Kuba | Nummer 329 - November 2001

Feldzug gegen die Korruption

Veruntreuung ist das häufigste Delikt in den Betrieben

Seit der Legalisierung des US-Dollars vor nunmehr acht Jahren hat Kuba vermehrt mit dem Phänomen der Korruption zu kämpfen. Ein neues Ministerium für Rechnungsprüfung und Kontrolle (Ministerio de auditoría y control) soll helfen bestehende Defizite abzubauen und der Korruption vorzubeugen. Doch bei einem Durchschnittsslohn von rund elf Dollar im Monat ist dies kein einfaches Unterfangen.

Knut Henkel

Drei Tische und zwölf Stühle darf ein privates Restaurant, ein Paladar, in Kuba haben. So ist es vorgeschrieben, und alle KubanerInnen kennen die strengen Richtlinien. So auch Enrique Núñez, Mitinhaber des bekanntesten Privatlokals Kubas, „La Guarida“. Im dritten Stock eines heruntergekommenen Gründerzeithauses in Centro Habana liegt der Gaumentempel. In ihm haben Königin Sofia von Spanien, Jack Nicholson und Naomi Campbell bereits gespeist, und in der ehemaligen Privatwohnung wurden viele Szenen von Erdbeer und Schokolade, dem bekannten Film von Tomás Gutiérrez Alea, gedreht. Hier scheinen die Buchstaben des Gesetzestextes außer Kraft getreten zu sein. Etwa die dreifache Zahl an Stühlen und Tischen bevölkern die liebevoll mit allerlei Acessoires dekorierte Wohnung. Dort wuchs Gastgeber Enrique auf und seit gut vier Jahren entspannen sich hier DiplomatInnen und KünstlerInnen bei erlesener kubanischer Küche.

Formalitäten regeln

Für Núñez kein Problem: Er bediene die Nachfrage, zahle seine Steuern, habe seine Bücher in Ordnung und keine Probleme mit den Behörden. Doch ganz so einfach ist es nicht, so Carlos Alberto Hidalgo. Carlos ist Kellner bei der Konkurrenz, im Hurón Azul. Nur wenige Blocks entfernt liegt der Paladar und Carlos weiß nur zu gut, wie die Dinge in Havanna laufen. Viel sagend reibt er Daumen und Zeigefinger aneinander. Korruption ist in Kuba auf dem Vormarsch, und mit einigen Dollar lassen sich staatliche InspektorInnen gnädig stimmen oder bürokratische Formalitäten erheblich zügiger regeln. Das ist auch der Regierung bekannt, die am 1. Juni in Havanna ein neues Ministerium vorstellte, dessen zentrale Aufgabe es sei, der Korruption vorzubeugen, so Vizepräsident Carlos Lage gegenüber der Parteizeitung „Granma“. Sicher sei er, so Lage, dass es in der Leitung von Ministerien keine Fälle von Korruption gäbe und dass die bisher bekannt gewordenen Fälle in den mittleren Instanzen nicht mit jenen im Ausland vergleichbar wären. Doch allein die Vorstellung des neuen Ministeriums macht deutlich, dass Selbstbedienung, Bestechung und Veruntreuung keineswegs Ausnahmen in der sozialistischen kubanischen Gesellschaft sind. Überraschend ist dies allerdings nicht, zieht man die niedrigen Gehälter in Betracht. Auf 249 Pesos beläuft sich das kubanische Durchschnittseinkommen, und selbst mit den 500-600 Pesos, die in den höheren Chargen eines Ministeriums verdient werden, lässt sich in Kuba nicht sorglos leben. Vergünstigungen wie Einkaufsgutscheine in Devisenläden, der Dienstwagen oder Prämien fließen seit Anfang der Neunzigerjahre, dem Beginn der ökonomischen Krise, spärlicher.

Hierarchisierung

Auch vor der Legalisierung des US-Dollars am 26. Juli 1993 (vierzig Jahre nach dem Sturm auf die Moncada am 2. 7.1953) wurden die Angestellten in der staatlichen Administration und die Angehörigen des Militärs negativ überrascht, denn Familienkontakte ins Ausland sind weitgehend tabu. Von den Remesas, den Dollartransfers aus Miami und anderswo, waren sie somit abgeschnitten, womit ein Abrutschen innerhalb der sozialen Hierarchie der Insel einherging. Staatsangestellte, die mit dem Dienstwagen TouristInnen durch Havanna kutschieren, sind deshalb auch heute keine Ausnahme. Mehr oder minder illegale Nebenverdienstquellen nach Feierabend sind gefragt, um an den Dollar zu kommen, der die Türen zur kubanischen Konsumwelt öffnet. Relativ selten wurden jedoch Fälle publik, in denen MitarbeiterInnen von Ministerien den Verlockungen von kleineren und größeren Präsenten nicht widerstehen konnten oder in die eigene Tasche wirtschafteten. Anfang April musste jedoch Fischereiminister Orlando Rodríguez Romay seinen Hut nehmen, weil MitarbeiterInnen seines Ministeriums Schmiergelder und Geschenke von AuslandsinvestorInnen angenommen hatten. Das Fehlen, beziehungsweise das Versagen entsprechender Kontrollen wurde dem Minister angelastet, der selbst jedoch nicht in den Bestechungsskandal verwickelt gewesen sein soll. Diskreter erfolgte hingegen der Rauswurf von Manuel Limonta, dem Direktor des Zentrums für Genetik und Biotechnologie (CIGB), dem Mekka der Biotechnologie in Kuba. Der verdiente Wissenschaftler, der zu dem ForscherInnenteam gehörte, das 1980 das erste natürliche Interferon in Kuba herstellte, wurde im letzten Jahr wegen Korruption entlassen – ohne dass Details bekannt wurden.

Der schwache Peso

Unregelmäßigkeiten sind dem Jahresbericht 2000 des Rechnungshofes zufolge in 54 Prozent der kontrollierten Betriebe festgestellt worden. Veruntreuung ist dabei das häufigste Delikt. Angesichts des Lohnniveaus und der bescheidenen Kaufkraft des peso cubano, der in den Wechselstuben zum Kurs von 22 pro US-Dollar notiert wird, nehmen es viele Angestellte nicht so genau mit dem staatlichen Eigentum. „Seinen Anteil nehmen“, wird dies scherzhaft genannt, denn in Kuba gehört schließlich alles dem Volk, erklärt Ariel Cabrisas, Bauarbeiter in einer Brigade. Auf der Baustelle zweigen Ariel und seine Kollegen hier und da etwas ab. Zement, Bauholz und Ziegel wandern auf den Schwarzmarkt, der Erlös in die Taschen der Bauarbeiter. „Uns bleibt gar nichts anderes übrig“, sagt er schulterzuckend angesichts der 180 Pesos, die er im Monat verdient und von denen er nicht leben kann. Ums Lebensnotwendige geht es ihm, ähnlich wie dem Ticketverkäufer bei der Aerocaribbean, der für fünf oder zehn US-Dollar Platz in der nächsten Maschine nach Santiago de Cuba macht. Ohnehin lässt sich die Korruption und Veruntreuung in Kuba nicht mit der Situation in den Nachbarländern vergleichen. Da gehe es um ganz andere Dimensionen, so Carlos Lage bei der Vorstellung des neuen Ministeriums. Allerdings gehört auch schon eine gute Portion krimineller Energie dazu, um zu drei Wohnungen, vier Autos, vier Motorrädern und einer halben Million Pesos (rund 23.000 US-Dollar) zu kommen. Das ist die Bilanz einer Razzia bei einem leitenden Angestellten einer Schuhfabrik, die Generalstaatsanwalt Juan Escalona bei der Ministeriumsvorstellung anführte. Kriminelle Machenschaften attestierte die Staatsanwaltschaft allerdings auch einigen leitenden Angestellten im Tourismussektor des Landes, die im Mai 1999 wegen Begünstigung des Sextourismus und Bereicherung entlassen wurden. Unter ihnen auch die Frau des damaligen Außenministers Roberto Robaina, María Elena García, die beim staatlichen Touristikdienstleister Rumbos als leitende Managerin angestellt war. Robaina wurde wenig später ohne Angabe von Gründen durch Felipe Pérez Roque ersetzt. Auf den Luxus eines Arbeitsessens mit Diplomaten im „La Guarida“ muss Robaina seitdem verzichten.

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