Kolumbien | Nummer 279/280 - Sept./Okt. 1997

Frieden, aber wie?

Präsident Samper und seine vermutlich letzte Friedensinitiative

Der Friedensprozeß in Kolumbien kommt schwerfällig voran. Die Guerilla ist aktiver denn je und arbeitet daran, ihren Einfluß auf nationaler Ebene auszudehnen. Die von der Regierung gestartete Friedensinitiative hat wenig Aussicht auf Erfolg und auch die USA sind mehr am Kampf gegen den kolumbianischen Drogenkrieg interessiert. Ein Einsatz der UN als Vermittler scheint unumgänglich.

Wolfgang S. Heinz

Nach seinem Amtsantritt im Juni 1994 hatte Samper Carlos Holmes Trujillo, der den Friedensprozeß in Mittelamerika aus eigener Anschauung kennt, zum obersten Friedensberater ernannt. Aber nach der Krise um die Gelder der Mafia im Wahlkampf für Samper fiel die Friedensinitiative der Regierung in sich zusammen. Die Armeeführung weigerte sich, ein großes Gebiet im Südosten des Landes zu räumen, was die FARC als Vorbedingung für die Aufnahme von Verhandlungen genannt hatte. Der Präsident gab klein bei und verlangte wenig später nach einer militärischen Lösung. Das Amt des Friedensberaters blieb lange Zeit unbesetzt, aber das Büro mit seinen Mitarbeitern funktionierte weiter. Holmes Trujillo ist seit einigen Monaten Innenminister.
Im Juni hatte Präsident Samper nach der Übergabe der 70 von den FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) festgehaltenen Militärs angekündigt, daß innerhalb von 100 Tagen die Möglichkeiten für eine neue Friedensinitiative geprüft werden. Er schlug drei Themen vor, über die möglichst bald eine Einigung erfolgen soll: Entführungen (nach der kolumbianischen Presse gab es 1996 1.439 Fälle), Sprengungen von Ölpipelines (Schaden in den letzten sieben Jahren: 2 Mrd. US-Dollar) und Kinder als Kriegsteilnehmer.

Friedensprozeß und Vorwahlkampf

Im Oktober finden in Kolumbien Kommunalwahlen statt. Von den 1994 gewählten sind bisher 20 Bürgermeister und 226 Gemeinderäte ermordet worden. Die schon von früher bekannte Zunahme politischer Gewalt in der Vorwahlzeit zeigt sich auch dieses Mal wieder. Nach Regierungsangaben sind in rund 400 (nach anderen Quellen: 600) der über eintausend Gemeinden Guerillagruppen und in 450 Gemeinden Paramilitärs aktiv.
Zwischen 16.000 und 18.000 Frauen und Männer sollen in der Guerilla kämpfen. Der Krieg hat sich nach dem Analytiker Alfredo Rangel qualitativ verändert – von einem “klassichen” Guerillakrieg zu einem Bewegungs- und Positionskrieg. Die Rebellen treten zunehmend in größeren Verbänden auf. Gleichzeitig versuchen paramilitärische Gruppen mit etwa 5.000 Angehörigen, ihren Einfluß im Land auszudehnen, hinzu kommen Tausende Mitglieder legaler “Sicherheitskooperativen”, der sogenannte CONVIVIR (Asociaciones Comunitarias de Vigilancia Rural). Das Kriegsgeschehen und politischer Druck der verschiedenen Gewaltakteure haben die Zahl der intern Vertriebenen auf etwa eine Million anschwellen lassen.
Die These Alfredo Rangels, nur durch ein deutliches politisch-militärisches Auftreten könne die Guerilla zu Verhandlungen gezwungen werden, wird heftig diskutiert. Eduardo Pizarro von der Nationaluniversität widerspricht jedoch energisch. Rangel vernachlässige den internationalen Kontext wie den Fall der Mauer 1989 und die Friedensprozesse in Zentralamerika. Er vergesse, daß die Guerillagruppen durch ihre Aktivitäten ihre Feinde multiplizierten und dies zu einer Eskalation des Konfliktes auf einem immer höheren Niveau führe. Für den früheren Außenminister Ramírez Ocampo existiert in Kolumbien zwischen den beiden Seiten kein militärisches, wohl aber ein strategisches Gleichgewicht: Keine Seite könne die andere besiegen.
Im Juli legte die Regierung dem Kongreß einen Gesetzentwurf zur Einrichtung eines Nationalen Friedensrates vor. Dem Rat sollen rund 40 Mitglieder angehören, die eine breite Palette von staatlichen Stellen und gesellschaftlichen Kräften abdekken. Er soll u. a. die Regierung beraten, die Bevölkerung motivieren, Eigeninitiativen zu starten und jährlich dem Kongreß über den Friedensprozeß berichten. Als Hauptmotiv für die Einrichtung wird angeführt, der Friedensdialog müsse einer permanenten staatlichen Stelle anvertraut werden, die diese Arbeit unabhängig von den wechselnden Regierungen wahrnehmen soll. Gleichwohl soll das Gremium unter dem Vorsitz des Präsidenten tagen, und wichtige Vertreter der Regierung wie die Ministerien für Inneres, Verteidigung und Justiz wären vertreten.
Es wird nicht recht deutlich, wie dieser offenkundige Widerspruch – Beziehung zu Regierung und Staat – gelöst werden soll.
Die Skepsis gegenüber den Erfolgschancen der neuen Initiative ist groß, denn sie kommt am Ende der Amtszeit Sampers, in der die Regierung traditionell geschwächt ist. Das Ausmaß politischer Gewaltanwendung ist auch weiterhin hoch. Die Guerillagruppen arbeiten daran, ihren Einfluß über Teile des Landes zu konsolidieren. Es ist unklar, warum sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt in einen Friedensprozeß eintreten sollten.
Auch hat besonders die FARC deutlich gemacht, daß sie der Regierung Samper aufgrund der Drogengelder während des Wahlkampfes jegliche Legitimation abspreche. Ein FARC-Sprecher lehnte bereits die Initiative eines zivilgesellschaftlichen Friedensnetzes ab, eine Volksabstimmung für den Frieden im Oktober abzuhalten. Die Guerilla verlangt bei den Gemeindewahlen eine Stimmenthaltung. Eine größere Anzahl von Kandidaten wurde bereits entführt, einige von ihnen wieder freigelassen, andere ermordet.
Nur wenige Gründe sprechen für Erfolgschancen der Initiative. Mit der Zwangspensionierung des Oberkommandierenden der Streitkräfte, General Bedoya, wurde ein prominenter Gegner von Verhandlungen aus einer Spitzenposition entfernt. Sein Nachfolger, General Bonett, gilt als flexibler.
Zweitens wird das Bewußtsein in Politik und Zivilgesellschaft (wieder einmal!) stärker, daß eine militärische Lösung nicht möglich ist und nach einem Verhandlungsfrieden gesucht werden muß.
Drittens scheint die US-Regierung keine verhandlungsfeindliche Position einzunehmen. Ihr scheint der Drogenkrieg mehr am Herzen zu liegen als die Gegnerschaft zu linken Guerilleros. So hat sie die Militärhilfe für Anti-Drogeneinsätze in Höhe von 70 Mio. Dollar wieder aufgenommen. Die Regierung mußte sich verpflichten, Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und die Überwachung der Einhaltung dieses Versprechens durch die US-Regierung akzeptieren. Eine Suspendierung der Hilfe bei Nichteinhaltung ist möglich. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Diskussion über eine mögliche Auslieferung kolumbianischer Drogenhändler, die in der Verfassung von 1991 verboten wurde. Sie wird jetzt im Kongreß neu behandelt. Die Auslieferung war in der Amtszeit Barcos Ende der achtziger Jahre der entscheidende Faktor für terroristische Aktionen des Medelliner Kartells gegen Regierung und Bevölkerung.
Schließlich spielen bei der Initiative parteipolitische Interessen eine Rolle. Einer der Favoriten für die Präsidentschaftswahl 1998 ist die rechte Hand Sampers: der liberale Ex-Innenminister Horacio Serpa. Der Beginn von Verhandlungen würde seine Wahlchancen ohne Zweifel deutlich erhöhen.
Kolumbianische Regierungen interessieren sich seit einiger Zeit für die Erfahrungen in Zentralamerika, gelten doch die dortigen Friedensschlüsse bei allen aktuellen Problemen immer noch als stabil. Mit dem neuen UN-Büro zur Beobachtung der Menschenrechtslage existiert zum ersten Mal eine Vertretung des UN-Hochkommissars für Menschenrechte (Genf) in der westlichen Hemisphäre. Unter Leitung der spanischen Botschafterin Mazarrasa arbeiten fünf Experten an der Berichterstattung zur Lage in Kolumbien. Mehrfach hat sich das Büro kritisch in der Öffentlichkeit geäußert, etwa aus Anlaß des Mordes an den beiden Mitarbeitern des jesuitischen Forschungsinstitutes CINEP, Elsa Alvarado und Mario Calderón, im Mai und über die Rolle der CONVIVIR-Gruppen, vor allem in Antioquia. Der dortige Gouverneur Alvaro Uribe hat im August in Genf gegenüber den Vereinten Nationen die Existenz dieser Gruppen gerechtfertigt; Kritiker sehen in ihnen eine legale Form des Paramilitarismus.

Eine Rolle für die Vereinten Nationen?

Im August schlug eine Gruppe von Intellektuellen um Eduardo Pizarro eine Vermittlungsrolle der Vereinten Nationen vor; ein Blauhelmeinsatz wurde hingegen abgelehnt. Bisher ist ein solcher Vorschlag am Widerstand des Establishments gescheitert. Angesichts der Verschlechterung der Lage ist eine solche Lösung für die Zukunft nicht mehr auszuschließen – zumindest dann nicht, wenn der neue Friedensrat kurzfristig keine Erfolge aufweist. Falls eine solche Initiative von den UN beschlossen würde, würde die politische Abteilung in New York die Vermittler bestimmen. In der Vergangenheit haben bereits Costa Rica, Mexiko und Venezuela den Dialog zwischen der Guerilla und der Regierung gefördert.

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