Lateinamerika | Nummer 197 - November 1990

“Emancipación e Identidad” tagt

Per­spektiven für eine Kampagne zum 500.Jahrestag der Conquista

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Unter dem Titel “Herrenvölker-Randvölker” fand am 29./30.September in Frank­furt der zweite sog. “Bundeskongreß” dessen statt, was sich als Kampagne “Emancipación e Identidad” zum 500.Jahrestag der sog. Entdeckung Amerikas durch Christoph Columbus versteht. Initi­iert von dem in Mexiko tätigen deutschen Soziologen Heinz Diete­rich hat “Emancipación e Identidad” in der Bundesrepublik seit ei­nem Jahr durch Publikationen und Kongresse mit promi­nenten Gästen von sich reden gemacht. Anspruch von “Emancipación e Identidad” ist die Organisation einer interkontinentalen Kampagne bis 1992. In Frankfurt wurde allerdings auch deutliche Kritik an den Initia­torInnen laut. Die Frage ist: wer macht welche Kampagne, wie, und mit wem?
“Emancipación e Identidad” ist zunächst einmal eine lateinamerika­nische Kam­pagne. Nach der Gründung in Mexiko wurden Kontakte zu Organisationen auf dem ganzen Kontinent geknüpft. Besonders inte­ressant in diesem Zusammen­hang: die “Campaña 500 años de resis­tencia indígena y popular” (Kampagne 500 Jahre indigener und Volkswiderstand). Sie geht von einem breiten Spektrum von Organi­sationen indigener Völker, Landlosenbewegungen und anderer Volks­organisationen aus (siehe auch das Interview zu ihrem ersten Kon­greß im Ok­tober 1989 in Bogotá in LN 187). Beide Kampagnen haben inzwischen ihre “Verschwisterung” (“hermandad”) beschlossen, die sich, nach Auskunft der la­teinamerikanischen Gäste, in der Praxis aber auf gegenseitige Einladungen zu Kongressen beschränkt. Nach­dem bereits im November vergangenen Jahres in Hamburg der erste Kongreß von “Emancipación e Identidad” stattgefunden hatte, sollte in Frankfurt ein Schritt hin zur Interkontinentalisierung der Kam­pagne getan werden. Organisiert war der Kongreß von dem aus der Nicaragua-Solidarität bekannten Verein Monimbó aus Dietzenbach bei Frankfurt. Beste Voraussetzungen also für eine breite Vernetzung der lateinamerikanischen Kam­pagnen mit der in der BRD entstehenden Kampagne, an der viele Gruppen und fast alle Zeitschriften des So­lidaritätsspektrums mitarbeiten?
Zunächst machte das Konzept des Kongresses stutzig. Am ersten Vor­mittag sollten nach mehreren Grußworten sage und schreibe vier Vorträge ohne Pause die TeilnehmerInnen auf das Thema einstimmen. Heinz Dieterich selbst, der ar­gentinische Ex-Montonero Miguel Bo­nasso, Tomás Borge und die guatemalteki­sche Menschenrechtskämpfe­rin Rigoberta Menchú waren die ReferentInnen. Auf den Inhalt der Beiträge über Strategien, Perspektiven, Theorie und Praxis der la­teinamerikanischen Linken genauer einzugehen, führt an dieser Stelle zu weit. Nur soviel sei gesagt: deren Qua­lität stand in keinem Verhältnis zur Prominenz des Podiums, einzig Rigoberta Menchú konnte überzeugen.
Der Lichtblick des Kongresses waren die anwesenden VertreterInnen der latein­amerikanischen Kampagne “500 años de resistencia”. Cristobal Tapuy vom Indi­gena-Dachverband CONAIE aus Ecuador, der kolumbianische, in Ecuador exi­lierte Gewerkschaftsführer Angel Tolosa und Rigoberta Menchú konnten deutlich machen, wie die Kampagne aus ihrer konkreten politischen Arbeit ihre Konturen be­zieht. Zumindest für die TeilnehmerInnen ihrer AG’s (zwei von ins­gesamt mehr als 15) war ein Ziel des Kongresses, die Information über Aktivitä­ten in Lateinamerika, erreicht. Aber der Informations­fluß verlief als Einbahn­straße. Es bestand kaum Gele­genheit, die lateinamerikanischen Gäste über den Diskussionsstand in der BRD zu informieren. Der Austausch von Ideen, Infor­mationen, politischen Standpunkten etc., für den ein solcher Kongreß den Rah­men bieten müßte, fand nicht statt.
Nach der ausgedehnten Vorstellung der Arbeitsgruppenergebnisse war Sonntag nach dem Mittagessen noch der Punkt “Kampagne in der BRD” vorgesehen. Die gelichteten Reihen ließen nicht auf übermäßiges Interesse daran schließen, war doch offenbar ein großer Teil des Auditoriums mehr der prominenten Gäste we­gen gekommen. Tatsächlich blieb es merkwürdig nebulös, wer denn an diesem Ort eigentlich was für eine Kampagne initiieren sollte.
In der BRD findet seit über einem Jahr im Rahmen des BUKO (Bundeskongreß der entwicklungspolitischen Aktionsgruppen) ein oft sehr mühsamer Diskussi­onsprozeß statt, der in eine Kampagne münden soll. Der Stand dieser Diskussion war in Frankfurt kein Thema. Eine Kampagne lebt von den Gruppen und Men­schen, die sie tragen und konkret umsetzen. Die Inhalte einer Kampagne in Eu­ropa und in der BRD müssen aus den politischen Problemen und Erfahrungen hier entstehen, um z.B. die Auswirkungen des EG-Binnenmarktes auf La­teinamerika zum Thema zu machen. Bisher scheinen die TrägerInnen von “Emancipacion e Identidad” es nicht für nötig zu halten, sich mit den bereits en­standenen Strukturen für eine Kampagne in der BRD auseinanderzusetzen, eine Kampagne, im Zuge derer die Entwick­lung konkreter politischer Forderungen hier in der BRD und in Eu­ropa im Mittelpunkt stehen müßten. Es scheint sym­ptomatisch, daß die eher peinliche Eigenwerbung des Herrn Dieterich für das von ihm herausgegebene demnächst erscheinende Buch (O-Ton Dieterich: “das wichtigste Buch seit Las Casas”) beim Kongreß mehr Raum ein­nahm, als die Dis­kussion um gemeinsame Handlungsmöglichkeiten. Nicht daß man etwas dage­gen haben könnte, auf einer intellektuell-wissenschaftlichen Ebene eigene Dis­kussions- und Aktionsformen zu entwickeln. Publikationen, die Material für De­batten liefern, und die Organisation von gut besetzten Kongressen können eine Kampagne nur weiterbringen. Ohne die Bereitschaft zur Vernetzung solcher Ak­tivitäten mit dem vorhandenen Spektrum von Aktionsgruppen er­scheint aller­dings ein Kongreß einer sogenannten Kampagne wie die­ser als immer weiteres Aufblasen eines Ballons namens “Emancipación e Identidad” ohne Verankerung in der politischen Wirklichkeit der BRD-Solidaritätsszene. Es ist zu hoffen, daß “Emancipación e Identidad” in den anderen europäischen und latein­amerikanischen Ländern, in denen die “Kampagne” in Erscheinung tritt, bereits vorhandenen Strukturen mehr Aufmerksamkeit ge­schenkt hat.
Niemanden ist damit gedient, die Aktionen zum 500.Jahrestag der spa­nischen Conquista durch eine Spaltung in verschiedene Kampagnen bis hin zur direkten Konkurrenz zwischen ihnen zu belasten. Ort und Zeit für die notwendige Ver­netzung und gemeinsame Planung sind das nächste BUKO-Seminar zum Thema im Dezember und die für März geplante Aktionskonferenz.

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