Kuba | Nummer 488 - Februar 2015

Eine Tür zur Zukunft

Reaktionen auf die geplante Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Kuba und den USA

Die Ankündigung der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Kuba und den USA grenzte für viele Kubaner*innen an ein Wunder. Jahrzehntelange Konfrontationen zwischen den Regierungen hatten seit dem Abbruch der Beziehungen 1961 starke Auswirkungen auf den Alltag aller Kubaner*innen, nicht zuletzt durch die US-Blockade gegen die Insel . Die Reaktionen auf dieses historische Ereignis, die Hoffnungen und Befürchtungen, die mit dem Beginn einer neuen Ära in den bilateralen Beziehungen beider Länder verbunden werden, sind groß. Ein Bericht aus Havanna.

Andreas Knobloch

Zu Beginn eines jeden Kalenderjahres warten viele Kubaner*innen gespannt auf den sogenannten Jahresbrief (Letra del Año) der Babalaos, der Santería-Priester. Die afrokubanische Religion, auf Kuba weit verbreitet, vermischt ihre Orishas, Götter, mit katholischen Heiligen. In metaphorischer Sprache werden im Jahresbrief Regeln aufgestellt, die das materielle und spirituelle Leben der Menschen und der Gesellschaft in der nächsten Zeit bewegen werden. Aufmerksam lesen die Gläubigen jeden der verschiedenen Ratschläge und Hinweise. Aber auch die Nicht-Gläubigen werfen einen Blick darauf – man weiß ja nie.
In diesem Jahr haben die Santería-Priester darum gebeten, die Regentschaft des Orisha Baba Eyiogbe, dem Begünstiger des Dialogs und überlegten Handelns, zu nutzen, um die im Dezember vergangenen Jahres angekündigten Verhandlungen zwischen Kuba und den USA fortzusetzen und die auf der Insel angestoßenen Reformen zu vertiefen. „Baba Eyiogbe fordert die Führer der Welt und speziell die der USA und Kubas auf, als Grundlage für die Beziehungen den Kopf und die eigene Intelligenz zu benutzen und sich weder von Situationen aus der Vergangenheit, noch von Umständen beeinflussen zu lassen, die ein paar Unruhestifter heraufbeschwören könnten“, sagte Babalao Lázaro Cuesta bei der Vorstellung des Orakels Anfang Januar in Havanna. Seit 28 Jahren verbreitet die Kommission Miguel Febles, der Cuesta vorsteht, den Jahresbrief. Es ist der älteste seiner Art auf Kuba. „Wir haben die Gelegenheit, uns weiter an den Verhandlungstisch zu setzen, um jene Dinge zu teilen, die uns verbinden. Und wenn wir nicht zu sehr auf jenen Dingen beharren, die uns unbestreitbar trennen, dann können wir zwischen zwei Ländern, die immer Brüder waren, Brücken bauen“, so Cuesta weiter.
Nach einem spektakulären Gefangenenaustausch hatten der US-amerikanische Präsident Barack Obama und Kubas Staatschef Raúl Castro am 17. Dezember in zeitgleichen Fernsehansprachen den Beginn einer neuen Ära zwischen beiden Ländern angekündigt. Die seit 1961 unterbrochenen diplomatischen Beziehungen sollen wieder aufgenommen werden. Mitte Januar lockerte die US-Regierung dann Beschränkungen für Geldüberweisungen und Reisen auf die Insel sowie diverse Ein- und Ausfuhrbestimmungen. „Wir können nicht weiterhin dasselbe machen und ein anderes Resultat erwarten“, so Obama. Er erkannte damit ein Scheitern der US-amerikanischen Blockadepolitik an. Zehn US-Präsidenten vor ihm hatten es mit diesem Instrument des Kalten Krieges nicht geschafft, Havanna zu bewegen, seine Politik zu ändern. Castro zollte der Entscheidung Obamas Respekt, forderte aber zugleich eine endgültige Aufhebung der Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade, die enorme menschliche und ökonomische Schäden in Kuba anrichte. Zwar benötige Obama dafür die Zustimmung des Kongresses, der US-Präsident könne aber Einfluss darauf nehmen, wie die Blockade angewandt werde.
Auf Kuba ist die Ankündigung mit Erstaunen, aber großer Freude und Hoffnung aufgenommen worden. „Ich konnte es kaum glauben“, sagt Conner Gorry aus New York, die seit 13 Jahren in Havanna lebt und im Stadtteil Vedado ein kleines Literatur-Café betreibt. „Ein historischer Tag! Ein lange erwarteter Wandel und dann kommt er so unerwartet.“ Ihre Familie habe sofort angerufen, alle seien ziemlich aufgeregt gewesen. „Vieles wird nun einfacher werden“, sagt sie, „die Reisen, die Geldüberweisungen“. Sie habe Pläne gehabt, das Café zu schließen, aber die wird sie nun wohl doch noch einmal überdenken. „Alles wird sich verändern“, sagt Gorry. „Aber wie schnell?“ Es klingt, als ob ihr auch ein bisschen bange davor ist.
Fahd Miguel Pereira, der Gastronom gelernt hat, als Theaterschauspieler tätig war und nun als Computertechniker sein Geld verdient, ist dagegen überhaupt nicht besorgt: „Ich bin einfach nur froh und gespannt, was die ersten Schritte sein werden.“ Am 21. und 22. Januar war die hochrangigste US-Delegation seit 35 Jahren nach Havanna gereist, um über Einwanderungsfragen und die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu verhandeln. Zuvor hatten die kubanischen Behörden als Zeichen des Guten Willens insgesamt 53 als „politisch“ eingestufte Gefangene freigelassen.
„Dieser Tag wird unsere Leben markieren – in ein Vorher und ein Nachher“, sagt Pereira. Es sei, als habe ihm jemand eine schwere Last abgenommen. Er hofft, dass nun alles besser wird: die Kommunikation, die Beschäftigungssituation. Gerade im Bereich Computertechnik, wenn neue Technologien auf der Insel Einzug halten. Daher überlegt er nun auch, sich selbständig zu machen. Rund 450.000 Kleinunternehmer*innen, als cuentapropistas, Arbeiter*innen auf eigene Rechnung, bezeichnet, gibt es mittlerweile auf Kuba. Sie fahren Taxi, vermitteln Immobilien oder betreiben Imbisse und Restaurants. „Die wirtschaftlichen Möglichkeiten werden zunehmen“, meint Pereira. Und fügt hinzu, dass Obama sich nun auch seinen Friedensnobelpreis verdient habe. Ein Satz, den man in diesen Tagen in Havanna öfter hört.
Auch Miguel Govín González, der sich mit Geschäften aller Art durchschlägt, ist gut auf Obama zu sprechen. „Wenn Obama nach Kuba kommt, dann gehe selbst ich zur Plaza de la Revolución – ich, der ich nie an einem der 1. Mai-Aufmärsche teilnehme.“ Er hofft, dass beide Seiten sich bald einigen. „Dann werden wir alle davon profitieren und die Tür zur Zukunft öffnet sich endlich.“ Er macht eine einfache Rechnung auf: Wenn die USA in Kuba investieren, gibt es mehr Arbeit, mehr Möglichkeiten und die Kaufkraft steigt. „Dann können wir unsere Probleme selbst lösen und sind nicht mehr vom Geld der Touristen abhängig.“
Zuversicht ist allerorten spürbar. „Es herrscht eine gewisse Aufbruchsstimmung“, sagt ein deutscher Unternehmer, der seit 14 Jahren in Havanna lebt und eine Reiseagentur betreibt. Für das Tourismusgeschäft sei die Entwicklung natürlich sehr positiv. Allerdings glaubt er im Gegensatz zu vielen anderen, dass die Öffnung weiterhin eher langsam stattfinden wird. Denn das Reiseverbot für US-Bürger*innen nach Kuba kann nur vom US-Kongress aufgehoben werden. Und der wird von den Republikanern dominiert, die Obama unversöhnlich gegenüberstehen. Die vom US-Präsidenten Mitte Januar gelockerten Reisebeschränkungen werden „sich in der kommenden Wintersaison dann richtig bemerkbar machen“, glaubt der Unternehmer, der nicht namentlich genannt werden will. Zwar würden für US-Bürger*innen zunächst weiterhin nur Gruppenreisen möglich sein „Aber es werden auch mehr US-Einzelreisende nach Kuba kommen, zum Beispiel über Mexiko – was eigentlich illegal ist – , wenn sie in den USA keine negativen Konsequenzen mehr befürchten müssen.“
Schätzungen zufolge werden die Zahlen der Besucher*innen im ersten Jahr einer vollständigen Öffnung des US-Tourismus gen Kuba um eine Million, nach drei bis fünf Jahren um drei Millionen Reisende pro Jahr zunehmen. Damit würde sich der Zahl der Tourist*innen mehr als verdoppeln: Derzeit reisen rund 2,5 Millionen Menschen aus aller Welt nach Kuba.
„Doch Kuba ist darauf nicht vorbereitet“, sagt der deutsche Unternehmer, die Infrastruktur sei nur ungenügend, es gäbe unter anderem zu wenige Hotels, Mietautos oder Busse:„Es wird einen gewaltigen Konkurrenzkampf geben, aber wenn die US-Touristen kommen, bedeutet das auch ein gutes Geschäft.“ Denn US-amerikanische Reiseagenturen, wie überhaupt US-Unternehmen jeglicher Art, dürfen auch weiterhin noch nicht auf der Insel tätig werden .
„Die Kubaner werden sehr offen gegenüber US-amerikanischen Investoren sein, allerdings haben die Spanier, Italiener oder Kanadier mehr als 20 Jahre Vorsprung. Kuba ist ein Land, in dem Kontakte und Vertrauen wichtig sind. Und die bauen sich nicht über Nacht auf“, resümiert er.
Auch der 27-jährige Psychologe Reynier González Palais freut sich, dass US-amerikanische Tourist*innen künftig leichter nach Kuba reisen können und es mehr direkte Kontakte und Austausch zwischen der Bevölkerung beider Länder geben wird. „Die Annäherung hätte schon vor langer Zeit passieren müssen“, sagt er und hofft, dass es eine Öffnung in allen Bereichen geben wird, die Wirtschaft in Schwung kommt und die Löhne endlich ausreichen, um ein würdiges Leben kraft der eigenen Arbeit zu führen. Aber ihn plagt auch die Sorge, dass Kuba sich in ein grenzenloses Konsumland verwandeln könnte: „Viele Leute sind auf den Wandel nicht vorbereitet. Es gibt einen riesigen Durst nach Konsum und die Hoffnung, endlich Zugang zu vielen Dingen zu bekommen.“ Was nach mehr als 20 Jahren „Spezialperiode“ verständlich sei. Aber trotzdem: Dass sich die Errungenschaften Kubas verlieren könnten, das Gesundheits- und Bildungssystem, bereitet González Sorgen.
Ganz anders die Hausfrau Rosa Guadelupe García Araneta: „Keine Sorge, wir werden in guten Händen sein. In jedem Fall wird es besser werden“, ist sie überzeugt und hofft aus schnelle US-Investitionen. Den historischen Tag hat sie in Miami erlebt, wo sie sich gerade zum Familienbesuch aufhielt. Vier ihrer Töchter und ihre Enkelkinder leben in den USA. Zwar habe es auch negative Reaktionen gegeben, vor allem von der „alten Garde“ der Exilkubaner*innen. „Von der neuen Generation aber sind alle froh, dass es endlich zu einer Annäherung kommt.“ Sie hofft, dass ihre Familie nun leichter zu Besuch kommen kann und die Geldüberweisungen einfacher werden. In den USA lebende Exilkubaner*innen können künftig vierteljährig 2000 statt 500 US-Dollar nach Kuba überweisen; auch Zahlungen mit US-Kreditkarten sind künftig auf Kuba möglich. Und in Anspielung darauf, dass die Annäherung ausgerechnet am 17. Dezember geschah, dem Tag des heiligen Lazarus oder des Babalú Ayé, wie die entsprechende Santería-Gottheit heißt, sagt Rosa Garcíamit einem Augenzwinkern: „San Lázaro hat seine Hände im Spiel gehabt und Obama angestoßen.“ Babalú Ayé ist nämlich bekannt dafür, Wunder zu vollbringen.

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