Mexiko | Nummer 305 - November 1999

Flutkatastrophe als Wahlkampfhelfer

Nach der Flutkatastrophe in Mexiko sieht sich die PRI-Regierung

Gerade erst hatte sich das Land langsam von dem Schock nach dem verheerenden Erdbeben in Oaxaca und der südöstlichen Pazifikküste erholt, da bricht auch schon eine neue Katastrophe über den mexikanischen Süden herein: Die im August natürlich einsetzenden Regenfälle verwandelten die Region in ein Katastrophengebiet.

Harald Neuber

Nachdem sich Anfang der zweiten Oktoberwoche das Ausmaß der Unwetter-Katastrophe im Süden Mexikos immer deutlicher abzeichnete – die Opferzahlen steigen beinahe stündlich, insgesamt sind nach Angaben des mexikanischen Innenministeriums über 275 000 Menschen von den Fluten betroffen – ,wurde in den vier am stärksten betroffenen Bundesstaaten Veracruz, Tabasco, Puebla und Hidalgo der Notstand ausgerufen. Opposition und Nicht-Regierungsorganisationen fürchten weitaus höhere Zahlen, zumal aus vielen kleineren Gemeinden noch keine Angaben vorliegen. Auch bestreitet die PRI-Regierung, daß es in den überschwemmten Gebieten bereits zu Hungersnöten und Seuchenfällen gekommen ist.

Werbewirksames Elend: Zedillo ist überall

Deutlich abzusehen ist allerdings, wie schlampig die PRI-Regierung im Vorfeld und auch jetzt mit solche Naturphänomene umgeht: Nachdem sich Präsident Ernesto Zedillo bereits nach dem Erdbeben in Oaxaca werbewirksam in zerstörten Schulen mit kleinen Kindern auf dem Arm hat ablichten lassen, reist er nun im Überschwemmungsgebiet von einem Ort zum nächsten – die Kampagne für die Präsidentschaftswahlen 2000 läuft auf Hochtouren.
Dennoch hat der mexikanische Präsident zunächst bekräftigt, daß Mexiko keine Auslandshilfe benötige: Es gebe keinen Mangel an Ressourcen, sondern nur ein Transportproblem, so der Präsident. Zwei Tage später jedoch hatten es sich die Regierenden anders überlegt. Man wolle die angebotene Hilfe in Anspruch nehmen, allerdings müßten zuerst die Transportprobleme gelöst werden.

Armenviertel besonders betroffen

Wie auch bei den Überschwemmungen vergangener Jahre sind besonders in ärmeren Gemeinden und städtischen Randbezirken Zehntausende von den Fluten betroffen. In Teziutlan fand am zweiten Oktoberwochenende eine noch immer unbestimmte Anzahl von Personen den Tod, als im wahrsten Sinne des Wortes ein Teil des Stadtrandes wegbrach. Ein Erdrutsch riß in einer Breite von über einhundert Metern dutzende Häuser und Hütten mit sich.
Zwar wurden auf Geheiß der mexikanischen Bundesregierung 10.000 Soldaten und weiteres Personal in die betroffenen Gebiete gesandt, eine Verbesserung der humanitären Situation ist allerdings kaum abzusehen. Für Empörung sorgte zudem die Stellungnahme Zedillos, die Regierung nehme eine Truppenverlegung mit Vorsicht in Angriff, da bei Hilfsaktionen in den vergangenen Jahren mehrere Soldaten ums Leben kamen. Die ohnehin gereizte Stimmung im Katastrophengebiet wird dadurch noch geschürt. Wo Zedillo auch auftaucht, schallen ihm „Wir haben Hunger“-Rufe entgegen.

Scharfe Kritik der Opposition

Scharfe Angriffe wegen „unklarer Prioritäten“ muß sich die Regierung unter anderem auch von dem PRD-Abgeordneten Gilbarto Rivas gefallen lassen: Zwar seien 10 000 Soldaten als Helfer in das Katastrophengebiet verlegt worden, zugleich verblieben aber über 40 000 Soldaten in der „Konfliktzone“ des Bundesstaates Chiapas. Auch konzentrieren sich die Hilfsmaßnahmen auf ausgewählte Gebiete, während etwa Hilfsgesuche aus Veracruz unbeantwortet blieben.
Hilfsmaßnahmen vor Ort werden deshalb verstärkt von zivilen Gruppen in Angriff genommen. Auch der „Streikrat“ der Nationalen Autonomen Universität Mexikos (UNAM) rief die Bevölkerung der Hauptstadt zu Spendenaktionen auf. Von dem besetzten Universitätsgelände aus starteten Hilfskonvois unter dem Motto: „Nur das Volk kann dem Volk helfen“ in das Katastrophengebiet.
Der Präsidentschaftskandidat des Oppositionsbündnisses PRD-PT Cuauthémoc Cárdenas trat derweil mit schweren Vorwürfen gegen die PRI an die Öffentlichkeit. Die Regierungspartei trage einen Großteil der Verantwortung für die Toten, weil sie im Sinne einer sozialen Politik in den letzten Jahren völlig verantwortungslos gehandelt habe. „Wenn in der Vergangenheit ein Frühwarnsystem für Naturkatastrophen installiert worden wäre, hätten wir jetzt weitaus geringere Schäden zu beklagen“, so Cárdenas. Der Sprecher der mexikanischen Sektion von Greenpeace, Roberto Lopez bestätigte, daß vor allem mangelnde Vorbereitung und Organisation der Grund für die katastrophalen Folgen von Naturphänomenen sind. Die mexikanische Regierung habe einer extremen Umweltzerstörung, die zu erheblicher Bodenerosion geführt hat, jahrelang zugesehen, ohne dagegen einzuschreiten.
Ähnlich reagierte der Vorsitzende der Grün-Ökologischen Partei (PVEM), Jorge Gonzáles Torres, der die PRI-Bürgermeister im Katastrophengebiet bezichtigte, Hilfsmittel für ihre Wahlkampagne abzuzweigen. In mehreren Gemeinden im Bundesstaat Puebla sei zudem von offizieller Seite die Order ergangen, Stautore zu öffnen, um so die Stauanlagen zu entlasten. Da die Bevölkerung nicht, wie nötig, 48 Stunden vorher von den Maßnahmen informiert wurde, seien nun über 1000 weitere Betroffene zu beklagen. Zudem zeichnen sich erhebliche Versorgungsengpässe besonders in ländlichen Gebieten ab, in denen über 700 000 Bauern mit ihren Ernten ihre gesamte Lebensgrundlage verloren haben.

KASTEN

Von Katastrophe zu Katastrophe

Weite Teile Mittelamerikas stehen erneut Land unter

Knapp ein Jahr nach den verheerenden Überschwemmungen durch den tropischen Wirbelsturm Mitch stehen in diesen Tagen wieder weite Teile Mittelamerikas unter Wasser: Über 50 000 Menschen wurden evakuiert, 70 Tote und über 100 Verletzte und Vermißte gezählt. Die wirtschaftlichen Folgen für die ohnehin extrem armen Länder lassen sich kaum abschätzen: Fruchtplantagen, Maisfelder und Verkehrswege sind vielerorts erheblich verwüstet. In vielen Gegenden ist die Wasserversorgung zusammengebrochen, es drohen Seuchen wie Cholera und Denguefieber.
Ähnlich wie Mitch wird das Unwetter mit dem Klimaphänomen El Niño in Verbindung gebracht, und wie vor knapp einem Jahr sind es die ärmsten Bevölkerungsgruppen, die in prekären Wohnlagen hausen und deren Lebensgrundlage als erstes zerstört wird. Die staatlichen Aufbauprogramme sind vor allem in Fernstraßen und andere Prestigeobjekte geflossen statt in direkte Hilfe für die Betroffenen. Die zunehmende Bodenspekulation hat im Gegenteil die Lage vieler Menschen auf dem Lande noch verschärft. Statt einer solchen Politik, die von einer Katastrophe in die nächste führt, ist eine langfristige Strategie notwendig, die die sozialen Basisorganisationen und kleinbäuerlichen ProduzentInnen einbezieht, um Wiederaufforstung, ökologische Landbauprogramme und sichere Siedlungsprojekte zu entwickeln. Dies aber erfordert Umdenkprozesse auf internationaler Ebene, bei denen weitreichende Entschuldungsmaßnahmen ebenso eine zentrale Rolle spielen wie das Aussetzen laufender Strukturanpassungsprogramme.

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