Nummer 426 - Dezember 2009 | Venezuela

Energie in der Krise

In Venezuela werden Wasser und Strom knapp

In Venezuela, das einen Großteil seiner benötigten Energie aus Wasserkraft bezieht, bestehen derzeit sowohl bei Wasser als auch Strom Engpässe. Als Ursache gelten eine lang anhaltende Dürre, fehlende Investitionen in das Stromnetz und die -erzeugung sowie ein gestiegener Energiekonsum. Die Regierung gibt eine Mitschuld zu und reagiert mit Rationalisierungsmaßnahmen. Hinter der Krise verbirgt sich ein Arbeitskonflikt im staatlichen Energieunternehmen und die Frage, welche Rolle die ArbeiterInnen in Staatsunternehmen spielen sollen.

Tobias Lambert

EnergieverschwenderInnen haben in Venezuela bald einen schweren Stand. Nach mehreren größeren Blackouts in den vergangenen zwei Jahren und immer wiederkehrenden, kleineren Stromausfällen in vielen Regionen, will die venezolanische Regierung den Energiekonsum in dem Erdölland drosseln. Öffentliche Institutionen und Staatsunternehmen sind angehalten, mindestens 20 Prozent Energie einzusparen. Elektrogeräte sollen generell nur noch in energiesparenden Versionen importiert und verkauft werden dürfen. Wer als Privatperson weniger Energie verbraucht, soll in Zukunft mit Rabatten belohnt, wer einen steigenden Energieverbrauch verzeichnet, mit Preissteigerungen sanktioniert werden. In einer Weiterführung der bereits 2006 gestarteten Misión Revolución Energética sollen weitere 50 Millionen Energiesparlampen kostenlos im Land verteilt werden. Für die Planung des Energiesektors wird künftig ein eigenes Ministerium für Elektrizität zuständig sein.
Eng mit der Energiekrise verbunden ist die gleichzeitige Wasserknappheit. Eine ungewöhnlich lang anhaltende Dürreperiode hat die Pegel der meisten Stauseen Venezuelas rapide sinken lassen. Da das Land über 70 Prozent seiner erzeugten Energie aus Wasserkraftwerken gewinnt, hat die Dürre direkte Auswirkungen auf die Stromproduktion. Der aus Wasserkraft erzeugte Strom kommt dabei fast komplett aus dem südlichen Bundesstaat Bolívar. Allein das gigantische Kraftwerk des Guri-Stausees produziert etwa die Hälfte der insgesamt im Land genutzten Energie. Auch die 103 Wärmekraftwerke, die zur Stromgewinnung Erdöl verfeuern und fast 30 Prozent der venezolanischen Energie liefern, benötigen zusätzlich große Mengen an Wasser.
Die Knappheit betrifft aber auch die Trinkwasserversorgung. Seit dem 2. November wird im Großraum Caracas das Wasser rationiert. Durch zuvor angekündigte Ausfälle von maximal 48 Stunden pro Woche sollen sich die Pegel der drei für Caracas wichtigen Stauseen normalisieren. Die Rationierung soll jedoch weder für Krankenhäuser noch für Stadtviertel gelten, in denen die Wasserversorgung zuvor schon regelmäßig ausgefallen war. Nach Angaben des staatlichen Versorgers für die Hauptstadtregion, Hidrocapital, beläuft sich das Defizit im Großraum Caracas derzeit auf 4.625 Liter pro Sekunde. Dies entspricht 25 Prozent der circa 18.500 Liter, die normalerweise pro Sekunde durch die Leitungen fließen. Als Staatspräsident Hugo Chávez während einer Kabinettssitzung am 22. Oktober auf die Verschwendung von Wasser hinwies, erntete er in den Oppositionsmedien schallendes Gelächter. Er hatte unter anderem die Schwimmbecken und Whirlpools der Reichen kritisiert, das Ausdrehen des Wasserhahns während des Zähneputzens gefordert und eine dreiminütige Dusche empfohlen. Dies wurde von den Medien sogleich als „kommunistische Dusche“ etikettiert. Die Regierung forderte Unternehmen und wohlhabendere Teile der Bevölkerung zudem dazu auf, weniger Strom zu verschwenden, zum Beispiel durch einen sparsameren Umgang mit Klimaanlagen. Laut offiziellen Angaben gönne sich Venezuela bisher den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Energie innerhalb der lateinamerikanischen Länder. Chile verbrauche als zweitplatziertes Land 25 Prozent weniger, der Nachbar Kolumbien sogar nur die Hälfte an Strom pro Kopf. Anders als beim Wasser wurde bisher keine offizielle Rationierung der Elektrizität bekannt gegeben. Tatsächlich wird der Strom außerhalb der Hauptstadt jedoch bereits rationiert.
Der Energiemangel hat eine längere Vorgeschichte: Seit den 1980er Jahren war der damals komplett staatliche Elektrizitätssektor auf eine schrittweise Privatisierung vorbereitet worden. Investiert wurde über Jahre hinweg kaum noch. 2001 stoppte die Regierung den Prozess der Privatisierung und kaufte 2007 schließlich die bereits privatisierten Unternehmen zurück. Die insgesamt 14 teilweise privaten, teilweise staatlichen, regionalen Energieversorger wurden unter dem Dach des neu gegründeten Nationalen Elekrizitätsunternehmens Corpoelec zusammengefasst. Bereits kurz nach der Verstaatlichung hatte Chávez angekündigt, die Energieproduktion innerhalb von sechs Jahren um 40 Prozent steigern zu wollen. Die Nachfrage nach Strom war durch rasantes Wirtschaftswachstum und einen Anstieg des Lebensstandards von zuvor marginalisierten Bevölkerungsgruppen seit 1998 um fast 50 Prozent angestiegen. Die Opposition sieht in der Energiekrise nun den Beleg dafür, dass die 2007 erfolgte Verstaatlichung des Stromsektors gescheitert sei. Die Regierung schreibt die Fehler hingegen dem alten Management zu und verweist auf das jahrelange Ausbleiben von Investitionen.
In seiner TV-Sendung Aló Presidente am 25.Oktober gab Chávez dann doch Fehler bei Planung und Instandhaltung des Stromnetzes sowie dem geplanten Ausbau der Kapazitäten zu. Die Situation werde zwar durch den Klimawandel verschlimmert, aber „auch durch die Fehler, die wir begehen, wie etwa schlecht durchgeführte Projekte und schlecht kalkulierte Zeitfenster“. Tatsächlich sind zahlreiche der vor Jahren angekündigten Projekte, wie neue Kraftwerke und Staudämme, nicht vorangekommen. Sie sollen nun rasch fertig gestellt werden. Die staatliche Kontrolle wichtiger Sektoren wie Wasser und Strom sei jedoch essentiell, da die Regierung sonst überhaupt nicht auf die Engpässe reagieren könne, so Chávez. Dessen Kritik wirft auch ein Schlaglicht auf den inneren Zustand des verstaatlichten Energiesektors. Die bedeutendste Elektrizitätsgewerkschaft Fetraelec, die den bolivarianischen Prozess unterstützt, kritisiert seit langem die Bürokratie sowie die Funktionärselite innerhalb des staatlichen Stromunternehmens Corpoelec. Seit fast anderthalb Jahren kämpft die Gewerkschaft für den Abschluss eines einheitlichen Tarifvertrages und für mehr Partizipation innerhalb von Corpoelec. Laut den ArbeiterInnen blieben die Strukturen nach dem Zusammenschluss der regionalen Versorger intakt. Dies betreffe sowohl den ausufernden Bürokratieapparat als auch die unterschiedliche Entlohnung der ArbeiterInnen. Ein Tarifvertrag sei somit der erste Schritt zu einer wirklichen Fusionierung der zahlreichen Einzelunternehmen. „Die Bürokratie tötet das Unternehmen“, sagt Ángel Navas, Präsident der Fetraelec. Dieses Problem sei „nicht nur eines im Energiesektor, sondern betrifft auch viele andere Arbeiter. Das findet in vielen weiteren Institutionen und Unternehmen des Staates statt“, so der Gewerkschaftspräsident. Zu vielen MitarbeiterInnen in höheren Positionen ginge es nur um ihre Pfründe, für einen wirklichen Transformationsprozess sei es jedoch unerlässlich, dass die ArbeiterInnen die Unternehmen verwalteten.
Sowohl Tarifvertrag als auch Partizipation war den ArbeiterInnen nach der Verstaatlichung seitens des Staatsunternehmens versprochen und auch von Chávez immer wieder öffentlich gefordert worden. Erst am 23. Oktober, zwei Tage vor Aló Presidente hatte dieser bei der Ernennung des neuen Elektrizitätsministers und Chefs von Corpoelec, der Abgeordnete und Gewerkschafter Ángel Rodríguez, auf die Notwendigkeit der ArbeiterInnenmitverwaltung hingewiesen: „Wir werden den Arbeitern Macht geben, indem wir einen von ihnen an die Spitze setzen“, sagte der Staatschef. Das Problem sei aber „nicht nur technisch, sondern auch politisch“, weil sich noch immer eine Führungsschicht in den Stromunternehmen dem Wandel widersetze. Chávez berief eine Planungskommission ein, die Korruption und Bürokratie bekämpfen sowie die ArbeiterInnen in die Lösung der Probleme einbeziehen soll.
Die Gewerkschaft Fetraelec begrüßte sowohl die Äußerungen des Staatschefs als auch die Ernennung von Rodríguez zum Minister. Umso unverständlicher zeigte sich Ángel Navas gegenüber Chávez‘ Äußerungen in Aló Presidente zwei Tage später. Mehrere oppositionelle Medien hatten von Streikplänen von Fetraelec berichtet, woraufhin Chávez der Gewerkschaft Unverantwortlichkeit vorwarf: „Compañero Navas: Du willst mit einem Konflikt drohen? Sind wir mitverantwortlich oder nicht? Ich komme meiner Verantwortung nach, komme du deiner mit deinen Arbeitern auch nach!“ Die Forderung nach einem Tarifvertrag inmitten der Energiekrise sei „unbedacht“. Navas wies Chávez‘ Äußerungen zurück und bekräftigte, dass der Tarifvertrag mit nur 0,45 Prozent der angekündigten Investitionen im Energiesektor sogar rückwirkend finanziert werden könne. „Es wird versucht Fetraelec als eine geldgierige, ökonomische Vereinigung darzustellen, und nicht als eine Vereinigung, die schon viele Jahre lang den revolutionären Prozess begleitet“, kritisierte der Gewerkschafter. Es sei eine Falschinformation, dass die Gewerkschaft mit Streik gedroht habe. Sie habe lediglich ein „konfliktiveres Vorgehen“ beschlossen, sollte der Tarifvertrag nicht bis Ende des Monats besiegelt sein. Den Oppositionsmedien warf Navas vor, einen Konflikt schüren zu wollen. „Leider kommt die staatliche Presse nicht zu unseren Pressekonferenzen, um zu berichten, was wir wirklich sagen“. Die Lösung der Probleme innerhalb des Energiesektors, seien laut Navas nicht ohne die ArbeiterInnen zu lösen. Schließlich seien sie es gewesen, die bereits während der Privatisierungen auf die Folgeprobleme hingewiesen hätten. „In diesem Sektor muss man sechs oder sieben Jahre im Voraus planen“, so Navas. „Ein Kraftwerk zu bauen kann drei oder vier Jahre dauern, weswegen man nicht erst einen Anstieg des Konsums abwarten darf, bevor man es baut“. Zur Überwindung der Energiekrise fordert Fetraelec den Ausbau und die Modernisierung des Stromsektors durch sowohl herkömmliche als auch alternative Energien sowie eine Beteiligung der ArbeiterInnen an den Unternehmensentscheidungen. Neuminister Rodríguez zeigte sich prinzipiell gesprächsbereit und kündigte an, die ArbeiterInnen konsultieren zu wollen. Er schränkte jedoch ein, dass ein Ausbau der Mitverwaltung erst nach Überwindung der Energiekrise möglich sei.

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