Erinnerung | Nummer 387/388 - Sept./Okt. 2006

Ein Streiter für die Menschenrechte

Zum Tod von Konstantin Thun

Wolfgang Kaleck

Im Mai dieses Jahres wurde im Oberlandesgericht Freiburg die Neuauflage von Tino Thuns 1985 erstmals veröffentlichter Dissertation „Menschenrechte und Außenpolitik. Bundesrepublik Deutschland und Argentinien 1976 – 1983“ vorgestellt. Sowohl die veranstaltende Kommission für Menschenrechte des Vereins der Richter und Staatsanwälte und des Anwaltsvereins Freiburg als auch die Koalition gegen Straflosigkeit wurden von ihm mitbegründet. Es war die letzte Veranstaltung, die Tino Thun besuchen sollte. Von der seit fast zwei Jahren an ihm zehrenden Krankheit gezeichnet, verfolgte er die Veranstaltung von seinem Rollstuhl in der ersten Reihe aus. Öffentlich sprechen jedoch konnte und wollte er nicht mehr.
Zusammensetzung und Arbeitsbereiche des Vereins sind deutlich von Tinos Charakter und von seiner Wirkungskraft gekennzeichnet: Die Kommission für Menschenrechte war in der Freiburger Provinz ebenso wie in der internationalen Menschenrechtsszene verankert. Tino brachte nicht nur vermeintliche AntagonistInnen, wie RichterInnen, StaatsanwältInnen und AnwältInnen an einen Tisch. Mit seiner integrativen und gleichzeitig hartnäckigen Art schaffte er es auch, diese im Alltag so unterschiedlichen JuristInnen im weltweiten Engagement für die Menschenrechte in Argentinien, im Iran und anderswo zu vereinen.
Wenn er sich als Freiburger Anwalt für die Rechte von Flüchtlingen oder im Fall Klaus Zieschanks für die Bestrafung argentinischer Militärs einsetzte, war er jeder Konfrontation gewachsen. Deutlich und konsequent kritisierte er eine verfehlte Ausländer- und Flüchtlingspolitik oder die Verstrickung deutscher Firmen und DiplomatInnen in die Verbrechen der argentinischen Militärdiktatur. Er war einer der ersten Rechtsanwälte in Deutschland, der sich sowohl beruflich als auch politisch der internationalen Menschenrechtsarbeit widmete, lange bevor der Menschenrechtsdiskurs modisch wurde.
Als Aktivist war er schon kurz nach dem argentinischen Militärputsch im März 1976 für amnesty international in der Solidaritätsarbeit tätig. Er versuchte, die Bundesrepublik Deutschland zu einer klaren Haltung und einem stärkeren Engagement für die inhaftierten Deutschen und Deutschstämmigen in Argentinien zu bewegen – in den meisten Fällen leider vergeblich, wie wir heute wissen: Klaus Zieschank wurde im Mai 1976 ermordet aufgefunden, Elisabeth Käsemann am 24. Mai 1977. Obwohl die argentinischen Behörden die Namen der angeblich im Gefecht Getöteten kurz darauf veröffentlichten, gab das Auswärtige Amt ihren Tod erst nach dem Fußball-Freundschaftsspiel Argentinien – Deutschland am 05. Juni 1977 bekannt. Die Strafanzeige von Käsemanns Vater wurde 1980 auf skandalöse Art und Weise von der Staatsanwaltschaft Tübingen eingestellt. Erst im November 2003 erließ das Amtsgericht Nürnberg auf Antrag der Staatsanwaltschaft Haftbefehl wegen dringenden Tatverdachts des Mordes an Käsemann und Zieschank gegen die Junta-Chefs Videla und Massera sowie den Chef des 1. Heerescorps, Suárez Mason. Dem Haftbefehl waren fünfjährige Bemühungen der Koalition gegen Straflosigkeit und deren AnwältInnen vorangegangen.
Tino Thun arbeitete das Versagen deutscher Außenpolitik in seiner Dissertation wissenschaftlich auf. Sie stellt eine einzigartige kritische Bestandsaufnahme deutscher Außenpolitik hinsichtlich der Verletzung bürgerlicher und politischer Menschenrechte in Argentinien dar. Bis heute ist sie von offizieller Seite unbeantwortet. Weder wurden die erhobenen Vorwürfe untersucht, noch wurde fundiert auf sie eingegangen.
So blieb es Tino vorbehalten, unermüdlich die immer noch offenen Fragen zu benennen. Seine Beiträge waren dabei so visionär wie sein gesamtes Wirken der letzten 30 Jahre. Bis zuletzt forderte er eine umfassende Aufarbeitung der deutsch-argentinischen Beziehungen in den Jahren 1976 bis 83, freien Zugang zu den Akten des Auswärtigen Amtes sowie größere Berücksichtigung der Menschenrechte in der politikwissenschaftlichen wie in der diplomatischen und juristischen Ausbildung. Damit knüpfte er an das an, was schon 1985 seine Vision gewesen war: Eine Demokratisierung der Außenpolitik, damit Menschenrechtspolitik nicht mehr von kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen einiger weniger Industrienationen verdrängt werde. Im Juli diesen Jahres starb Konstantin Thun. Die meisten seiner Forderungen harren der Umsetzung. Es gibt noch viel zu erledigen. Tino wird uns dabei fehlen.

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