Kolumbien | Nummer 291/292 - Sept./Okt. 1998

Frieden als Wahlversprechen

Der Verhandlungsprozeß in Kolumbien hat neue Dynamik bekommen

Nach dem Abbruch der Verhandlungen 1992 in Mexiko herrschte jahrelang Funkstille im kolumbianischen Friedensprozeß. Die Guerillaorganisationen äußerten sich skeptisch, ob man mit einem innenpolitisch derart geschwächten Präsidenten wie Ernesto Samper überhaupt Vereinbarungen treffen könne. Erst im Frühjahr diesen Jahres kam mit dem Präsidentschaftswahlkampf auch der Frieden wieder in die Schlagzeilen.

Raul Zelik

Politischer Klimawechsel in Kolumbien: auf einmal beherrschte das Thema „Frieden“ die Debatten. Der bis dahin für das Amt des Präsidenten als Geheimtip gehandelte rechtspopulistische Ex-Heereschef Haroldo Bedoya erlebte einen rasanten Absturz in den Meinungsumfragen, während die anderen KandidatInnen, der konservative Andrés Pastrana, der liberale Horacio Serpa und die unabhängige Kandidatin Noemi Sanín sich in Friedensversprechungen überboten. Pastrana stellte gar ein Abkommen mit der Guerilla innerhalb von sechs Monaten in Aussicht.
Die Eskalation des Krieges und das Ausmaß der Gewalt lassen sich nicht mehr ignorieren: Paramilitärs entvölkern auf brutalste Weise inzwischen ganze Regionen. Weit über eine Millionen KolumbianerInnen sind auf der Flucht und mittlerweile greift der Terror auch auf die Großstädte über. Auch für die staatliche Seite spitzt sich die Lage zu: Die Guerillaorganisation FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) hat der Armee in den vergangenen Monaten verheerende Niederlagen zugefügt, und trotz mehrerer neuer Sondereinheiten gelingt es der Polizei nicht, die Entführungen von PolitikerInnen und UnternehmerInnen in den Griff zu bekommen.
Vor diesem Hintergrund hatten sich regierungsnahe Gruppen für die Kongreßwahlen im Oktober 1997 einen „Stimmzettel für den Frieden“ ausgedacht. Die völlig unverbindliche „Papeleta por la Paz“ traf die Stimmung in der Bevölkerung in ihrem Kern: Tatsächlich wählten trotz einer Boykott-Kampagne der Guerilla so viele KolumbianerInnen wie noch nie. Das politische Establishment setzte sich mit diesem politischen Manöver selbst unter Druck: nun waren die KandidatInnen gezwungen, konkrete Vorschläge für Verhandlungen zu präsentieren.
Präsident Samper versuchte daraufhin auf recht plumpe Weise, seinem designierten Nachfolger Horacio Serpa behilflich zu sein. Im Februar diesen Jahres unterzeichneten die Guerillaorganisation ELN (Ejército de la Liberación Nacional) und Vertreter der Regierung im Madrider Außenministerium ein Abkommen, mit dem der Friedensprozeß offiziell wiederaufgenommen werden sollte und konkrete Gesprächsrunden für die Sommermonate vorgesehen waren. Doch der liberale Kandidat Serpa, der anders als sein konservativer Kontrahent Pastrana nicht zu den traditionellen Machteliten des Landes gehört und deswegen schlechtere Ausgangsbedingungen hatte, konnte es nicht abwarten und ging mit dem Erfolg hausieren: Entgegen der Vereinbarung strengster Vertraulichkeit wurde das Abkommen veröffentlicht. Die ELN erkannte darin – sicher nicht zu Unrecht – ein Wahlkampfmanöver und setzte alle weiteren Gespräche bis nach den Wahlen aus.

Wahlkampf im Zeichen der Guerilla

Beide Guerillaorganisationen verstanden es, die KandidatInnen während des Wahlkampfs mit dem Thema von links unter Druck zu setzen. Die FARC empfing mit dem Abgeordneten Victor Ricardo unmittelbar vor den Stichwahlen den persönlichen Berater von Andrés Pastrana in ihrem Hauptquartier. Das Foto von der FARC-Spitze und dem konservativem Wahlkampfleiter war eine Ohrfeige für den liberalen Kandidaten Serpa, denn mit dieser Geste vermittelten die FARC, daß sie Pastrana für den „friedenstauglicheren“ Kandidaten hielten. Zwar erklärte der FARC-Sprecher Juan Antonio Rojas in Europa, daß für seine Organisation „keinerlei Unterschied zwischen Samper und Pastrana“ bestehe, aber er wies auch darauf hin, daß es unter keinem Präsidenten bisher eine derartige Repression gegeben habe wie unter Samper.
Pastrana und sein Wahlkampfteam akzeptierten weitgehend die Forderungen der FARC: innerhalb der ersten 90 Tage seiner Präsidentschaft wolle er den FARC-Kommandanten Marulanda treffen und fünf Munizipien im Süden des Landes entmilitarisieren. Die FARC wurde damit eindeutig aufgewertet.

Die „Himmelspforte“ von Würzburg

Auch die kleinere ELN hat auf dem politischen Parkett bemerkenswerte Erfolge erringen können. Anfang Juli traf sich die lange Zeit vom kürzlich verstorbenen spanischen Pfarrer Manuel Pérez geleitete Guerillaorganisation unter Schirmherrschaft der katholischen Bischofskonferenz Deutschlands mit mehr als 40 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Kolumbiens, darunter zahlreichen Unternehmern. Das im Kloster Himmelspforten unterzeichnete Abkommen verpflichtet die beteiligten Seiten, eine nationale Versammlung vorzubereiten. Eine solche „Nationalkonvention“, auf der bei breiter gesellschaftlicher Beteiligung über notwendige soziale und politische Veränderungen im Land diskutiert werden soll, wurde von der ELN bereits Ende 1995 vorgeschlagen. Die Krise der Samper-Regierung war zu diesem Zeitpunkt auf ihrem Höhepunkt angelangt: die Rechte bereitete unverhohlen einen Putsch vor. Erst jetzt ermöglichten die besondere Situation im Wahlkampf, die Unterstützung aus dem Bonner Kanzleramt und die militärischen Erfolge der Guerilla eine Vereinbarung. Die kolumbianischen Eliten zeigen sich unter dem Druck der Ereignisse etwas kompromißbereiter als sonst. Die Frage ist nur: Für wie lange?

Parallele Verhandlungsprozesse…

Für beide Guerillaorganisationen ist der bisherige Verlauf der Gespräche als politischer Erfolg zu werten. Noch nie in den letzten zehn Jahren wurden in den Medien die Positionen der Linken so unverfälscht wiedergegeben wie in den vergangenen vier Monaten. Zudem erkennt der kolumbianische Staat mit der geplanten Entmilitarisierung einiger Munizipien implizit an, daß die Aufständischen in zahlreichen Regionen Regierungsfunktionen ausüben. Und schließlich ist die durch den staatlichen Vernichtungsfeldzug gegen die legale Opposition hervorgerufene politische Isolation durch den Dialog zumindest ansatzweise durchbrochen. Verglichen mit der Situation vor wenigen Monaten stehen FARC und ELN politisch erstaunlich gut da. Nicht einmal die Tatsache, daß sie unabhängig voneinander Gespräche aufgenommen haben, hat ihnen bisher geschadet. Die beiden Organisationen agieren faktisch seit 1992 getrennt voneinander, halten sich aber weiterhin an damals getroffene Vereinbarungen und erwarten, daß sich die unterschiedlichen Ansätze zukünftig ergänzen. So haben sowohl FARC als auch ELN mehrmals bekräftigt, daß sie über Sondierungsgespräche hinausgehende Verhandlungen nur gemeinsam und auf kolumbianischem Territorium führen werden.

… aber unterschiedliche Strategien

Die Verhandlungskonzepte der beiden großen Guerillaorganisationen unterscheiden sich allerdings deutlich. Die FARC konzentrieren sich auf Kontakte mit der Regierung, was den Vorteil hat, die Gegenseite auf ein einheitliches Vorgehen festlegen zu können. Pastrana wird sich bei einem Abkommen verpflichten müssen, die Paramilitärs aufzulösen und gegebenenfalls strafrechtlich verfolgen zu lassen. Bilaterale Verhandlungen zwischen Staat und Guerilla, wie sie die FARC vorschlagen, bergen jedoch die Gefahr, daß die Dynamik des Krieges fortgesetzt wird.
Diesem Problem versucht die ELN zu begegnen, indem sie wie im Kloster Himmelspforten Gespräche mit allen gesellschaftlichen Sektoren aufnimmt. Sie setzt auf politische Spielräume, indem sie den offiziellen Diskurs („die ganze Gesellschaft für den Frieden“) beim Wort nimmt: Die ganze Gesellschaft soll sich an der Debatte beteiligen, wie die kolumbianische Realität verändert werden könnte. So soll die nationale Versammlung zu „einem Forum für diejenigen werden, denen sonst nie Gehör geschenkt werden: den Indígenas, Schwarzen, Frauen, Vertriebenen, Studenten und Arbeitern.“ (Vgl. Interview mit ELN-Sprecher Pablo Beltrán)

Wider dem Friedensprozeß

Schon jetzt ist fraglich, welche Zukunft der Friedensprozeß überhaupt noch hat. Die massiven Vertreibungen von Bauern gehen weiter. In den Departments Arauca, Santander und Bolívar sind seit den Wahlen insgesamt 40.000 Bauern in die nächstgelegenen Städte geflohen und haben Schulen und Universitäten besetzt.
Schwere Vorwürfe gab es gegen das US-amerikanische Unternehmen Corona Goldfields, das in Bolívar paramilitärische Gruppen finanziert. Armee und Paramilitärs haben sich dort zum Ziel gesetzt, die Guerilla aus dem Gebiet zu vertreiben. In Montecristo und Puerto Coca wurden in den letzten Wochen mehr als 30 Bauern vor den Augen ihrer Nachbarn von Paramilitärs ermordet.
Vor diesem Hintergrund unterstrichen die Guerilla-Organisationen zur Amtsübernahme Pastranas, daß sie gewillt sind, die Armee zurückzudrängen. Zeitgleich starteten FARC und ELN eine Großoffensive gegen drei Armee-Stützpunkte, besetzten Dutzende Städte und verübten Sprengstoffanschläge auf Polizei- und Armeestützpunkte in Medellin, Barrancabermeja und Cúcuta. Die Krise der Armee hat sich dadurch weiter verschärft.

Umbildung der Armeespitze

Pastrana hat unmittelbar nach seiner Amtsübernahme die Armeespitze völlig umgebildet, wobei er sich im Einvernehmen mit den USA darum bemüht, den Eindruck einer gesäuberten Armee zu erzeugen. Gegen eine Reihe hochrangiger Offiziere wurde Anklage wegen Menschenrechtsverletzungen und Beziehungen zum Drogenhandel erhoben. Der abberufene Generalinspekteur der Armee Ivan Ramírez wurde von der Washington Post gar als Vertrauter des Paramilitär-Kommandanten Carlos Castaño und CIA-Agent entlarvt. Doch am Problem hat sich nichts geändert. Der neue Chef des Generalstabs Rafael Hernández López ist der Verantwortliche für die Ermordung von 13 Bauern in Riofrío (Valle de Cauca) im Jahre 1993.

Politischer Status für Paramilitärs

Torpediert werden die Gespräche mit der Guerilla auch durch den Kontakt mit den Paramilitärs. Unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus Deutschland unterzeichnete eine Delegation des „Friedensrates“, ein aus Generalstaatsanwalt, Unternehmern und Gewerkschafter zusammengesetztes Gremium, das das Treffen bei Mainz organisiert hatte, ein Abkommen mit den Paramilitärs, das diesen praktisch den lang ersehnten politischen Status zugestand. Dabei wurden die Gewerkschafter durch die gegen sie ausgesprochenen Morddrohungen mehr oder weniger zu einer Beteiligung am Treffen gezwungen. „Dialog oder Exil“, hatte Gewerkschaftschef Hernández im Vorfeld seine Situation klargestellt. Für die Paramilitärs war die Anwesenheit der Linken eine wichtige öffentliche Aufwertung. Als Ergebnis verlauteten die Paramilitärs, „Massaker zukünftig so weit wie möglich zu vermeiden.“
Die ELN setzte nach Bekanntwerden des Abkommens zwischen Friedensrat und Paramilitärs die Gespräche zur Vorbereitung der „Nationalkonvention“ zunächst einmal aus. Der Rat solle erst einmal klarstellen, ob man ausgemachte Drogenhändler, die für zahllose Massaker verantwortlich seien, nun als politische Gesprächspartner betrachte. Unternehmerchef Sabas Pretelt und Generalstaatsanwalt Jaime Bernal beeilten sich zwar, dies zu verneinen, aber dennoch ist unübersehbar, daß die staatsnahen Kräfte im Friedensrat eine Gleichsetzung von Paramilitärs und Guerilla durchsetzen wollen. Damit ließe sich eine weitere Aufrüstung der Sicherheitsorgane rechtfertigen und von der staatlichen Verantwortung ablenken.

Verteidigungsministerium übt Ungehorsam

Der Druck auf Präsident Pastrana, die Entmilitarisierung der von der FARC geforderten Gebiete auszusetzen, wird immer größer. Das Abkommen von Mainz wird vom Verteidigungsministerium grundsätzlich in Frage gestellt. Verteidigungsminister Lloreda erklärte Mitte August, daß man nicht an das Abkommen mit der ELN gebunden sei, weil es kein Regierungsvertreter, sondern nur zivile Persönlichkeiten unterzeichnet hätten. Ohne Sicherheitsgarantien der Regierung ist jedoch ein Treffen wie die nationale Konvention unvorstellbar. Zudem weigert sich die Armee, wie von den FARC gefordert, 200 in ihrer Hand befindliche Soldaten gegen eine vergleichbare Zahl Guerilleros auszutauschen.
Da wird es auch nichts nützen, daß ELN und kolumbianischer Kongreß in der letzten Augustwoche ein Vorabkommen unterzeichneten, das der Guerilla eine Präsenz bei den anstehenden Parlamentssitzungen ermöglichen soll. Einmal abgesehen davon, daß die Kongreßsitzungen vor einem leeren Haus stattfinden könnten – gegen mehr als 100 Abgeordnete laufen Strafverfahren wegen der Samper-Drogenaffäre.

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