Film | Nummer 392 - Februar 2007

Fette Reime aus Brasilândia

Der brasilianische Film Antônia erzählt von Frauen Hip Hop aus der Peripherie São Paulos

Thilo F. Papacek

Eigentlich bin ich ein Mensch, der immer in die Zukunft blickt, und sich nicht mit dem belastet, was vergangen ist. Aber wenn ich mich erinnere, Preta, dann denke ich daran, wie wir gemeinsam auf der Bühne standen“, sagt die Stimme aus dem Off. „In letzter Zeit kann ich kaum noch von etwas anderem erzählen als von Antônia. Als ob ich eine Platte mit einem Sprung wäre.“
Vier junge Frauen laufen eine steile Straße hinauf und kommen so langsam ins Bild. Über die Hügel hinter ihnen erstreckt sich Brasilândia, eine Favela in der Peripherie von São Paulo. Es sind die Protagonistinnen Preta, Lena, Barbarah und Mayah. Zusammen sind sie die Rap-Gruppe Antônia, von der Barbarah aus dem Off erzählt.
Eigentlich sangen sie nur die Backing-Vocals für die MCs auf den Hip Hop – Jams in Brasilândia. „Doch immer nur die Backings zu singen, ist doch, als ob man nur zur Hälfte dabei ist“, sagt Barbarah. Nach einiger Überredungskunst bekommen sie schließlich die Chance, einmal ganz alleine, als Rapperinnen, aufzutreten.
Aufgeregt warten schließlich die vier Frauen auf ihren Auftritt. Mit einem frischen Freestyle werden die Mädchen auf die Bühne gerufen und fangen an. Kaum haben sie angefangen zu rappen, drängt sich ein betrunkener Junge durch die Menge und ruft zur Bühne: „Eh, ihr schicken Mädels, gebt mir mal eure Telefonnummer!“ Doch Barbarah lässt sich nicht beirren, sondern übergeht diese respektlose Unterbrechung gekonnt mit einigen improvisierten Reimen. Ihr Erfolg ist durchschlagend, die Band Antônia bekommt immer mehr Auftritte. Schließlich werden sie von dem Produzenten Marcelo Diamante (dargestellt von der brasilianischen Hip Hop Größe Thaide) entdeckt, und beginnen, mit ihrer Musik Geld zu verdienen. Doch dann fangen auch schon die Probleme an.

Starke Frauen

Mit ihrem dritten Spielfilm erzählt Tata Amaral die Geschichte von vier jungen Frauen, die sich erfolgreich in einer machistischen Welt durchsetzen. Die Hip Hop – Szene ist eben durchsetzt mit Codes von Männlichkeit, Frauen haben es da sehr schwer. Doch mit Können und Selbstbewusstsein schlagen sich die Vier durch und unterstützen sich gegenseitig, denn gemeinsam sind sie am stärksten.
Für den Film hat Tata Amaral mehrere Jahre in der Peripherie von São Paulo recherchiert. Dabei hat sie ausgiebig die dortige Hip Hop Szene kennen gelernt. „Eigentlich sollte das Skript ‘Lila Rapper’ heißen, und die Geschichte eines Gangster-Rappers erzählen. Doch als ich in der Peripherie unterwegs war, lernte ich einen anderen Hip Hop kennen, mit narrativeren Texten. Richtige Sagas von den alltäglichen Kämpfen der Favelabewohner und von den sozialen Gegensätzen in unserer Stadt“, erzählt die Regisseurin in einem Interview. Schnell war das Drehbuch zum „Lila Rapper“ verworfen, und die Idee für Antônia entstand.
Von Fernando Mereilles Kassenschlager Cidade de Deus hat Tata Amaral die Idee, mit LaienschauspielerInnen zu arbeiten, die Charaktere darstellen, die an ihrer wirklichen Lebenssituation orientiert sind. Die vier Hauptdarstellerinnen sind tatsächlich Rapperinnen, die Amaral bei ihren Recherchen in der Peripherie getroffen hatte. In den vielen Musikszenen zeigen sie ihr großes Können. Kein bisschen gespielt wirkt es, wenn Preta auf der Bühne steht und anfängt zu rappen: „Die da bin ich, ja! Eine Frau, ja! Mit sehr viel stolz, ja! Kriegerin, ich bin nicht geboren, um zu dienen!“
Tata Amaral ließ die Darstellerinnen vor einer Videokamera improvisieren, damit sie sich daran gewöhnen, gefilmt zu werden. Außerdem konnten so die Darstellerinnen freier sprechen – das Drehbuch ist erst mit dem Film fertig gestellt worden. Damit erreicht der Film eine enorme Glaubwürdigkeit: Die Mädchen sprechen so, wie sie selbst tatsächlich in solchen Situationen reden würden. Die Drehbuchänderungen gingen so weit, dass die Fokussierung auf eine Hauptperson, wie es ursprünglich vorgesehen war, aufgegeben wurde. Eigentlich sollte Antônia eine Rapperin sein, doch schließlich wurden es vier.

Für die Favela

„Das Publikum aus der Favela soll sich in dem Film wiedererkennen“, sagt Amaral im Interview weiter, was ihr sehr wohl geglückt sein könnte. Die Probleme, mit denen sich die vier Frauen im Film herumschlagen, gehören in den Favelas durchaus zum Alltag. „Viele Rapperinnen in der Peripherie hören mit der Musik auf, weil ihre Partner nicht wollen, dass sie auf der Bühne von anderen Männern angestarrt werden“, erzählt Amaral. Und so ist dann auch im Film zu sehen, wie eine der Vier das Rappen deshalb aufgibt. Sexistische Gewalt in der Favela wird nicht ausgeblendet, aber der Film vermeidet, die Frauen nur als Opfer zu betrachten. Hier geht es um starke Frauen, die sich durchaus zu wehren wissen. Die Kraft der vier Frauen liegt auch in ihrer Solidarität. So ist es selbstverständlich, dass Preta bei Barbarah einziehen kann, als diese mit ihrer Tochter ihren nichtsnutzigen Mann verlässt.
Auch die sozialen Gegensätze São Paulos werden sehr nuanciert dargestellt. Als die Gruppe mehr Erfolg bekommt, verdienen sie ihr Geld mit Auftritten auf Geburtstagspartys und in Clubs der Oberklasse. Doch wenn sie abends wieder in die Favela kommen, wechseln sie sich für den Nachhauseweg noch die Schuhe. Die schicken Schuhe für die Clubs der Reichen sind einfach unmöglich für die verdreckten Pflastersteine der Favela. „Ich habe diesen Moment des Schuhewechselns bis zum Ende beibehalten. Er markiert den Übergang von der Welt ‘da draußen’ und der intimen Welt in der Favela, in der die Mädchen aufgewachsen sind“, sagt Amaral.

Fotogene Favela

Auf die Frage, warum sie trotz aller Widrigkeiten entschieden hat in Brasilândia selbst zu drehen, erklärt Tata Amaral: „Es ist sehr schwierig, nicht in Brasilândia drehen zu wollen. Die Favela ist einfach sehr fotogen. Am Horizont kann man sowohl die Hochhäuser des alten Zentrums, als auch die von der Avenida Paulista [dem modernen Zentrum, Anm. d. Red.] sehen“. In der Tat eignen sich die Aussichten der Favela für hervorragende Bilder. Als Lena ihren Mitstreiterinnen auf einer Dachterrasse erzählt, sie sei schwanger, wird die Dramatik dadurch verstärkt, dass man im Hintergrund sieht, wie ein Blitz in einem Hochhaus der Avenida Paulista einschlägt und abgeleitet wird.
Der Film hat eine positive Botschaft. Er richtet sich vor allem an die Jugendlichen der brasilianischen Peripherie, insbesondere an die Mädchen dort. Er fordert sie auf, sich durchzusetzen und nicht unterkriegen zu lassen. Und er ermutigt, Loyalität mit den eigenen FreundInnen zu zeigen, und in Konflikten einen fairen Ausgleich zu finden. Schließlich ist in der Hip Hop – Kultur Respekt der wichtigste Wert. Damit der Film auch in der Favela ankommt – für viele Jugendliche ist eine Eintrittskarte ins Kino ein schwer erreichbarer Luxus – läuft nun auch eine Telenovela im größten Sender des Landes an, der die Geschichte von Antônia weitererzählt.
Der Erfolg des Films Antônia ist eine sichere Sache. Hervorragend gemacht erinnert er stilistisch an sein Vorbild Cidade de Deus. Vor allem aber ist Tata Amaral ein großartiger Jugendfilm gelungen, der bis zuletzt die Spannung hält. Und auch für Ältere ist der Film sehenswert, insbesondere, aber nicht nur, wenn man sich für Hip Hop interessiert. Man kann ihm nur wünschen, dass er auch in Deutschland einen Verleih findet.

Der Film ist auf der Berlinale vom 8. bis 18. Februar im Programm Generation 14plus zu sehen.

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