Literatur | Nummer 473 - November 2013

Fakt und Fiktion

In Claudia Piñeiros neuem Roman Betibú verschwimmen die Grenzen zwischen journalistischer und schriftstellerischer Berufstätigkeit

Patricia Schulze

Ein frustrierter Journalist kurz vor dem Ruhestand, ein junger Nachwuchsreporter und eine alternde Schriftstellerin, die ihre besten Jahre längst hinter sich zu haben scheint – das sind die drei Protagonist_innen in Claudia Piñeiros neuem Kriminalroman Betibú, der kürzlich in deutscher Übersetzung im Unionsverlag erschienen ist. Alle drei verbindet eine Leidenschaft für Kriminalfälle und Polizeiberichte. Jaime Brena wurde aus dem Polizeiressort der großen argentinischen Tageszeitung El Tribuno in das Ressort „Gesellschaft“ versetzt. Ersetzen soll ihn ein junger Journalist ohne Erfahrung, aber mit einem Händchen für die neuen Medien, der fortan immer nur „der Junge“ genannt wird. Nurit Iscar, wegen ihres Aussehens mit dem Spitznamen Betibú (in Anlehnung an die berühmte Comicfigur Betty Boop) betitelt, war einst eine renommierte Krimiautorin, hat jedoch mit einem Liebesroman die meisten Leser_innen verprellt und verbringt nun ihre Sonntagnachmittage damit, Polizeiberichte in den Tageszeitungen zu lesen.
Wie bereits in Piñeiros früherem Roman Die Donnerstagswitwen trägt sich die Handlung auch in Betibú größtenteils in einer Gated Community am Rande von Buenos Aires zu. Als in diesem Reichenviertel ein Mord passiert, wittert der Chefredakteur des Tribuno eine große Story und beauftragt Nurit Iscar damit, sich in das Viertel einzuschleusen und mit einigen Fakten gespickte fiktionale Texte über den Mord zu verfassen. Auch der Junge soll für die Zeitung über den Mord schreiben, tut dies aber vornehmlich mit Hilfe von Jaime Brena, der sich gerne von den in seinen Augen unwichtigen gesellschaftlichen Themen ablenken lässt – nicht zuletzt auch wegen seiner schon lange währenden Zuneigung zu Nurit.
Als zu dem einen Mord noch eine Reihe weiterer mysteriöser Todesfälle hinzukommen, begeben sich Brena, Betibú und der Junge auf Spurensuche. Diese führt sie nicht nur in verschiedene Viertel von Buenos Aires und über die Grenzen Argentiniens hinaus, sondern auch in die Vergangenheit. Anhand eines Fotos, das sie an der Polizei vorbei vom Tatort entwenden, gelangen die drei schließlich auf die Spur einer Gruppe ehemaliger Freunde, die ein dunkles Geheimnis vereint.
Piñeiro bedient sich einer locker leichten Sprache mit einer jeweils wechselnden Erzählperspektive, die Einblicke in die Gedankenwelt der einzelnen Protagonist_innen gewährt und so Sympathien für die jeweilige Sichtweise weckt. Mit viel Witz und schwarzem Humor beschreibt sie nicht nur die Aufklärung einer Mordserie, sondern zeichnet ein Bild der Verstrickungen zwischen Politik, Polizei und Presse in der argentinischen Gesellschaft. Wo hört der Bericht über Fakten auf, wo fängt die Fiktion an? Und was ist eigentlich wirklich passiert? Die frühere Journalistin Piñeiro zeigt, dass Schlagzeilen manchmal nicht das halten, was sie versprechen und geht damit weit über einen schlichten Kriminalroman hinaus.
Der in ihrem Heimatland viel gefeierten Autorin ist erneut ein spannender Roman gelungen, der zum Nachdenken über die Grenzen und Möglichkeiten des Journalismus anregt und den man auch wegen der sympathischen Protagonist_innen nicht mehr aus der Hand legen möchte.

Claudia Piñeiro // Betibú // Unionsverlag // Zürich 2013 // 352 Seiten // 21,95 Euro // www.unionsverlag.com

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