Kirche | Nummer 437 - November 2010

Finger im schmutzigen Spiel

Über die Rolle der Kirchen beim Putsch in Honduras

In Honduras gehören viele wichtige Persönlichkeiten dem Opus Dei an. Die konservative Strömung der katholischen Kirche nimmt Einfluss auf Politik und Gesellschaft des zentralamerikanischen Landes – besonders in Fragen wie Sexualerziehung und Gleichberechtigung. Auch beim Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Manuel Zelaya im Juni 2009 mischte der Opus Dei mit. Die Kirchenbasis hingegen engagiert sich im Widerstand gegen das Putschregime.

Ina Hilse

Am 28. Juni 2009 sollte in Honduras eine Volksbefragung stattfinden. Präsident Manuel Zelaya wollte herausfinden, ob die Menschen ein Plebiszit über die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung unterstützen. Sein Ziel war eine partizipativere Verfassung nach dem Vorbild der ALBA-Mitgliedsstaaten. Doch statt mehr Partizipation bekam Honduras etwas gänzlich anderes: Manuel Zelaya wurde von Angehörigen des Militärs in seinem Haus überfallen, nach Costa Rica entführt und auf diese Weise seines Amtes enthoben. Wenig später vereidigte der honduranische Kongress Roberto Micheletti als Interimspräsidenten.
Mit seiner reformorientierten Politik hatte sich Zelaya viele Feinde gemacht. Sowohl die honduranische Unternehmerschicht als auch die Kirche des Landes fürchteten einen Machtverlust und forcierten den abrupten, gewaltsamen Regierungswechsel. So wurde Michelettis Ernennung nicht nur von der nationalen Oligarchie, Medienmogulen wie Flores Facusse, UnternehmerInnen und dem Ombudsmann für Menschenrechte, Ramon Custodio, begrüßt und anerkannt. Auch die Spitzen der katholischen und evangelischen Kirchen brachten ihre Unterstützung zum Ausdruck.
Zwar gehört Micheletti ebenso wie der gestürzte Zelaya der Liberalen Partei an, doch vertreten sie konträre Flügel innerhalb der Partei: Während Manuel Zelaya dem kleinen sozialdemokratischen, reformorientierten Zweig zuzurechnen ist, vertritt Micheletti den rechten, religiös-fundamentalistischen Teil der Liberalen. Diese dem Opus Dei nahe stehende Gruppe hatte bereits seit längerem mit großem Missfallen die reformatorischen Schritte Zelayas verfolgt. Ihr Einfluss ist durch eine bedeutende Anhängerschaft von GroßgrundbesitzerInnen, UnternehmerInnen und InhaberInnen der wichtigsten Zeitungen und Fernsehsender des Landes sowie zahlreicher PolitikerInnen verschiedener Parteien gesichert. Auch der Bürgermeister von Tegucigalpa, Ricardo Álvarez von der Nationalen Partei, steht dem Opus Dei nahe.
Der Opus Dei ist eine Strömung in der katholischen Kirche, die 1928 in Spanien gegründet und 1982 vom Vatikan anerkannt wurde. Er ist eine ultrakonservative Organisation, die den Einfluss des traditionellen Katholizismus auf die Gesellschaft stärken will, sowie ein konsequent christliches Leben von Menschen aller Berufe und sozialer Schichten anstrebt. In Lateinamerika ist der Opus Dei während der Diktaturen von Pinochet in Chile und von Videla in Argentinien oder der Amtszeit von Fujimori in Peru stark gewachsen.
Manuel Zelaya war der Einfluss dieser dem Opus Dei nahe stehenden, fundamentalistischen Riege innerhalb seiner Partei bewusst, und er hatte sich während seiner Amtszeit um deren Integration bemüht. Personen, die später Teil des Putschregimes werden sollten, versuchte er in seine Regierung einzubinden. Da er nicht nur Mitglieder anderer Parteien, sondern auch den Großteil seiner eigenen Partei gegen sich hatte, musste er mehreren Machtgruppen gegenüber Zugeständnisse machen. So erhielt beispielsweise Marta Lorena Alvarado de Casco (Vize-Außenministerin des Putschregimes und Abgeordnete der Liberalen Partei sowie Vorsitzende des Komitee Pro Vida in Honduras) auf Vorschlag Zelayas bei den Wahlen 2005/2006, als dieser Präsident wurde, einen Listenplatz und zog dadurch in den Kongress ein.
Mehrere AktivistInnen aus den sozialen Bewegungen hatten die Integration dieser bekannten Mitglieder des Opus Dei in staatliche Institutionen von Anfang an kritisiert. Sie sahen die Trennung von Staat und Kirche in Honduras in Gefahr. Am Ende ging Zelayas Konzept nicht auf. Trotz seiner Integrationsbemühungen geriet die fundamentalistische Gruppe der Liberalen Partei schnell in Konflikt mit der politischen Linie des Präsidenten. Ein wichtiger Grund dafür war, dass Manuel Zelaya im Mai 2009 per Dekret einen Gesetzesentwurf stoppte, der die „Pille danach“ in Honduras verbieten sollte. Diese wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Empfängnisverhütungsmittel eingestuft; der Opus Dei hingegen wertet ihre Einnahme als Schwangerschaftsabbruch und damit als Mord. Dass die Putschregierung als eine ihrer ersten Amtshandlungen die „Pille danach“ verbot, verdeutlicht den Einfluss, den der Opus Dei auf sie hat.
Auch die in Zelayas Amtszeit vom Bildungsministerium geplanten Programme zu Sexualkunde in Schulen sorgten für Konfliktstoff. Nach Auffassung des Opus Dei sollte das Thema Sexualität vor allem unter „moralischen“ Gesichtspunkten behandelt werden. Was nach dessen Wertvorstellungen bedeutet, dass keine Aufklärung über Körper, Sexualität und Verhütung stattfinden soll. Es ist der Gruppe um Marta Lorena Alvarado de Casco gelungen, den Aufklärungsunterricht in staatlichen Schulen nach diesen Vorstellungen umzustrukturieren. Auch Programme zu Aufklärung und Gleichstellung von Frauen und Männern, die von honduranischen und internationalen Nichtregierungsorganisationen (NRO) durchgeführt wurden, konnten torpediert und oftmals sogar verhindert werden. So mussten bereits erarbeitete und gedruckte Handbücher für LehrerInnen über Sexualkundeunterricht wieder eingestampft werden, weil sie angeblich zu Promiskuität und Homosexualität der Kinder führen würden.
In Anbetracht dieser Vorgeschichte kommentiert Nelson Avila, ein enger Berater von Manuel Zelaya: „Diese fundamentalistische katholische Gruppe überschreitet Parteigrenzen und ihr Einfluss war entscheidend für die Planung und Ausführung des Putsches im Juni 2009.“ Doch die Zustimmung zum erzwungenen Machtwechsel von Seiten der katholischen Kirche wurde nicht nur im Umkreis des Opus Dei offenkundig. Kardinal Óscar Andrés Rodríguez, Vorsitzender der honduranischen Bischofskonferenz und von Caritas International, hat den Putsch von Beginn an verteidigt. Er sei eine notwendige und legitime Maßnahme gewesen, um gegen einen Präsidenten vorzugehen, der gegen die Verfassung verstoßen habe, so Rodríguez. Als Zelaya von den Militärs nach Costa Rica entführt wurde, sei er nicht mehr Präsident gewesen. „Es gab keinen Putsch, sondern die unternommenen Schritte sind die, die von der Verfassung vorgesehen sind“, verlautbarte die Bischofskonferenz in einer Presseerklärung kurz nach dem Staatsstreich. Als Putsch wäre das Vorgefallene nur einzustufen, wenn das Staatsoberhaupt und alle MinisterInnenposten hinterher von Militärs besetzt worden wären. Aber weder der Kongress noch der Oberste Gerichtshof seien aufgelöst worden, und einige der MinisterInnen der vorherigen Regierung seien sogar noch im Amt. Der Kardinal ging noch weiter und erklärte in Bezug auf die Regierung Zelayas: „Wir haben bereits lange Zeiträume unter diktatorischen Regimen gelebt und können diese erkennen: Hier wurde eine Diktatur vorbereitet.“ In Roberto Micheletti hingegen sieht er einen Verteidiger der Demokratie, Freiheit und Unabhängigkeit in Honduras.
Zwar ruderte die Bischofskonferenz wenige Tage später von dieser deutlichen Positionierung offiziell zurück; der Sekretär von Caritas Honduras, Pfarrer Germán Cálix, versicherte, die katholische Kirche verurteile den Putsch gegen die verfassungsmäßige Regierung von Honduras. Doch machte auch dieser unmittelbar klar, dass sich auch der abgesetzte Präsident Zelaya nicht an die Verfassung gehalten habe. Zu den systematischen Menschenrechtsverletzungen nach dem Putsch, die in zahlreichen Berichten internationaler und nationaler Delegationen dokumentiert sind, schweigt die (offizielle) Kirchenführung bis heute oder schwächt sie stark ab. Selbst als Mitglieder der Kirche wegen ihres Engagements in der Widerstandsbewegung Opfer von Gewalt und Unterdrückung wurden, gab es keine Stellungnahme des Erzbischofs.
Ähnlich verhält sich auch die Confraternidad Evangélica de Honduras (CEH), in der 212 evangelikale Kirchen zusammengeschlossen sind. Ihren eigenen Angaben zufolge sind 34 Prozent der honduranischen Bevölkerung evangelikal. CEH-Präsident Oswaldo Canales bekräftigte ebenfalls, in Honduras habe kein Putsch stattgefunden. Manuel Zelaya sei ordnungsgemäß abgesetzt worden, weil er sich nicht an die Verfassung gehalten habe. Daher sei eine neue demokratische Regierung eingesetzt worden, und die Rolle des Militärs sei dabei ausschließlich gewesen, die Sicherheit der Bevölkerung zu garantieren.
Was sie von Zelayas Politik hielt, daraus hatte die CEH bereits im Vorfeld des Putsches keinen Hehl gemacht: Wenige Tage vor dem Putsch hatten Führungspersonen der CEH, unter ihnen auch Oswaldo Canales, gemeinsam mit UnternehmerInnen in San Pedro Sula Zelaya mit einer Demonstration dazu aufgefordert, von seinem Projekt einer verfassunggebenden Versammlung Abstand zu nehmen.
Trotz der deutlichen Worte (und Taten) der Kirchenspitzen gibt es sowohl bei der katholischen als auch bei den evangelikalen Kirchen Basisgruppen, Diözesen und Gemeinden sowie NRO mit christlichem Hintergrund, die den Putsch verurteilen und sich aktiv am Widerstand beteiligen. Dazu gehört das Movimiento Cristiano Popular, die gemeinsam mit anderen Basisgruppen in der Nationalen Widerstandsfront (FNRP) für die Wiederherstellung der Demokratie in Honduras kämpft. Mario Cantor, Pastor in einem städtischen Armenviertel, erläutert: „Die meisten Menschen, die die Bewegung für eine Verfassungsänderung unterstützt haben, wollten, dass die Verfassung in Honduras inklusiver wird und mehr Partizipation erlaubt. Sie wollten eine gleichberechtigtere und gerechtere Gesellschaft, und Mel Zelaya stand dafür.“
Auch die lutheranische Kirche hat den Putsch verurteilt: Medardo Gómez, Bischof der Lutherischen Kirche in El Salvador und Mitglied des lateinamerikanischen Kirchenrats CLAI, setzte sich in einer Stellungnahme für die Rückkehr Zelayas ins Präsidentenamt ein. Mehrere Kirchen und ökumenische Initiativen haben eine ökumenische Menschenrechtskoordination mit Leonel Casco Gutiérrez gefordert. Casco Gutiérrez war vor den illegitimen Wahlen als Bürgermeisterkandidat von Tegucigalpa für die kleine sozialdemokratische Partei PINU zurückgetreten. Gleichzeitig wurde eine internationale Kommission ins Leben gerufen, die aus dem Schweizer Pastor Bernhard Erni, Rev. Alfredo Joiner, dem Mittelamerikasekretär von CLAI, Anwalt Gustavo Cabrera, dem Generalsekretär der Menschenrechtsorganisation SERPAJ sowie fünf Personen von CLAI El Salvador bestand.
Solche Kommisionen sind ein wichtiges Standbein der Widerstandsbewegung. Der bekannte Priester und Umweltschützer Andrea Tamayo wurde aufgrund seines Engagements mit dem Tod bedroht. Der salvadorianische Pfarrer, der seit Jahren in Honduras lebt und arbeitet, ist den honduranischen Eliten schon lange ein Dorn im Auge, weil er sich für die Rechte Landloser und gegen den lukrativen illegalen Holzeinschlag in Olancho einsetzt. Nachdem er in der brasilianischen Botschaft, in der der zurückgekehrte Präsident Zelaya Zuflucht gefunden hatte, einen Gottesdienst für diesen abgehalten hatte, wurde ihm seine Pfarrstelle genommen. Als er dann noch zum Boykott der Wahlen im November 2009 aufrief, entzog man ihm die honduranische Staatsbürgerschaft.
Ebenfalls regelmäßig schikaniert wurde die jesuitische Gruppe für Reflexion und Kommunikation (ERIC), die für gute Analysen zur Situation in Honduras bekannt ist. Der Radiosender Radio Progreso wurde von Militärs besetzt und dessen Leiter, der Jesuitenpater Ismael Moreno, bedroht, weil er kritisch über den Putsch berichtet und sich der Widerstandsbewegung angeschlossen hatte.
So werden auch innerhalb der Kirche Unterschiede evident: Die Kluft zwischen einflussreichen Eliten einerseits und einer engagierten Basis andererseits existiert in Honduras nicht nur in der Politik. Auch die Position der Kirche(n) ist „unten“ zumeist eine andere als „oben“.

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