Literatur | Nummer 498 - Dezember 2015

Eine Unterschrift ist nur der Anfang

Laura Restrepo über den Friedensprozess in Kolumbien

Die Schriftstellerin Laura Restrepo war zu Gast auf dem Internationalen Literaturfestival 2015 in Berlin. In den achtziger Jahren war sie Teil der Verhandlungsdelegation die zwischen der Regierung und der M-19 Guerilla vermittelte – die aktuellen Friedensverhandlungen in Havanna zwischen der FARC-Guerilla und der Regierung Santos verfolgt sie mit großem Interesse. Die LN sprachen mit ihr über Literatur und Politik.

Von Interview: Isabella Kalthofen
Laura Restrepo (Foto: Ali Ghandtschi)
Laura Restrepo (Foto: Ali Ghandtschi)

Wurde ihr erstes Buch Historia de un entusiasmo (Geschichte einer Faszination) über die Friedensverhandlungen zwischen der M-19 Guerilla und der Regierung von den Leser*innen damals angenommen?
Ja. Es war mein erstes Buch. Ich glaube, es ist das meistgelesene von meinen Büchern in Kolumbien. Vor einer Weile habe ich mit den Verlegern eine Einschätzung versucht, weil die Raubkopien mehr verkauft wurden als das Original. Auch in Ländern wie Guatemala oder auf den Philippinen, wo auch Friedensverhandlungen stattfanden, gab es Raubdrucke. Sehr schlecht für einen, weil man keine Einnahmen hat, aber gut zu wissen, dass es gelesen wurde.

Und wie war die Rezeption in der Literaturwissenschaft?
In der Literaturwissenschaft wurde es zu einer Referenzgröße und als Zeugnis der Friedensverhandlungen betrachtet. Ich habe meine persönliche Version erzählt. Ich war sehr verstrickt in den Prozess. Ich behaupte nicht, dass es eine objektive Sicht auf die Dinge darstellt. Das Buch hat eine Eigenschaft, die mir beim Festhalten von historischen Fakten sehr wichtig ist: eine ehrliche Subjektivität. Es wird immer noch gelesen, das ist gut. Das liegt vor allem an der Bedeutung von Friedensverhandlungen in vielen Regionen.

Wird es dieses Mal wieder ein Buch über die Verhandlungen geben?
Ich denke schon. Einer der besten Autoren Kolumbiens, Alfredo Molano, war vor Ort, sozusagen an vorderster Front. Nicht nur bei den Gesprächen, sondern auch in den Konfliktregionen. Er hat in den 80er Jahren mit dem Buch Los años del tropel über die Demobilisierung der Liberalen Guerilla in den 50ern einen Zyklus angefangen. Es wäre interessant zu lesen, wie er ihn jetzt schließt, abgesehen davon, dass er sehr gut schreibt. Eine poetische Prosa, die nicht im reinen Journalismus verharrt.

Nehmen Sie eine Veränderung im Diskurs über die Guerilla wahr? Vor einigen Jahren wurde sie dämonisiert und eine andere Meinung wurde nicht akzeptiert.
Das ist richtig. Andere Meinungen wurden nicht akzeptiert oder jene Personen wurden direkt mit der Guerilla in Verbindung gebracht. Der Präsident Juan Manuel Santos war einst Kolumnist bei der Zeitung El Tiempo zu Zeiten der Verhandlungen mit der Guerilla M19. Wenn man seine damaligen  Kolumnen liest, war für ihn die Guerilla und die Friedenskommission ein und dasselbe. Er war auf brutale Weise gegen die Verhandlungen vorgegangen und El Tiempo hat eine sehr destruktive Rolle bei der Berichterstattung während den damaligen Friedensverhandlungen in Kolumbien gespielt.

Weckt der Dialog in Havanna Hoffnung?
Es ist eine Öffnung in Richtung Demokratie. Für mich ist wenig interssant, welche Begriffe in die Vereinbarung kommen. Viel entscheidendener ist jedoch, inwieweit sie eine breite Diskussion über die Zukunft des Landes ermöglichen, an der alle teilhaben. Die Verhandlungen können der Funke sein, der einen Prozess entzündet, dessen Endpunkt außerhalb der Verhandlungen liegt. Das heißt: Die Unterzeichnung des Friedensabkommens ist ein Anfang, aber kein Schlusspunkt. Die gescheiterten Verhandlungen mit der M19-Guerilla zeigten, dass aus einem Friedensprozess ein demokratischer Impuls entstehen kann. Schließlich löste sich dadurch eine gesellschaftliche Mobilisierung aus, die in einen verfassunggebenden Prozess und in eine neue Verfassung mündete.
Es gibt Dinge die nicht verwechselt werden dürfen. Das eine sind die Höhen und Tiefen, Enttäuschungen und die Feinheiten, die eine Regierung und die Guerilla bei dem Festlegen der Punkte für eine Vereinbarung durchlaufen. Das andere ist die Diskussion, die im ganzen Land stattfindet. Wenn dieser entstandene Freiraum nicht benutzt wird, inwieweit betrifft es einen als Kolumbianerin, dass die FARC etwas verhandelt oder auch nicht? In den Medien hat diese Dimension in der Berichterstattung gefehlt.
Können Sie das konkretisieren?
Zur Diskussion stand in den Medien, wer ins Gefängnis muss und wer nicht. Darum geht es auch. Aber wichtiger ist, was passiert mit dem Land? Mit den Opfern? Was passiert mit einer Agrarreform, die es in Kolumbien nie gab. Das schreibt uns als rückständiges Land fest. Es gibt kein Land, welches seinen Weg in die Modernität ohne Agrarreform gefunden hat. Der Frieden muss außerhalb der Verhandlungen erarbeitet werden. Neulich habe ich eine harte Reaktion in den Medien gelesen, weil Iván Márquez  von der FARC darüber gesprochen hatte, dass eine Landpolitik nötig sei. Und sie haben gesagt: „ Er fordert zu viel, das geht zu weit.“ Dabei sind die Forderungen von Márquez doch logisch. Wozu ist ein Friedensprozess gut, wenn nicht Schritte in Richtung Demokratie unternommen werden? Welchen Sinn hat eine Verhandlung, wenn das Thema der Diskussion nicht das Land selbst ist?

Spielen die Medien eine wichtige Rolle für die Verhandlungen?
Ja. Bei der Bewertung spielen die Medien eine große Rolle. Aber oft reduzieren sie die Diskussionen darauf, ob die FARC weitere Entführungen machen wird oder nicht. Immer wenn es um die wirklichen Inhalte geht, um die großen Probleme im Land, heißt es: Sie werfen Steine in den Weg. Die schmeißen Stöcke in die Speichen. Ich erwarte mir von Havanna, dass endlich diskutiert wird im Land. Was bedeutet Frieden? Eine Unterschrift oder einen demokratischen Prozess?

Hat das Internet geholfen, die alternativen Medien in Kolumbien zu entwickeln, da die großen Medien in Privatbesitz sind?
Ja und hoffentlich bleibt das so. In Kolumbien findet man jetzt Information von beiden Seiten. Allerdings gibt es im Internet auch Privatisierungs- und Monopolisierungstendenzen wie bei den anderen Medien. Auch hier besteht die Gefahr, dass sie sich gegen die Meinungsvielfalt verschließen. Es gibt Massen von Leuten, die sich nur über die eine Seite informieren und eine quasi einheitliche öffentliche Meinung über bestimmte Themen schaffen. Die Mainstream-Medien müssen zumindest bis zu einem gewissen Grad der Meinungsvielfalt öffnen, weil sie sonst gegenüber dem Internet an Boden und Leser verlieren.

 

Laura Restrepo
ist eine kolumbianische Autorin. Anfang der achziger Jahre arbeitete sie für die Wochenzeitschrift Semana als innenpolitische Berichterstatterin. Sie wurde vom damaligen Präsidenten Belisario Betancur (1982-86) in die Verhandlungsdelegation der Regierung für Gespräche mit der M-19 Guerilla berufen, die 1983 starteten, aber scheiterten. Ihr erstes Buch Historia de un entusiasmo (1986) hatte diese Gespräche als Thema. Das Buch schrieb sie aus dem Exil in Mexiko. Inzwischen lebt sie in Barcelona.

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