Guatemala | Nummer 229/230 - Juli/August 1993

Erfolg für die Zivilgesellschaft?

Vorläufige Interpretationen der Ereignisse in Guatemala

Zwar war es für Insiderinnen nicht überraschend, daß Serranos Amtszeit als Präsident vorzeitig zuende ging. Doch die Umstände, unter denen sich die Absetzung vollzog, sind so unerwartet wie verwirrend. Es ist zu früh, um Prognosen über die politischen Perspektiven zu wagen, die sich für Guatemala unter der neuen Konstellation auftun. Denn wie diese Machtkonstellation wirklich aussieht, dürfte entscheidend davon abhängen, was sich tatsächlich hinter den Kulissen in jenen Tagen abgespielt hat. Wir versuchen daher nur vorläufige Interpretationen, die vielleicht ein bißchen Licht ins verwirrende Dunkel bringen können.

Karin Gabbert

Es wird noch eine Weile dauern, bis nach und nach an die Öffentlichkeit dringt, was in der Zeit vom ersten Putsch am 25. Mai bis zum Amtsantritt von de León Carpio hinter den Kulissen passiert ist. Zu den dunkelsten Momenten gehört die Zeit zwischen dem zweiten Putsch am 1. Juni und der Wahl Carpios, als Guatemala tagelang ohne Präsident war, ständig eine Machtübernahme des Militärs mit dem dazugehörigen Blutbad befürchtet wurde und Verteidigungsminister Garcia Samayoa so oft die Position wechselte, daß nicht nur den mittleren Rängen im Militär klar wurde, daß ihre Führung unfähig sei, “sich auf der politischen Bühne zu bewegen”, wie eine mexikanische Zeitung berichtete.
Ein Blick hinter die Kulissen sollte Aufschluß darüber bringen, welche Machtkonstellation sich schließlich durchgesetzt hat. Dem läßt sich jedoch auch näher- kommen, indem man sich die HauptakteurInnen näher betrachtet, als da wären: Serrano, die Armee, die USA, die guatemaltekischen UntemehmerInnen, das Parlament, Ramiro de León Carpio, die Volksorganisationen und Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu.

Putsch Nummer 1: Serranos Mist

Der erste Putsch scheint auf dem Mist von Serrano gewachsen und seiner wach-senden Isolation von allen gesellschaftlichen Gruppen sowie einer drohenden Amtsenthebung wegen Korruption geschuldet.
Neben seinen ständigen Auseinandersetzungen mit der Presse und der katholischen Kirche drohte ihm eine ähnliche Korruptionsklage wie dem brasilianischen Präsidenten Femando Collor de Mello und dem venezolanischen Präsidenten Carlos Andres Pérez. Am 23. Mai kündigte der Parlamentspräsident Beweise für die Korruption des Präsidenten an. Der aufgelöste Kongreß erklärte am 27. Mai, daß vorgesehen war, 5.000 Unterschriften vorzulegen, mit denen ein Prozeß gegen Serrano wegen “illegalem Erwerb von Gütern, Unterschlagung und Korruption” angestrengt werden sollte.
Die Hardliner in der Armee wiederum hatten als Ergebnis der Friedensverhandlungen eine bedingungslose Kapitulation der Guerilla gefordert und fanden die Verhandlungen bereits zu weit fortgeschritten. Mit den Diskussionen um eine Wahrheitskommission und mit der Verurteilung des Hauptmanns Hugo Contreras am 11. Mai für den Mord an dem mutmaßlichen Agenten der US-Drogenbehörde, Michael Devine, die nur aufgrund des Drucks der USA zustande kam, riß der Geduldsfaden der Armee endgültig.
Schon Tage vor dem Putsch war Guatemala-Stadt militarisiert, um die massiven Proteste von.SchülerInnen, StudentInnen und öffentlichen Angestellten gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik mit Aufstandbekämpfungseinheiten zu unterdrükken. Seit Ende April hatten Strom-und Buspreiserhöhungen zu massiven sozialen Unruhen geführt.
Serrano beteuerte zwar immer wieder, die Militärs hätten mit dem Staatsstreich nichts zu tun, es ist jedoch bekannt, daß er sich am 19. und am 24. Mai mit allen wichtigen Militärkornmandanten getroffen hatte. Und ohne die Unterstützung des Militärs hätte Serrano natürlich auch nicht putschen können. Auch die neue US-Botschafterin in Guatemala Marilyn McAfee, hat eingeräumt, daß die USA vor dem 25. Mai versuchten, Serrano von seinem Vorhaben abzubringen, daß sie also von den Putschplänen wußten.

Serranos Fehleinschätzungen

Serrano hatte offenbar weder damit gerechnet, daß die USA und die Europäische Gemeinschaft seinen Staatstreich so energisch verurteilen würden, noch hatte er den entschlossenen Widerstand in Guatemala selbst erwartet. Offensichtlich hoffte er auf den “Fujimori-Effekt”, daß er also die Unterstützung der Bevölkerung gewinnen könnte, indem er gegen den Kongreß und die Parteien vorging. Doch sowohl die Bevölkerung als auch die wichtigsten Instanzen des politischen Systems und selbst zahlreiche Regierungsmitglieder wandten sich gegen ihn. Die harte Reaktion der USA ließe sich dahingehend interpretieren, daß die Regierung Clinton eine Chance witterte, um Druck auf die guatemaltekischen Militärs auszuüben. Die nämlich sind dafür bekannt, immer wachsam ihre Unabhängigkeit von den USA zu hüten. Die USA setzten die wirksamste Drohung ein: die Streichung der Vorzugszölle für guatemaltekische Produkte im Rahmen der Handelspräferenzen, die für die guatemaltekische Privatwirtschaft wichtiger ist als jede direkte Finanzhilfe.
Damit wurde der UnternehmerInnen-DachverbandCACIF zwangsläufig in eine der Hauptrollen gedrängt, was sie aber wie üblich am diskretesten zu handhaben wußten. Sofort nach der Ankündigung der USA forderte der Sprecher des CACIF die Minister Serranos auf, die Interessen des Landes über ihre Verbundenheit mit der Regierung zu stellen.
Obwohl einige Parteien die Militärs zu einem Staatsstreich gegen Serrano drängten, war die Möglichkeit der Armee, als “Retter der Demokratie” ihre eigenen Bedingungen durchzusetzen, durch den entschiedenen Widerstand der USA und der daraus folgenden Interessen der UnternehmerInnen eingeschränkt. Auch hatte niemand mit dem Auftauchen einer “zivilen Alternative” gerechnet, wie sie der Menschenrechtsprokurator Ramiro de León plötzlich bot. Offenbar waren es die PrivatunternehmerInnen, die mit Rückendeckung der USA Ramiro de León als idealen Kandidaten für eine musterhafte demokratische Regierung auch gegen den Willen der Armee durchsetzen konnten. Dazu kam die Zerstrittenheit der Armee, die nach dem Wegputschen Serranos offensichtlich keine eigene Regierungsoption vorzuweisen hatte.
Daß Ramiro de León gute Beziehungen zur Privatwirtschaft hat, läßt sich an seinem Lebenslauf erkennen. 1970 war er Mitglied der Kommission für Wirtschaftsintegration, von 1978 bis 1981 Rechtsberater des Aufsichtsamtes für Kreditwesen und von 1981 bis 1983 Geschäftsführer der Nationalen Zuckervereinigung. Außerdem war er Mitbegründer und Generalsekretär der “Nationalen Zentrumsunion” (UCN), und kandidierte bei den Wahlen 1985 für diese Partei als Vizepräsident. Die UCN ist die zweitgrößte Partei Guatemalas und steht Sektoren aus der privaten Exportwirtschaft nahe.
Obwohl auch die Volksorganisationen de León unterstützen, konnten sie an den Geheimverhandlungen zur Verteilung der Macht nicht teilnehmen. Es ist daher zweifelhaft, daß sich der neue Präsident durch ihre Unterstützung verpflichtet fühlt, sich auch ihrer Forderungen anzunehmen. Dennoch bewerten Volksorganisationen in ersten Reaktionen die Ereignisse positiv. Daß sie sich über das Versammlungsverbot hinweggesetzt hätten und die Massendemonstrationen vom Militär nicht hätten unterdrückt werden können, beweise ihre Stärke und ihren gewachsenen Spielraum, so ein Vertreter der Indigena-Organisation Majawil Q’ij. Wieviel Spielraum ihnen der neue Präsident innerhalb seiner Abmachungen mit der Privatwirtschaft zugesteht, bleibt abzuwarten. Dabei ist ein Pluspunkt für die Volksbewegung die Rolle, welche die Friedensnobelpreisträgerin als Vermittlerin zwischen Volksbewegung und den “hellhäutigen und eleganten Männern der Privatwirtschaft” hat.
Die Spielräume der Volksbewegung scheinen größer geworden zu sein -das An-sehen der politischen Parteien hat eher gelitten. Das Militär hat sich zwar nicht mit seinen Vorstellungen durchsetzen können, die Machtposition der Armee in Guatemala ist jedoch nicht ernsthaft beschnitten. Unklar ist, wie sich der bislang als Menschenrechtsprokurator in Konflikte mit dem Militär geratene de León Carpio als Präsident mit der Armee stellen wird. BeobachterInnen befürchten außerdem, daß die Militärs, denen auf der politischen Ebene die Zügel aus der Hand geglitten waren, in einer Art privater Revanche ihren Arger an anderen Gruppen, wie zum Beispiel den rückkehrenden Flüchtlingen auslassen. Und das – so zeigt es die blutige Geschichte der guatemaltekischen Armee – hat im Ausland noch selten zu einem Abbruch der Beziehungen geführt, umso weniger mit einem de León Carpio als Regierungschef.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren