Literatur | Nummer 474 - Dezember 2013

Fußball von unten

Eine alternative WM-Vorbereitung bieten die von Luiz Ruffato versammelten 16 brasilianischen Fußballgeschichten

Tobias Lambert

Brasilien ist ein Fußballland. Niemand würde dieser Aussage ernsthaft widersprechen, ganz egal was ihr_ihm sonst noch zum Gastgeberland der Fußball-WM 2014 einfällt. Auch Luiz Ruffato nicht, dessen Herz für den Club Flamengo aus Rio de Janeiro schlägt. In der von ihm herausgegebenen Anthologie Der schwarze Sohn Gottes schreiben er selbst und 15 weitere brasilianische Autor_innen über und um den Fußball herum. Wie bei Ruffato nicht anders zu erwarten, stehen dabei aber nicht Samba, Sonne oder Stars im Vordergrund. Die meisten der Geschichten handeln vielmehr von Menschen, die nicht im Flutlicht stehen.
Da ist etwa das Team vom Schlachthof in Ronaldo Correia de Britos gleichnamiger Erzählung, dessen Spieler „einen herben Geruch wie nach Ammoniak” verströmen. Oder der indigene Junge, der in der Geschichte „Raimundo und der Ball“ von Eliane Brum aufgrund eines Fußballs die althergebrachten Grundsätze seiner Familie über Bord wirft. Als Folge dringt „die Welt da draußen” in Form skrupelloser Holzfäller brutal in den Dschungel ein. In „Ein Tag, ein Trikot“ von Tatiana Salem Levy lässt Francisco seine Familie nach Rio ziehen, weil er noch auf Trikots des FC Barcelona wartet. Der herumreisende Katalane Jordi hatte ihm versprochen, welche zu schicken. 20 Jahre später macht er sich, ohne die Trikots je gesehen zu haben, schließlich auf die Suche nach seinem Sohn. Diesen kennt er nur als Baby und meint nun, ihn als Fußballspieler im Fernsehen erkannt zu haben.
Der im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais geborene Ruffato, der selbst in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen ist, gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Schriftsteller Brasiliens. Sein fragmentarischer São Paulo-Roman Es waren viele Pferde wurde nach seinem Erscheinen in Brasilien 2001 gleich mehrfach ausgezeichnet. Mit der deutschen Übersetzung des Debütromans Ende 2012 hat er sich auch hierzulande einen Namen gemacht. Zuletzt erschien Mama, es geht mir gut, der erste Teil eines fünfbändigen Zyklus über das arme, migrantische Brasilien (LN 472). Doch Ruffato mischt sich auch jenseits seiner anspruchsvoll konzipierten Literatur ein. Auf der Frankfurter Buchmesse ging er in seiner Eröffnungsrede über das Gastland Brasilien derart unverblümt mit der sozialen Wirklichkeit seines Landes ins Gericht, dass er neben stehendem Beifall auch offene Anfeindungen erhielt (siehe LN 473).
Und so zeigen auch die 16 Fußballgeschichten aus Brasilien Szenen jenseits sambatanzender Straßenkicker_innen. Fast alle Geschichten wurden exklusiv für diesen Band verfasst. Wer anlässlich der Fußball WM nach alternativen Zugängen zum Gastgeberland Brasilien sucht, wird in der vielseitigen Fußballanthologie garantiert fündig werden.

Ruffato, Luiz (Hg.) // Der schwarze Sohn Gottes. 16 Fußballgeschichten aus Brasilien // Assoziation A // Berlin/Hamburg 2013 // 184 Seiten // 16 Euro // www.assoziation-a.de

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