Kolumbien | Nummer 505/506 - Juli/August 2016

EIN SCHIMMER HOFFNUNG

Die kolumbianische Regierung schließt einen beidseitigen Waffenstillstand mit der FARC-Guerilla

Der 23. Juni 2016 könnte als historisches Datum in die kolumbianische Geschichte eingehen: Nach über fünfzig Jahren Guerillakampf akzeptieren die Bewaffneten Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) ihre vollständige Entwaffnung und Umwandlung in eine politische Organisation. Bei einem symbolischen Akt in der Nähe von Havanna unterzeichneten der Präsident Juan Manuel Santos und der oberste Anführer der FARC alias ‚Timoleón Jiménez‘** erstmalig einen bilateralen und endgültigen Waffenstillstand. Hiermit läuten sie womöglich den Frieden ein.

Von Madlen Haarbach
Einigung auf 28 Seiten Präsident Santos und FARC-Chef ‚Timoleón Jiménez‘ verkünden den Waffenstillstand (Foto: Presidencia El Salvador CC0 1.0)
Einigung auf 28 Seiten Präsident Santos und FARC-Chef ‚Timoleón Jiménez‘ verkünden den Waffenstillstand (Foto: Presidencia El Salvador CC0 1.0)

#ElUltimoDiaDeLaGuerra (Der letzte Tag des Krieges) – lautete es bereits einen Tag vor der Verabschiedung des Waffenstillstandes zwischen der kolumbianischen Regierung und der FARC-Guerrilla verheißungsvoll von kolumbianischen Twitter-Benutzer*innen am 22. Juni dieses Jahres. Angestoßen wurde dieses Motto von FARC-Chef Rodrigo Londoño Echeverry alias ‚Timoleón Jiménez‘. Es verbreitete sich dann in Windeseile über Nichtregierungsorganisationen und kolumbianische Medien.
Die Friedensverhandlungen, die seit November 2012 in der kubanischen Hauptstadt Havanna stattfinden, waren zuletzt eher schleppend verlaufen. Das Versprechen, bis zum 23. März 2016 eine vollständige Einigung in allen verbliebenen Punkten zu erzielen, mussten die Verhandlungs­partner*innen bereits im Vorfeld widerrufen. Damit boten sie der Opposition eine ideale Zielscheibe für Kritik, angeführt von Ex-Präsident Álvaro Uribe Vélez (siehe LN 501). Im Juni, drei Monate später, dann der entscheidende Durchbruch: Nach zähen Verhandlungen konnten sich die Vertreter*innen der FARC und der kolumbianischen Regierung in fünf der sechs Unterpunkte des wohl wichtigsten Themas, dem Ende des Konfliktes, einigen.
Das am 23. Juni 2016 geschlossene, beidseitige Waffenstillstandsabkommen besiegelt den Konsens. Neben einer Leitlinie für den Prozess zur Entwaffnung der Angehörigen der FARC umfasst das 28 Seiten starke Dokument eine Festlegung auf spezifische Schutzzonen, in die sich die Guerrillerxs für maximal sechs Monate – nach der offiziellen Beendigung der Friedensgespräche – zurückziehen können, um im Anschluss „in das zivile Leben re-integriert zu werden“.

Ein weiterer strittiger Teil der Agenda war der zukünftige Umgang mit paramilitärischen sowie anderen bewaffneten Gruppen und Akteur*innen, die die allgemeinen Menschenrechte verletzten. Dieser Punkt ist besonders entscheidend, weil er die Sicherheitsgarantieren für die Angehörigen der Guerilla definiert. Vor dem Hintergrund des Massenmordes an Mitgliedern der Partei Patriotische Union (UP), zeigten sich die Guerilleros zunächst nicht zu einer Niederlegung der Waffen bereit. Die Partei hatte sich Mitte der 1980er Jahre unter anderem aus dem entwaffneten, politischen Arm der FARC gebildet.
Die Aufsicht über die vereinbarten Punkte übernehmen Organe der Vereinten Nationen (UN), was Menschenrechtsaktivist*innen im Gespräch mit der kolumbianischen Wochenzeitung Semana als Beweis der Ernsthaftigkeit des Abkommens betonen. Die Ratifizierung der gesamten Agenda durch Vertreter*innen der UN führe des Weiteren zu einer „Internationalisierung des Friedens“, was darauf hindeute, dass „die Weltgemeinschaft den kolumbianischen Friedensprozess unterstütze“.
Erstmals seit ihrer offiziellen Gründung am 27. Mai 1964, zeigen sich die Angehörigen der FARC, die aus einer Bauernorganisation in der Region Marquetalia entstanden war, nun also bereit, ihren militärischen Kampf zu beenden und stattdessen auf politischer Ebene für ihre Ziele zu streiten. Die genaue Form dieser aktiven, politischen Teilhabe ist jedoch noch nicht geklärt. Das Waffenstillstandsabkommen gilt dennoch als Meilenstein, da es quasi den gesetzlichen Rahmen der Übergangsphase zum sogenannten posconflicto (Post-Konflikt) und den Entwaffnungsprozess der Guerilla definiert. So betonte der oberste FARC-Befehlshaber ‚Timoleón Jiménez‘ in seiner Rede während des symbolischen Verkündungsaktes am 23. Juni nochmals: „Lass diesen Tag den letzten Tag des Krieges sein!“ – um von Präsident Santos ergänzt zu werden: „Wir haben den Zeitpunkt erreicht, von dem an wir ohne Krieg leben können. […] Der Frieden ist nicht mehr nur ein Traum, sondern wir haben ihn endlich in den Händen. Auch wenn wir heute und vermutlich auch in Zukunft nicht mit der FARC einverstanden sind, rechnen wir ihr dennoch hoch an, dass sie bereit ist, den Schritt vom bewaffneten zum politischen Kampf zu gehen.“
Bei aller Euphorie darf jedoch nicht vergessen werden, dass nach wie vor das letzte Thema, die Umsetzung des Friedensvertrages, nicht geklärt ist. Auch in einigen anderen Punkten gibt es noch offene Fragen, die in den nächsten Wochen geklärt werden müssen. Denn es gilt weiterhin der Grundsatz, dass es keine Einigung gibt, solange nicht Einigkeit in allen Punkten herrscht. Fraglich ist weiterhin, ob und wie es zu dem von der Regierung versprochenen Referendum der kolumbianischen Bevölkerung über das endgültige Friedensabkommen kommen wird (siehe LN 501).
Inwiefern die Regierung und die FARC in ihren eigenen Reihen dazu fähig sein werden, die Beschlüsse auf landesweiter Ebene durchzusetzen, wird sich erst im Anschluss an die Unterzeichnung des Friedensabkommens zeigen. Präsident Santos brachte als mögliches Datum hierfür den 20. Juli, den kolumbianischen Nationalfeiertag, ein. Kolumbianische Medien gehen von ein bis zwei Monaten aus. Noch ist offen, ob aus dem Frieden mit der FARC auch das Ende aller bewaffneter Konflikte in Kolumbien einhergehen wird. So besteht die Gefahr, dass FARC-Mitglieder nachdem Friedensschluss zur zweitgrößten Guerilla des Landes, der Nationalen Befreiungsarmee (ELN) wechseln werden. Erste Friedensgespräche zwischen ELN-Vertreter*innen und der Regierung Kolumbiens erbrachten bisher keine nennenswerte Erfolge. Die Gefahr paramilitärischer Gruppen, die zuletzt einen Aufschwung erlebten und die statistisch für mehr Todesfälle verantwortlich sind als alle Guerilla-Gruppen zusammen, darf ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden.
Bis in Kolumbien von einem endgültigen „letzten Tag des Krieges“ gesprochen werden kann, gilt es daher noch einige Hürden zu meistern. Nichtsdestotrotz ist der beidseitige Waffenstillstand ein großer Fortschritt. Die bittere Spaltung zwischen Regierungspartei und Opposition, in welcher die FARC immer eine zentrale Rolle spielte, könnte endlich überwunden werden. Eingefahrene Muster der „Politik mit Waffengewalt“, der Korruption, des Klientelismus und der Benachteiligung eines Großteils der Bevölkerung können ab jetzt hinterfragt werden. Es  ist ein  Hoffnungsschimmer, dass der Frieden endlich in greifbare Nähe rückt.

** ‚Timoleón Jiménez‘ wird in kolumbianischer und deutscher Presse häufig ‚Timochenko‘ genannt. Er selbst und die FARC lehnen diesen Namen jedoch ab, da er als kommunistische Verunglimpfung seines Aliasnamens erfunden wurde und genutzt wird.

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