Nummer 315/316 - Sept./Okt. 2000 | Peru

Für ein paar Dollar mehr

Die peruanische Regierung versucht die Opposition zu spalten

Nach dem erfolgreichen Wahlschwindel sind Präsident Fujimori und sein Geheimdienstchef Montesinos bemüht, ihr ramponiertes Ansehen wieder aufzupolieren. Bestechung und Erpressung bleiben dabei Mittel der Politik, doch die Regierung zeigt sich auch kompromissbereit und sucht den Dialog. Ziel ist die Spaltung der Protestbewegung und die Rehabilitierung im Ausland.

Rolf Schröder

Federico Salas hat nicht viel mit einem Westernheld gemein. Dennoch zeigt sich der ehemalige Präsidentschaftskandidat gern hoch zu Ross. Mit kariertem Hemd, Jeans und Cowboyhut. So ritt er als Herausforderer Fujimoris während des Wahlkampfes noch vor wenigen Monaten durch die Armenviertel Limas. Der damalige Bürgermeister der Provinzhauptstadt Huancavélica wollte seine Verbundenheit mit der ländlichen Bevölkerung demonstrieren und sich als Anwalt der Armen profilieren. Er gab sich als aufrechter Streiter für die Demokratie, nannte Fujimori einen Diktator und schoss mit verbaler Munition gegen die Regierung. Angesichts der staatlich inszenierten Diffamierungskampagne gegen den erfolgreichsten Oppositionskandidaten Alejandro Toledo witzelte Salas: „Mir können sie höchstens nachweisen, dass mein Pferd schwul ist.“ In der Wahlnacht des 9. April stand der Reitersmann neben Toledo und den anderen Präsidentschaftskandidaten der Opposition auf der Terrasse des Sheraton-Hotels in Lima, um vor Tausenden seinen Protest gegen den Wahlbetrug der Regierung zu artikulieren.
Inzwischen hat Salas Cowboyhut und Reiterstiefel an den Nagel gehängt. Den schwulen Hengst hat er gegen eine schwarze Limousine mit getönten Scheiben eingetauscht. Der Anwalt der Armen ist seit dem 28. Juli Ministerpräsident der Republik Peru. Als solcher darf er nun seinen Landsleuten aus Huancavélica selbst erklären, warum es sich für die Regierung nicht lohnt, in ihrer Region – der ärmsten des Landes – die Infrastruktur zu verbessern.
Die peruanische Geschichte hat leider zahlreiche Figuren vom Schlage eines Federico Salas hervorgebracht. Er steht auch jetzt nicht allein. Pünktlich zur ersten Sitzung des neu gewählten Parlaments fanden achtzehn (!) Abgeordnete der Opposition an der Regierungspolitik Gefallen und wechselten für ein paar Dollar mehr die Reihen (siehe LN 313/314). Fujimoris Parlamentsgruppe Peru 2000, die bei den Wahlen nur 52 von 120 Sitzen erhielt, verfügt urplötzlich über eine komfortable Mehrheit.

Chronik eines angekündigten Todes

Ministerpräsident Salas bekam unmittelbar bei Dienstantritt Gelegenheit, seine neue Argumentation zu schleifen. Just an dem Tag, als er seine Hand zum Schwur hob, streifte sich nämlich sein Chef zum dritten Mal die Präsidentenschärpe über. Unter den Augen der Gesinnungsgenossen Banzer aus Bolivien und Naboa aus Ecuador, die als einzige der geladenen lateinamerikanischen Präsidenten den Weg nach Lima gefunden hatten. Hunderttausende protestierten gegen den Wahlbetrüger. Wie die Demonstration endete, lief über die Ticker der Nachrichtenagenturen in aller Welt: sechs Tote, Dutzende von Verschwundenen, Hunderte von Verletzten und über zweihundert Festnahmen. Die Verantwortlichen waren von Salas und seinen neuen Freunden im Handumdrehen ausgemacht: die OppositionsführerInnen Alejandro Toledo, Jorge del Castillo und Anel Townsend. Sie hatten die Demonstration angemeldet.
Die vom Geheimdienst SIN finanzierte Boulevardpresse war bei der Suche nach den Schuldigen noch schneller. Sie sah bereits voraus, was unter wessen Verantwortung geschehen würde. So warnte sie Toledo schon Tage vor dem Ereignis, mit der Mobilisierung zur Demonstration Gewalt in Kauf zu nehmen und für eventuelle Tote verantwortlich zu sein. In einer Sendung des gleichgeschalteten Fernsehkanals 4 wurde Toledo beschuldigt, die Beschaffung von Brandbomben und Sprengstoff veranlasst zu haben. Konsequenterweise war Toledo nach dem Gewaltausbruch für die Schmutzpresse ein Mörder. Abgeordnete von Fujimoris Bewegung Peru 2000 zeigten Toledo, del Castillo und Townsend an: wegen Anstiftung zur Gewalt. Die Staatsanwaltschaft nahm die Ermittlungen auf.
Was war wirklich geschehen am 28. Juli? Schon einen Tag zuvor hatten sich zur Marcha de los Cuatro Suyos, so genannt nach den vier Regionen des alten Inkareiches, Hunderttausende aus allen Regionen des Landes im Zentrum der Hauptstadt getroffen und friedlich demonstriert. Nicht ein einziger Zwischenfall war registriert worden. Am Morgen des 28. Juli wurden dann ein Bankgebäude, das Erziehungsministerium und der Sitz der obersten Wahlbehörde JNE in Brand gesteckt. Sechs Wachmänner, die sich im Inneren des Bankgebäudes aufhielten, starben bei dem Versuch, den Flammen zu entkommen. Polizei und Militär hatten sich zu diesem Zeitpunkt seltsamerweise von der Bewachung dieser Gebäude zurückgezogen und waren damit beschäftigt, auf die Demonstranten einzuknüppeln und sie mit Tränengas in die Flucht zu jagen. Zeugen beobachteten, wie bewaffnete Zivilisten Feuerwehrwagen an der Abfahrt hinderten, als die Brände gemeldet wurden. Unter den Demonstranten wurden von Privatpersonen zahlreiche Agenten des Geheimdienstes SIN und der Polizei gefilmt. Und eine Kamera, die gegenüber dem abgebrannten Bankgebäude installiert war, machte sogar Aufnahmen von den Tätern. Doch die Staatsanwaltschaft weigert sich, das Beweismaterial öffentlich zu machen.
Alles in allem drängt sich daher der Verdacht auf, Regierungsagenten könnten den Brand selbst gelegt haben. Zumal in der Wahlbehörde JNE das Beweismaterial für den Wahlbetrug den Flammen zum Opfer fiel.
Viele der Festgenommenen sind bis heute nicht wieder auf freiem Fuß. Ein Großteil von ihnen wurde von der Polizei gefoltert. Roberto Gómez war eines der Opfer. Der inzwischen freigelassene Student zeigte den Direktor der nationalen Polizeibehörde PNP, Fernando Dianderas, wegen der Folterungen an. Gómez erhielt prompt die Quittung: als er in einem Auto Lima durchquerte, wurde ein Attentat auf ihn verübt. An einer Tankstelle wurde aus einem anderen Wagen auf ihn geschossen. Gómez hatte Glück. Er konnte rechtzeitig in Deckung gehen, und die Kugeln prallten an seiner Autotür ab.

Nach dem Sturm lauer Wind

Inzwischen ist es wieder ruhiger geworden in Lima. Und es ist unwahrscheinlich, dass die Regierung es wirklich wagt, Toledo und anderen Oppositonsführern wegen der Ereignisse vom 28. Juli den Prozess zu machen. Oder sie gar ins Gefängnis zu werfen. Das Tandem Fujimori und Montesinos ist eher auf Schadensbegrenzung orientiert, und auf eine Normalisierung des Verhältnisses zu den USA, deren Regierung nach dem Wahlbetrug unverhohlen mit Sanktionen drohte. Die beschränken sich allerdings bislang darauf, dass Madeleine Albright bei ihrer Abschiedstournee durch Lateinamerika einen Bogen um Peru machte.
Um ihre Kompromissbereitschaft zu zeigen, hat sich die Regierung unter Vermittlung und auf Druck der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) auf Verhandlungen mit der Opposition eingelassen. Während fanatische Regierungsanhänger Gefängnisstrafen für Toledo und andere Oppositionelle fordern, kann sich der Präsident moderat geben. Dabei deutet sich an, dass Fujimori und Montesinos sogar zu Zugeständnissen bereit sind. Wichtige Punkte in den Verhandlungen sind:
– die Rückgabe des Fernsehkanals 2 an den Unternehmer Baruch Ivcher, der nach kritischen Berichten über Montesinos Geheimdienst vor drei Jahren kriminalisiert und ins Exil getrieben wurde
– die Wiedereinsetzung des obersten Verfassungsgerichtes, das wegen Unterbesetzung nicht mehr zusammentritt, seit drei der fünf Richter in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurden, weil sie Fujimoris dritte Kandidatur als das bezeichneten, was sie ist: verfassungswidrig
– die erneute Anerkennung der Kompetenz des Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte in San José, Costa Rica, dessen Urteile die Regierung seit Juli 1999 nicht mehr akzeptiert, weil gegen Peru die meisten Verfahren anhängig sind.
Dass künftig ein lauerer Wind in Lima weht, möchte die Regierung auch mit einem anderen Coup demonstrieren: die von einem Militärgericht zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte ehemalige MRTA-Aktivistin Lori Berenson soll einen neuen Prozess vor einem Zivilgericht bekommen. Berenson hat Glück, dass sie US-Bürgerin ist und Außenministerin Albright kürzlich in einem Brief an Fujimori auf die Klärung ihres Falles drängte. An den Fällen Tausender anderer Gefangener des MRTA und des Sendero Luminoso, die ebenfalls von der Militärjustiz in Scheinprozessen zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt wurden, wird indes nicht gerührt.

Zehntausend Kalaschnikows

In einem weiteren Punkt bewegt sich die Regierung keinen Millimeter. Opposition und OAS hatten den Kopf von Vladimiro Montesinos gefordert, des Architekten der Fujimori-Diktatur. In der letzten Augustwoche luden der Präsident und der ansonsten das Licht der Öffentlichkeit meidende Geheimdienstchef zu einer Pressekonferenz. Montesinos persönlich gab bekannt, dass ein Ring peruanischer Waffenschieber ausgehoben worden sei, der 10.000 Kalaschnikow-Gewehre in Jordanien gekauft und diese an die kolumbianische FARC-Guerilla weitergeliefert habe. Die Verantwortlichen, ehemalige Offiziere der peruanischen Streitkräfte, hätten Verträge mit der jordanischen Regierung gefälscht und seien nun zur Rechenschaft gezogen worden. Die Armee werde unter seiner, Montesinos Führung, die nötigen Maßnahmen ergreifen, um den Waffenhandel an der peruanisch-kolumbianischen Grenze künftig zu unterbinden. Ziel der Pressekonferenz war es, dem Ausland die Unentbehrlichkeit eines Mannes wie Montesinos zu demonstrieren. Die USA äußerten sich prompt anerkennend.
Etwas unglücklich war nur, dass Jordanien umgehend eine Protestnote einreichte. Die Waffen seien offiziell von der peruanischen Regierung gekauft worden und hochrangige peruanische Offiziere hätten den Vertrag unterzeichnet. Eine Fälschung sei völlig unmöglich. Sollte diese Version stimmen, dann müsste Montesinos selbst von den Waffenlieferungen gewusst haben, denn ohne seine Zustimmung läuft beim peruanischen Militär gar nichts. Überraschend wäre es nicht, wenn der skrupellose Geheimdienstchef, der als Anstifter zahlreicher Morde gilt und offensichtlich in Drogengeschäfte verwickelt ist, sich auch als Waffenschieber betätigte. Nur mag ihm niemand Lieferungen direkt an die FARC so Recht zutrauen.
Derweil feilt Alejandro Toledo daran, der Protestbewegung Struktur zu geben. Wie schwer es jedoch ist, eine starke Opposition um eine Partei herum aufzubauen, hat zuvor schon Limas Bürgermeister Alberto Andrade erfahren. Der hatte zunächst mit seinem Wahlbündnis Somos Perú bei diversen Kommunalwahlen Erfolg: Bis ihnen die Mafia um Montesinos und Fujimori den Etat kürzte. Schließlich gaben viele von ihnen entnervt auf oder wechselten wie die anderen Abgeordneten ins Regierungslager. Sicherlich für ein paar Dollar mehr.

Ähnliche Themen

Newsletter abonnieren