Indigene | Lateinamerika | Nummer 414 - Dezember 2008

Fokus Emanzipation

Indígena-Organisationen und Genderthemen bestimmten die Debatten des 3. Amerikanischen Sozialforums in Guatemala

Vom 7. bis 12. Oktober wurde in Guatemala-Stadt das große Treffen amerikanischer sozialer Bewegungen veranstaltet. Obwohl wenig Neues diskutiert wurde und trotz der organisatorischen Probleme war die Stimmung gut.

Andreas Behn

OrganisatorInnen sowie die große Mehrheit der TeilnehmerInnen zogen eine positive Bilanz des 3. Amerikanischen Sozialforums (FSA), das vom 7. bis 12. Oktober 2008 in Guatemala-Stadt veranstaltet wurde. Die eher überschaubare TeilnehmerInnenzahl sowie die Abwesenheit vieler bekannter Persönlichkeiten der globalisierungskritischen Bewegung öffneten den Raum für eingehende Diskussionen im kleinen Kreis. Es erstaunte kaum, dass die Anliegen der Indígena-Bewegung in Vordergrund standen, da deren Themen ähnlich wie in Bolivien oder Ecuador seit Jahren auf der Tagesordnung stehen. Überraschend war hingegen die breite Präsenz von Frauengruppen, denen es gelang, die Diskussion über Herausforderungen eines neuen Feminismus zum zweiten zentralen Diskussionsstrang dieses Forums zu machen.
Dabei waren die Ausgangsbedingungen alles andere als günstig. Es gab unzählige organisatorische Schwierigkeiten, zumal die Behörden Guatemalas in Vorfeld versucht hatten, die Ausrichtung des FSA zu blockieren. Als endlich die nationale San Carlos Universität (USAC) als Veranstaltungsort errungen werden konnte, weigerte sich die Unileitung, dem Forum vernünftige Räume zur Verfügung zu stellen. So fand das Forum in Mitten des Lehrbetriebs statt, viele Räume wurden abwechselnd von Forumsveranstaltungen und normalen Uni-Seminaren genutzt. Es mangelte auch an gemeinsamen Treffpunkten, die dem FSA einen verbindlicheren Charakter gegeben hätte. Da die USAC weit außerhalb liegt, kam es jenseits der Veranstaltungen kaum zu gemeinsamen Aktionen. Andererseits war es das erste Mal, dass ein solches Forum in Mittelamerika stattfand, einer Region, die auf der politischen Landkarte der wichtigsten Bewegungen Südamerikas weit entfernt liegt. Um so wichtiger das politische Signal, dass die globalisierungskritische Bewegung auch auf dem Isthmus zwischen Mexiko und Kolumbien präsent ist.
Auf dem Campus war die Stimmung gut, aus ganz Amerika waren Delegationen, VertreterInnen sozialer Bewegungen, AktivistInnen und WissenschaftlerInnen angereist. Die offiziell knapp 7.000 TeilnehmerInnen verteilten sich auf weit über Hundert Veranstaltungen, die nach sechs Themengruppen sortiert waren. Es ging um regionale Integration, Militarisierung, Perspektiven der sozialen Bewegungen angesichts der Aufbruchstimmung in Südamerika sowie Reaktion auf die zunehmende Kriminalisierung dieser Akteure, Femizid, Solidarität mit der indigenen Regierung Boliviens und vieles mehr. Präsent war auch eine Vielzahl alternativer Medien, die im Geflecht der sozialen Bewegungen eine immer wichtigere Rolle einnehmen. In einem Zentrum unabhängiger Medien, das ebenfalls unter Raummangel und technischen Barrieren zu leiden hatte, versammelten sich MedienvertreterInnen des ganzen Kontinents und berichteten in Text, Ton und Bild über das Geschehen. Mehrere Radioinitiativen, darunter Pulsar aus Buenos Aires und Brasilien, Aler aus Ecuador und Onda aus Berlin, berichteten live per streaming oder mittels Reportagen auf ihren Internetseiten. Ein wichtiges Gegengewicht zu dem weitgehenden Boykott seitens der guatemaltekischen Massenmedien, die dem FSA in all den Tagen nur wenige Zeilen und kaum Sendeplatz widmeten. Ein wichtiges Thema war die Diskussion um ein Freihandelsabkommen zwischen Zentralamerika und der Europäischen Union. Weit weniger bekannt als die Einigungsbemühungen mit dem südamerikanischen Mercosur, ist es den lokalen Bewegungen umso wichtiger, auf die sozialen Auswirkungen eines solchen Abkommens hinzuweisen. Ganz im Gegensatz zur offiziellen Lesart würde ein solches Abkommen wie schon im Fall von Mexiko höchstens bestimmten Wirtschaftssektoren, aber nicht der verarmten Bevölkerung zu Gute kommen. Erstaunlich in diesem Zusammenhang, dass die momentane Finanzkrise kaum thematisiert wurde, obwohl doch gerade dieser Kollaps des neoliberalen Dogmas zeigt, wie wenig die altbekannten Vorschläge zur Wirtschaftsförderung eine nachhaltige Ökonomie herbeiführen.
Trotz des generell herrschenden Konsens bezüglich der Kritik des herrschenden wirtschaftlichen und politischen Systems in der Region sowie bezüglich der Rolle und Forderungen der sozialen Bewegungen als ProtagonistInnen der Veränderung, gab es zumindest an einem Punkt handfesten Streit: Nicaragua und die Politik des umstrittenen Präsidenten Daniel Ortega. Für einige AktivistInnen ist das neu-sandinistische Nicaragua ein weiteres Land, dass sich in die Gruppe der fortschrittlichen Regierungen von Venezuela, Bolivien und Ecuador – nach eher gemäßigter Lesart auch Brasilien, Uruguay, Paraguay, Chile und Argentinien – einreiht. Andere hingegen prangerten den autoritären Regierungsstil Ortegas und das Ausbleiben einer sozialen Politik bei zugleich höchst revolutionärer Rhetorik an und kritisierten vor allem dessen reaktionäre Haltung in Sachen Abtreibung. Insbesondere Frauengruppen verwehrten sich dagegen, einen Präsidenten, der allen Forderungen nach Selbstbestimmung von Frauen eine Absage erteilt, als fortschrittlich zu bezeichnen. Schade – wenn auch vorhersehbar – war, dass Boliviens Präsident Evo Morales seinen geplanten Besuch kurzfristig absagte. Es wäre ein wichtiges Signal gewesen, wenn der Repräsentant eines jahrelangen und erfolgreichen Indígena-Kampfes aus Südamerika zu den Menschen in Guatemala, die einen ähnlichen Leidensweg haben, aber bisher noch wenig politische Errungenschaften vorweisen können, gesprochen hätte. Zwar bedeutet die Präsidentschaft von Álvaro Colom durchaus einen gewissen Fortschritt für das nach wie vor durch Repression und Kriegsfolgen gekennzeichnete Guatemala, doch beschränkt sich dieser angesichts vieler Kompromisse mit althergebrachten Machthabern eher auf Gesten denn auf konkrete Veränderungen.
Eine dieser Gesten sind die riesigen Transparente an der Fassade des Präsidentenpalastes mit den Konterfeis der beiden Präsidenten, die vor dem Putsch von 1954 einen neunjährigen politischen Frühling in dem zentralamerikanischen Land ermöglicht hatten. Die Abschlussdemonstration des 3. Amerikanischen Sozialforums entsprach mit rund 2.000 Menschen nicht ganz den Erwartungen. Dass sie am Sonntagmittag auf dem zentralen Platz von Guatemala-Stadt unter dem Augenschein dieser beiden Präsidenten Arévalo und Árbenz stattfand, wäre allerdings vor gerade einmal zehn Jahren undenkbar gewesen. Wirklich Neues hat es auf dem Treffen nicht gegeben, doch es zeigt sich, dass die von einigen schon tot gesagte Organisation der Sozialforen immer noch ein wichtiger Anziehungspunkt für die Bewegung darstellt. Viele der Diskussion wurden allerdings schon vorzeitig vertagt, mit Hinweis auf das Weltsozialforum, dass Ende Januar 2009 in der Amazonasregion stattfinden wird. Austragungsort wird das brasilianische Belém sein (siehe Schwerpunkt in dieser Ausgabe), wo sich dann entscheiden dürfte, ob Foren, die nur breiten Diskussionen und dem Austausch dienen, aber keine politischen Richtlinien verabschieden, auch das nächste Jahrzehnt noch schmücken werden.
// Andreas Behn

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