Literatur | Nummer 478 - April 2014

Für die Leidenschaft im Detail

Michael Lavocahs Tango-Geschichten transportieren Begeisterung

Antonia Schaefer

„Die Musik ist erregend und quälend, der Tanz die Verbindung eines Mannes mit einer Frau, die beide der Welt schutzlos ausgeliefert sind und nicht die Macht haben sie zu verändern.“ Kaum ein anderer Tanz prägt so sehr eine geheimnisvolle und gleichzeitig leidenschaftliche Vorstellung wie der Tango. Verrauchte Bars in Buenos Aires. Frauen mit Blumen im Haar und Männer mit zurückgelegter Frisur, die beim Tanzen den Rhythmus in Bilder verwandeln. Hinter dem Stereotyp verbirgt sich eine ganze Ära von Tänzer_innen und Musiker_innen, die das Bild des Tangos bis heute prägen: Das goldene Jahrzehnt, irgendwo zwischen den 1930er und 1940er Jahren, die Lavocah mit seinen Tango-Geschichten erneut aufleben lässt.
“Der König des Taktschlages”, “der Meister der Melodie” oder “die kantige Intensität”– der Autor charakterisiert die großen Orchester des Tangos. Er macht sie greifbar, betont die menschliche Seite hinter der Musik. Die Leser_innen werden auf eine Art mit ihnen vertraut gemacht, als wären es alte Freunde. So knüpft er für auch für die Tango-Tänzer_innen unter den Leser_innen eine engere Beziehung zur Musik der Orchester – wer Lavocah liest, verbindet einzelne Tangostücke bald mit den persönlichen Geschichten ihrer Komponist_innen: Das ist Canaro, der seine Liebesgeschichte erzählt, dies D’Arienzo, der seinen Klavierspieler aus Eifersucht feuerte, und hier Pugliese, der für seine kommunistischen Überzeugungen ins Gefängnis kommt.
Doch neben den versprochenen Geschichten des Tangos, gelingt es dem Autor auch musikalische Unterschiede und Entwicklungen zu erklären, selbst wenn er hier ein Vokabular verwendet, das für den Laien teilweise schwer verständlich ist. Doch die Bildlichkeit, mit der Lavocah es angeht, die Besonderheiten der einzelnen Orchester herauszustellen, gibt auch Laien ein Gefühl für die Musik. Unter den „grollenden Bass-Oktaven“ der „Yumba“ oder einem „langsam dahinschreitenden Beat“ der „Zurückhaltung“ kann sich wohl jede_r etwas vorstellen. Besonders die persönliche Note des Autors, der selbst Tangotänzer und -DJ ist, sticht in der musikalischen Analyse hervor und verleiht dem Buch eine Leichtigkeit, die zum Weiterlesen anregt.
Die praktische Besonderheit von „Tango-Geschichten“ ist die damit verknüpfte Internetseite (www.tangomusicsecrets.com), auf die beim Lesen immer wieder verwiesen wird. Hier werden ausgewählte Tangos und Milongas als Hörproben angeboten. Auf diese Weise schafft der Autor raffiniert einen Leitfaden für die Tänzer_innen, um sich mit der Musik vertraut zu machen. Eine schöne Idee, für den deutschen Markt allerdings nicht ganz ausgereift: Die Seite verweist auf einige Youtube-Links, die in Deutschland nicht verfügbar sind.
Im Postscriptum schreibt der Autor: „Wir brauchen mehr Worte für Klänge.“ Genau hier manifestiert sich das einzige kleine Paradox des Buches: Dem gefühlvollen Anspruch folgt allzu häufig ein musikwissenschaftliches Vokabular. Doch die Bilder und Geschichten, die Lavocah aufzeigt, fangen die Unstimmigkeit wieder auf. Ein Buch für Tänzer_innen und solche im Geiste.

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