Argentinien | Nummer 437 - November 2010

Ein Schritt zum gesicherten Trinkwasser

In Argentinien wurde ein Gesetz zum Schutz der Gletscher beschlossen

Über Parteigrenzen hinweg wurde dieses Gesetz im zweiten Anlauf beschlossen, nachdem es in erster Fassung durch ein Veto der Präsidentin gescheitert war. Die argentinische Justiz ermittelt nun, ob das Veto rechtmäßig war.

Antje Krüger

Kaum jemand hatte mehr damit gerechnet. Der vier Meter hohe Eisblock, der Anfang September die Sicht auf das Kongressgebäude in Buenos Aires versperrte, war schon längst geschmolzen. Zerronnen in der Frühlingsluft, die doch keinen Neuanfang versprach. Dabei war er als Symbol gedacht, ein Gletscher, verlegt in Argentiniens Hauptstadt, um auf einen bevorstehenden Gesetzesentschluss im Senat aufmerksam zu machen. Doch dann rann er dahin wie auch die Hoffnungen auf einen effektiven Schutz der Eismassen, in denen 75 Prozent der Süßwasserreserven des Landes liegen. Denn der längst überfällige Beschluss des Gesetzes zum Schutz von Gletschern und ihres peripheren Umfelds wurde vertagt – wieder einmal.
Ein weiterer parlamentarischer Taschenspielertrick im Poker um die Gletscher, der nun schon seit zwei Jahren andauert. Seinen Anfang nahm er mit einem Veto von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner. Sein unerwartetes Ende kam nach einer Marathonsitzung in der Nacht vom 29. September 2010. Mit 35 zu 33 Stimmen wurde das Gesetz angenommen. Die Präsidentin versprach, es dieses Mal zu akzeptieren. Das ist ein Sieg quer durch alle Parteien hindurch und gegen eine mächtige Lobby. Denn das Gesetz greift massiv in die Interessen vor allem internationaler Bergbauunternehmen ein, die in den Anden Gold und andere Metalle schürfen. Dementsprechend (finanz)stark war die Gegenwehr. Die eigentliche Gesetzesvorlage der Abgeordneten Marta Maffei wurde im Oktober 2008 schon einmal einstimmig in Abgeordnetenhaus und Senat beschlossen. Ein Sieg für den Schutz natürlicher Ressourcen, der bald kippen sollte.
Denn 19 Tage nach dem einstimmigen Beschluss des Gletschergesetzes wischte ein Veto der Präsidentin das Projekt vom Tisch. Nichts drückt die Hintergründe dieser Verwicklungen besser aus als der Eigenname, den das Veto der Präsidentin erhielt – Veto Barrick, benannt nach dem kanadischen Bergbaukonzern Barrick Gold Corporation, der diverse Minenvorhaben in Argentinien betreibt. „Das Gesetz setzt Bergbauprojekten immer da Grenzen, wo Gletscher oder deren Umfeld gefährdet sind. Weltweit schrumpfen 84 Prozent aller Gletscher aufgrund der globalen Erwärmung. Argentinien hat das Kioto-Protokoll unterzeichnet, aber verhindert ein Gesetz mit konkreten Maßnahmen zu dessen Umsetzung“, so Marta Maffei in einem Interview mit Radio Mitre. Inzwischen ermittelt die Justiz die Rechtmäßigkeit des Vetos. „Wir wollen herausfinden, welche Beziehung zwischen dem Veto der Präsidentin und den Funktionären der Barrick Gold besteht“, sagte die Abgeordnete Fernanda Reyes der Tageszeitung Clarín.
Argentinien hat das sechstgrößte Bergbaupotential der Erde. Die meisten Projekte liegen auf über 4.000 Metern Höhe in den Anden, direkt unter Gletschern oder in deren unmittelbarer Nachbarschaft. „Wenn für eine Mine ganze Berge weggesprengt werden, legt sich Feinstaub auf die Gletscher, die dann die Sonneneinstrahlung nicht mehr reflektieren und schneller schmelzen. Deswegen ist auch der Schutz des peripheren Umfeldes der Gletscher so wichtig, zumal weniger als die Hälfte des Gletschers als weißer Gletscher sichtbar ist. Der größte Teil ist unter Stein verborgen.
Es ist dem breiten öffentlichen Interesse zu verdanken, dass nach dem Veto weiter an einem Gesetz zum Schutz der Gletscher festgehalten wird. Schnell entbrannte nach dem Veto eine öffentliche Diskussion über die Problematik von Umweltschutz und Bergbau. In diesem Rahmen legten zwei weitere Abgeordnete Gesetzesentwürfe vor. Miguel Bonasso von der Opposition übernahm den Text von Marta Maffei. Und Daniel Filmus von der Frente para la Victoria, der auch die Präsidentin angehört, schlug eine Version vor, die sich nur auf die Gletscher, nicht aber auf das Umfeld bezieht. „Filmus hat ein Gesetz gesucht, das für die Regierung verdaulich ist. Die Absicht ist ja nicht schlecht, aber lieber gar kein Gesetz als ein schlechtes“, sagt Marta Maffei dazu in Radio Mitre. In einer ersten Lesung im Abgeordnetenhaus wurde der Text von Bonasso mit 129 zu 86 Stimmen im August diesen Jahres angenommen, dann jedoch die zweite Sitzung auf Bitte der Frente para la Victoria vertagt. Um einem erneuten Veto oder dem Scheitern des Gesetzes im Senat vorzubeugen, hatten sich mittlerweile Bonasso und Filmus auf einen gemeinsamen Text geeinigt. Der umstrittene Schutz des peripheren Umfeldes blieb darin bestehen. Der zweiten Lesung jedoch blieben so viele Abgeordnete der Frente para la Victoria fern, dass keine gültige Abstimmung möglich war. Und dann wurde auch die dritte Lesung wieder vertagt. Der Interessenkonflikt zwischen Bergbaulobby und Umweltverbänden nahm derweil immer mehr zu. „Auffällig war, dass ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als das Gesetz aufgrund der starken Mediendiskussion zu einer Forderung aus der Bevölkerung geworden war, überall im Land Pro-Bergbau-Demonstrationen stattfanden.
Sieben der zehn Gouverneure der Region, die alle vom Wasser der Anden leben, unterzeichneten noch vor dem Beschluss des Gletschergesetzes ein Dokument, das die natürlichen Ressourcen ihrer Gebiete einschließlich der Gletscher als Eigentum der Provinzen erklärt. Drei Gouverneure dagegen, unter ihnen José Luis Gioja aus der Provinz San Juan, in der die Megamine Pascua Lama liegt und über 100 weitere Projekte geplant sind, verwahrten sich gar gegen jegliches nationale Gesetz. Die Antwort von Gesetzesinitiator Daniel Filmus vor dem Senat darauf: „Der Zugang zu Trinkwasser wurde von der UNO neben dem Recht auf Leben als wichtigstes Menschenrecht eingestuft. Wir sind verpflichtet, das Wasser für unsere Kinder und zukünftige Generationen zu schützen. Das Gold dagegen endet als Barren in den Banken der Schweiz.“ Aber was ist der eigentliche Grund für dieses beständige Verschieben des Entschlusses? Es ist offensichtlich, dass mit diesem Gesetz UmweltschützerInnen den kommerziellen Interessen der BergbaubetreiberInnen erstmalig wirklich gefährlich werden“, sagt Ricardo Vargas. Nun ist das Gesetz beschlossen. Die Abstimmung hob sämtliche parteipolitischen Blöcke auf. Durch die Gemeinschaftsarbeit von Daniel Filmus und Miguel Bonasso bildeten sich beim Thema Umweltschutz unerwartete Allianzen.
Welche ganz konkreten Auswirkungen das Gesetz nun auf schon bestehende Bergbauprojekte hat, lässt sich allerdings noch nicht sagen. Zunächst müssen erst einmal alle Gletscher erfasst werden, denn sie sind in Argentinien noch immer unbekanntes Gebiet. Dann unterliegt es dem Argentinischen Institut für Schnee- und Gletscherkunde und Umweltwissenschaften, die Situation vor Ort und die Anträge für zukünftige Projekte zu prüfen.

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