, welcher wesentlich treffender ist, da er vielfältig zu deuten ist und außerdem auf eine der ältesten Liturgien der katholi­schen Kirche anspielt. Es handelt sich da­bei um eine Karfreitags-messe in den ersten Jahren des Christen-tums, die in Katakomben, also in völliger Dunkelheit gefeiert wurde. Die Hoffnung auf Erlö­sung ist auch das Leitmotiv des Romans, der erst vor kurzem bei uns erschienen ist. Rosario Castellanos schildert die Aus­beutung durch die reichen Haciendabesit­zerInnen und die Lebensbedingungen der Indígenas, aus denen sie sich letzlich durch eine Revolte zu befreien versuchen. Die Autorin bezieht sich dabei auf die histori­sche Tatsache eines Aufstands in Chiapas um 1868, den sie aber in die dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts verlegt hat. In dieser Zeit, unter der Präsidentschaft Cárdenas’, wurde den MexikanerInnen eine Ära des ökonomischen Liberalismus, der politi-schen Reformen und die Realisierung des höchsten Zieles der Revolution verspro-chen: Tierra y Libertad. Versprechen, die bis heute nicht eingelöst wurden und die von Rosario Castellanos in ihrem Buch als politische Rethorik bloßgestellt werden.
Der Roman spielt in zwei verschiedenen geographischen Szenerien – in dem Dorf San Juan Chamula und Ciudad Real, dem heutigen San Cristóbal de las Casas. Er stellt zwei verschiedene Personengruppen, die versklavten Indígenas – vorwiegend Tzotziles – und die herrschenden Weißen gegenüber. Im Blickpunkt steht eine Indígena, die seherische Fähigkeiten hat und deshalb von ihrem Volk verehrt wird. Sie ist aber auch eine ganz normale Frau, die unter ihrer Unfruchtbarkeit leidet. Der Zufall kommt ihr zu Hilfe: Eine andere Indígena, die von einem weißen Gutsbe­sitzer vergewaltigt worden ist, überläßt ihr die Erziehung und Sorge für den kleinen Domingo, ihrem unge­wollten Kind. Als Seherin erneuert sie den alten Kult ihres Volkes, mobilisiert die alten Götter und erweckt dadurch bei den lethargischen, dem Alkohol verfallenen Tzotziles das Bewußtsein ihrer verloren­den kulturellen Identität zu neuem Leben. Der katholische Priester sieht den Einfluß seines Gottes schwinden und zerstört des­halb die Götzen der Indígenas. Diese Arroganz kostet ihn sein Leben. Der my­stische Kult und die Wiedererlangung des indigenen Stolzes finden ihren Höhepunkt in der Kreuzigung des kleinen Domingo. Er, “der zur Sonnenfinsternis Geborene” soll die Macht der Indígenas stärken – nun haben sie einen Gott der dem Gott der Weißen ebenbürtig ist und auch starb wie er. “Der Schrei mit dem Domingo seinen letzten Atemzug am Kreuz tat, drang bis in die entlegensten Winkel der von Tzotziles bewohnten Gegend”. Dies ist der Beginn der Revolte. Plündernd und mordend ziehen sie los, von Hacienda zu Hacienda in Richtung auf Ciudad Real. Sie lassen sich sogar erschießen, da ihr Glaub ihnen die Überzeugung gibt, un­sterblich zu sein. Auf ihrer Suche nach Gerechtigkeit überfallen sie zu guter Letzt eine Karfreitagsmesse von weißen Frauen, Kindern und Greisen und richten ein Mas­saker an.
Rosario Castellanos stellt die Indigenas als grausam und brutal dar. Die Weißen dagegen kommen bei ihr sehr viel besser weg. Dadurch entsteht der Eindruck, daß sie selbst die indigene Bevölkerung für dumm und abergläubisch hält. Das Ende ist vorhersehbar und wurde deshalb wohl auch in einem rückblickenden, fast repor­tagemäßigem Schreibstil verfaßt. Damit blendet sie geschickt die brutale Vernich­tung und Vertreibung der Indígenas durch die GutsbesitzerInnen aus. Verbrannte Erde, verwüstete Dörfer, tote Frauen und Kinder sind alles was übrigbleibt. Die we­nigen Überlebenden haben sich in die Dunkelheit der eisigen Gebirgshöhlen ge­flüchtet. Lethargie und Resignation haben sie wieder vollständig in Besitz genom­men. Nur ein religiöser Ritus hält sie noch zusammen. Ein Buch, dem magi­sche Kräfte nachgesagt wird und das sie auf ihrer Flucht mitgenommen haben, ist ihr einziger Hoffnungsschimmer. Kei­ner von ihnen ist in der Lage es zu lesen, aber sie verehren es wie eine Reliquie. Es ist Ausdruck ihrer Hoffnung und ein Ver­sprechen für die Nachwelt. Nur wir als LeserInnen wissen, daß es sich dabei um das Militärreglement zur entgültigen Aus­rottung der indigenen Bevölkerung von Chiapas handelt. Der Anfang des Buches trifft besonders, wenn er noch einmal zum Schluß gelesen wird. Es handelt sich dabei um ein Zitat aus dem Popol Vuh, dem heiligen Buch über die Geschichte und die Mythen der Maya.

” Da längst schon verloren euer Ruhm;
da auch eure Macht euch genommen,
soll eine Weile noch herrschen euer Geschlecht …
-wenn auch ohne viel Recht auf erbarmen-.
Alle Söhne des Morgens und alle Enkel des Morgens,
werden euer nicht sein;
die großen Erzähler nur werden sie euch lassen.
Die des Leids, des Kampfes und des Elends,
ihr, die ihr unrecht tatet,
beklagt es.”

Rosario Castellanos: Das dunkle Lächeln der Catalina Díaz. Europa-Verlag, Wien 1993. 408 Seiten 39,80 DM

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