Migration | Nummer 415 - Januar 2009

„Für Integration müssen sich alle bewegen“

Lokale Ansätze zur Förderung der Partizipation von MigrantInnen kollidieren mit restriktiven Gesetzen und schwerfälligen Institutionen

Costa Rica ist das Land mit dem höchsten MigrantInnenanteil Lateinamerikas. Die Politik hinkt diesem Umstand jedoch weit hinterher. Erste zaghafte Gehversuche in Richtung sozialer, kultureller und politischer Integration zwischen Einheimischen und Neuankömmlingen auf der kommunalen Ebene stehen einer hochgradig restriktiven, an bürokratischer Kontrolle ausgerichteten Gesetzgebung gegenüber (siehe auch LN 413).

Jonas Rüger

Ungefähr zehn Prozent aller EinwohnerInnen Costa Ricas sind zugewandert. An erster Stelle stehen dabei die NicaraguanerInnen, die zuerst vom Bürgerkrieg und dann von der wirtschaftlichen Krise ins Nachbarland getrieben wurden. Doch auch KolumbianerInnen, DominikanerInnen, US-AmerikanerInnen, ChinesInnen und EuropäerInnen tragen als ArbeitsmigrantInnen, RentnerInnen, Flüchtlinge oder finanzstarke InvestorInnen dazu bei, der Zuwanderung nach Costa Rica ein Gesicht zu geben. Diese Heterogenität zeigt eindrucksvoll, dass die Einbeziehung einer Vielfalt von MigrantInnen längst nicht mehr nur eine Herausforderung für die Industrieländer des globalen Nordens ist. Interne Migrationsbewegungen sind dabei noch nicht einmal in Betracht gezogen. Aber „eine öffentliche Integrationspolitik gibt es nicht, nicht mal eine kohärente Migrationspolitik“, meint Carlos Sandoval, Direktor des Sozialforschungsinstituts der Universidad de Costa Rica und einer der renommiertesten Migrationsforscher des Landes. „Als Grundlage dafür müsste erst einmal die Abhängigkeit zwischen Ziel- und Herkunftsländern anerkannt werden.“ Ohne zugewanderte Arbeitskraft würde in Costa Rica kein Haus gebaut, keine Straße geteert. Kaffee und Bananen blieben ungepflückt. Gleichzeitig sind beispielsweise in Nicaragua die Überweisungen aus Costa Rica von ausgewanderten Verwandten ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Familiäre Netze spannen sich über die ganze Region und darüber hinaus.
Auch, was Integration überhaupt bedeute, wer da wen wo zu integrieren habe, müsse noch geklärt werden. „Ich glaube nicht an Integration von oben“, erklärt Sandoval. Etwas bewegen würde sich eher im alltäglichen Zusammenleben auf lokaler Ebene. Interessanterweise lassen anscheinend gerade geteilte ökonomische Sorgen die Menschen näher zusammenrücken. In seiner 2002 veröffentlichten Studie Die bedrohlichen Anderen (Otros Amenazantes) stellte er fest, dass fremdenfeindliche Einstellungen unter Schulkindern aus der Unterschicht am wenigsten verbreitet sind.
Immerhin: Im Entwurf für ein neues Zuwanderungsgesetz, gilt es als eine der zentralen Aufgaben der Generaldirektion für Migration und Ausländerfragen, aktive Integrationspolitiken zu gestalten. Auch der öffentliche Diskurs hat sich gewandelt, seit vor ungefähr zwei Jahren Mario Zamora dort das Ruder übernahm. Seitdem haben Begriffe wie „Menschenrechte“ und „kulturelle Diversität“ in den Behörden-Wortschatz Eingang gefunden.
Auch das von der Generaldirektion in Zusammenarbeit mit der Stiftung für Frieden und Demokratie (FUNPADEM) und Mitteln des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) angestoßene Projekt Unter Nachbarn (Entre Vecinos), greift einige Kritiken und Befunde auf, die unter anderem von Sandoval vorgebracht wurden. Ziel des Programms ist, die Partizipation von MigrantInnen in den Entwicklungskomitees zu stärken, die im costaricanischen Modell dezentraler lokaler Regierung eine Sonderstellung einnehmen. Dabei sollen zunächst lokale Kultur- und Freizeitveranstaltungen für Annäherung sorgen und in die gemeinsame Gestaltung kommunaler Entwicklungsprojekte münden. Dass dies kein einseitiger Prozess sein kann, daran lässt Programmdirektor Freddy Montero keinen Zweifel: „Für Integration müssen sich alle bewegen.“
Im Dezember wurde die sechsmonatige Pilotphase des Projekts abgeschlossen. Montero ist mit den Ergebnissen zufrieden: „Die angewandten Methoden haben geholfen, das Selbstbewusstsein in den Gemeinden zu stärken, zu zeigen, dass Gemeindearbeit auch Spaß machen kann. Es wurden neue Allianzen geschlossen und der Blick auf das Potenzial kultureller Vielfalt für lokale Entwicklung geöffnet.“ Dass dies höchstens ein erster Schritt ist, machen die Ergebnisse der projektbegleitenden Studie allerdings schmerzhaft deutlich: „Die Beteiligung von MigrantInnen in den Führungsgremien der Entwicklungskomitees liegt bei gerade mal ein Prozent, sogar in Gemeinden mit 40, 50 oder 60 Prozent MigrantInnenanteil“, erklärt Montero. Und vielerorts müssen die Komitees selbst erst wieder funktionsfähig werden, um die Mitarbeit überhaupt attraktiv zu machen. Eine Mammutaufgabe, für die trotz Verhandlungen mit dem UN-Entwicklungsprogramm und verschiedenen anderen internationalen Geldgebern, unter anderem der deutschen GTZ, bisher noch nicht einmal die Finanzierung gesichert ist.
Dass mit Mario Zamora zumindest ein neuer Tonfall in die öffentliche Migrationspolitik eingezogen ist, erkennt auch Carlos Sandoval an. Selbst wenn man den aufgeschlossenen Reden Zamoras Glauben schenken will, reichen diese aber bei weitem nicht aus, um eine höchst bürokratische und oft schlicht korrupte Institutionskultur umzukrempeln. Unter seinen Vorgängern blühte schon um die Plätze in der Warteschlange vor den Behördenschaltern ein reger Handel. Außerdem haben Zamoras Vorstöße ihm viele politische Feinde geschaffen, die nur auf eine Gelegenheit warten, ihn zu diskreditieren. Vielleicht bleibt der Behördenchef unter diesen Umständen seinem Diskurs ja dennoch treu.
// Jonas Rüger

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