Mexiko | Nummer 307 - Januar 2000

Freier Markt am Isthmus

Multinationale Unternehmen planen radikale Umstrukturierung des Südosten Mexikos

Geostrategische Interessen haben schon lange eine globale Dimension. So war es bereits 1513 die spanische Krone, die erstmals ein gesamtmittelamerikanisches Forschungsprojekt initiierte, um den besten Ort zum Bau einer interozeanischen Wasserstraße zu ermitteln. Neben der Landenge in Panama und Nicaragua wurde auch der Isthmus von Tehuantepec im Südosten von Mexiko für besonders gut geeignet befunden. Heute sind es vor allem transnationale Wirtschaftsunternehmen und die USA, die an dem Traum von einem Kanal zwischen dem Golf von Mexiko und dem pazifischen Ozean festhalten und die ganz Südostmexiko zu ihrem industriellen und infrastrukturellen Megaprojekt machen wollen.

Antonieta Toledo Zárate, Anne Becker

Die Geschichte der gescheierten Versuche, den Bau einer Wasserstraße entlang des Isthmus von Tehuantepec zu ermöglichen, ist so lang wie seine Entdeckung. Daß jene Region 1859 in einem politisch-administrativen Kuhhandel um ein Haar den USA vermacht worden wäre, zeigt wie kontrovers und bedeutend dieses Projekt schon lange ist.
Seit drei Jahren sorgt das Thema wieder für Aufruhr. In einem gigantischen Entwicklungsprogramm wurde 1996 von der Regierung Zedillo eine gewaltige Umstrukturierung der südöstlichen Bundesstaaten verkündet. Zu diesen gehören der Süden von Veracruz, Oaxaca, Tabasco, Chiapas und Teile von Campeche. Das Programm sieht den Bau neuer Verkehrswege wie einer Autobahn, einer mehrgleisigen Eisenbahnstrecke und unter Umständen auch eines Kanals entlang des Isthmus durch eine von fünf beteiligten nordamerikanischen Firmen vor, mit direkter Anbindung an die Häfen von Coatzacoalco am Golf von Mexiko und Salina Cruz an der Pazifikküste. Zur industriellen Einbindung der Region gehört auch die Errichtung von maquiladoras (Billig-Lohn-Fabriken) im Textilsektor, eine Krabbenzucht, der Abbau von nicht metallischen Erzen und der Anbau von Eukalyptusbäumen auf mehr als hunderttausend Hektar (10 Millionen Quadratmeter). Von diesen Projekten sind über 80 Gemeinden betroffen, wieviele davon umgesiedelt werden müssen, ist noch unklar. Es ist jedoch wahrscheinlich, daß die Schaffung einer Pufferzone die Räumung und Absicherung bestimmter Regionen beinhaltet. Auf diese Weise könnte den Firmen der ungestörte Bau neuer Verkehrswege garantiert und die landlos gewordenen Bauern für die maquiladora-Industrie leichter gewonnen werden
Es ist das alte, bewährte Spiel der neoliberalen Freiwilderei: Eine Konsultation der betroffenen Bevölkerung findet nicht statt und das transnationale Kapital bedient sich sämtlicher regionaler Ressourcen.

Ausbau der Handelswege

Dieser so entstehende „Verkehrskorridor“ von Tehuantepec ist nur ein Beispiel eines derzeit typischen Konzepts der Stadt- und Regionalplanung, wie es überall in Mexiko Anwendung findet.
Im nationalen Entwicklungsprogramm von 1995 werden insgesamt drei solcher Korridore vorgeschlagen, die ebenfalls die Pazifikküste mit dem Golf von Mexiko verbinden sollen. Bezweckt wird damit vor allem der Ausbau der Handelswege für die industriell- und handelsstarken Bundesstaaten des Südens und Ostens der USA. Auch wenn diese Korridore in ihrem Umfang und ihrer Bedeutung nicht mit dem von Tehuantepec zu vergleichen sind, sind sie logischer Bestandteil der Eingliederung Mexikos in den industriellen, kommerziellen, infrastrukturellen und militärischen Raum der Vereinigten Staaten. Die zentralamerikanischen Nachbarn können da ein ähnliches Lied von singen.
Die Dringlichkeit, mit der die USA die Öffnung nicht nur eines, sondern aller möglichen interozeanischen Korridore vorantreiben möchten, ist nicht nur auf die zu Jahresende anstehende Rückgabe des Panamakanals an die einheimische Regierung zurückzuführen. Sie gehorcht vielmehr einer tiefer liegenden Logik: der Stärkung der Wirtschaftsdynamik mit dem asiatischen Raum, insbesondere des Austausches mit dem gigantischen China. Es geht den USA heute also nicht mehr vornehmlich um die Verknüpfung der Wirtschaftszweige der Ostküste mit dem reichen und fruchtbaren Kalifornien, sondern um den (südost)asiatischen Raum.

Regionale Wirtschaft wird geschwächt

Der Entwicklungvorschlag der mexikanischen Regierung ist weit davon entfernt, den nordamerikanischen Interessen Zaum anzulegen und die regionale Wirtschaft zu stärken. Im Gegenteil, es existieren Programme offizieller und privater Art, die die Privatisierung vorantreiben und die Übernahme städtebaulicher, industrieller, agrar- und forstwirtschaftlicher Räume und Infrastrukturen durch ausländisches Großkapital unterstützen.
So ist die Privatisierung aller Transport- und Kommunikationssysteme, der Öl-, Elektrizitäts- und Metallindustrie, der Trink- und Abwasserversorgung innerhalb des letzten Jahrzehnts abgesegnet und gefeiert worden.
Im Südosten des Landes geben heute von mexikanischer Seite vor allem zwei Unternehmensverbände den Ton an: der mexikanische Unternehmensverband für internationale Angelegenheiten CEMAI und der Unternehmensverband Süd-Ost für Investitionen und Entwicklung CEIDES. Sie bereiten sich intensiv auf die Konstruktion eines Wasserstraßennetzes entlang der sumpfigen Golfküste der Bundesstaaten Veracruz, Tabasco und Campeche. Dort befinden sich 90 Prozent der nationalen Ölindustrie. Weiter wird der Bau eines interozeanischen Kanals entlang des Isthmus von Tehuantepec anvisiert. Mit auf dem Plan steht auch die Errichtung sieben gigantischer Wasserkraftwerke und die Fortsetzung der Ölbohrungen im Herzen des lacandonischen Urwalds im Bundesstaat Chiapas.
Die sozialen und ökologischen Implikationen, die ein derartig radikaler Eingriff auf den Lebensraum der überwiegend ländlichen Bevölkerung hätte, werden eklatant übergangen. Das Programm behandelt die Region wie einen einzigen, strategischen Isthmus; nicht allein aus geostrategischen Gründen, sondern auch wegen seiner natürlichen Reichtümer: Petroleum, Wasser, Mineralien, Elektrizität und biologische Vielfalt.

Federführung des Kapitals

Zedillos Plan hat dabei nur ein Ziel: das schnelle Geld und wohlgesonnene Multis. Nichts von dem käme der Masse der Bevölkerung zugute.
20 Jahre neoliberale Politik hinterlassen ein alarmierendes Zeugnis: eine am Boden liegende nationale Landwirtschaft und Industrie, ein Verlust an Souveränität bei den strategischen Ressourcen, steigende Arbeitslosigkeit und sinkende Löhne. Zudem erodiert der Binnenmarkt und im Gegenzug blüht der nationale Schwarzmarkt auf.
Die Streichung des Artikels 23 aus der mexikanischen Verfassung hat den traditionell unverkäuflichen, kommunalen Landbesitz aufgehoben und der ejido-Wirtschaft im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter den Füßen weggezogen. Die Möglichkeit durch Subsistenzwirtschaft den Lebensunterhalt zu bestreiten, wurde damit der Mehrzahl der Kleinbauern genommen. Mit der Privatisierung hat der Staat an Regulationskapazitäten eingebüßt und die Federführung dem (multi)nationalen Kapital überlassen.
Sowohl die politische als auch die territoriale Integrität des Staates wird zunehmend durch die Marktdynamik desintegriert. Es gibt klare wirtschaftliche Interessen, die eine politische Abspaltung ökonomisch vielversprechender Bundesstaaten förderlich erscheinen lassen. Unternehmensverbände und ihnen nahestehende Politiker machen sich in Mexiko und in den USA für dieses Anliegen stark. Ein solches Beispiel ist die Deklaration von 2000 Unternehmern aus dem an die USA grenzenden Bundesstaat Nuevo León sowie die des chiapanekischen PRI-Abgeordneten Walter León, die genau diese Argumentation führen.
Um diese Separatismusbegehren auch kulturell zu rechtfertigen, berufen sie sich gerne auf die sogenannten Prozesse kultureller Hybridisierung an der US-Grenze. Dabei stellen sie diese als separatistische Tendenzen dar, welche die Schaffung einer neuen Region „Mexamérica“ oder „Amermex“ vorantreiben würde. Daß die neu entstandenen Kulturformen oft auch Elemente eines kulturellen Widerstandes aufweisen, wird vorsätzlich ignoriert.
Dahingegen beziehen sich offizielle Stellungnahmen der Regierungspartei zu demselben Thema noch auf ganz andere Konflikte: auf die von vielen indigenen Gemeinden geforderten regionalen Autonomierechte. Gebetsmühlenartig wird von der Regierung die Forderung nach regionalen Autonomierechten, wie sie in den bis heute nicht erfüllten Acuerdos de San Andrés festgeschrieben wurden, als separatistische Gefahr dargestellt. Auf diese Weise legitimieren sie ihre Abwehrhaltung.
Chiapas ist heute aufgrund seiner natürlichen Reichtümer, besonders aufgrund seiner biologischen Vielfalt und deren Bedeutung für die Weiterentwicklung der Gentechnik, von weltweitem Interesse. Es ist ein globaler Wettkampf um die technischen Vorreiterpositionen im aufständischen Herzen dieses Landes entbrannt. Geschürt wird dadurch auch die Gefahr einer Balkanisierung der Region.
Dagegen bieten die Acuerdos de San Andrés die Möglichkeit, den kommunalen Landbesitz wieder zu stärken und die regionale Entwicklung integrativer zu gestalten.
In diesem geopolitischen Kampf befinden sich die Indígenas im Südosten Mexikos heute – begegnet wird ihnen nur mit Repression.
Das Alarmierende der multinationalen Megaprojekte im Südosten Mexikos ist neben dem Angriff auf die nationale Souveränität jedoch vor allem die wirtschaftliche und ökologische Ausbeutung einer Region und der betroffenen Bevölkerung.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren