Kolumbien | Nummer 305 - November 1999

Ganz normale Katastrophen

Die politischen und militärischen Spannungen gehen trotz schwerer Regenfälle unvermindert weiter

Regen beruhigt die Gemüter – könnte man meinen. Nur nicht in Kolumbien, dort geht der alltägliche militärische und politische Schlagabtausch weiter seinen gewohnten Gang. Zwar sind die Gerüchte über eine multinationale Intervention vorerst verstummt, aber die USA wollen nun ihre Militärhilfe für Kolumbien auf einen Milliardenbetrag aufstocken. Unterdessen scheint sich trotz der alles lähmenden Gewalt eine öffentliche Opposition zu formieren, die durch Streiks und Massendemonstrationen auf alle Konfliktparteien Druck auszuüben versucht.

Raul Zelik

Wer in den letzten Wochen die kolumbianische Presse verfolgte, hätte den Eindruck gewinnen können, die Öffentlichkeit sei fast etwas erleichtert darüber, daß ausnahmsweise einmal nicht Krieg und Wirtschaftskrise, sondern nur eine ganz gewöhnliche Naturkatastrophe dem Land Schwierigkeiten bereitete. Sintflutartige Regenfälle im ganzen Land führten zum Zusammenbruch des innerkolumbianischen Verkehrs: Auf den meisten Straßen ging nichts mehr. Die Tageszeitung El Colombiano schrieb gar, daß Kolumbien seine Flüsse als Hauptverkehrsadern neu entdecken müsse. Bis weit in dieses Jahrhundert hinein wurde der Personen- und Güterverkehr zwischen andinem Hochland und der Atlantikküste fast ausschließlich über Cauca und Magdalena, die beiden großen Ströme des Landes, abgewickelt. In Anbetracht weggespülter Straßen und überschwemmter Landesteile seien Boote wieder zu einem zentralen Verkehrsmittel geworden, so das Medelliner Blatt.

Interventionspläne vorerst auf Eis gelegt

Ruhiger wurde es hingegen um das zentrale Thema der Monate Juli und August, nämlich die befürchtete Militärintervention in Kolumbien, wie sie Teile der US-Regierung gefordert haben. Hatte es im Sommer während der Lateinamerika-Rundreise von Clinton-Berater Thomas Pickering und dem obersten US-Drogenbekämpfer Barry McCaffrey noch so ausgesehen, als sei eine von der US-Luftwaffe unterstützte Invasion von argentinisch-peruanisch-ecuadorianischen Militärs nur noch eine Frage der Zeit, werden derartige Spekulationen im Moment von den beteiligten Regierungen wieder zurückgewiesen. Selbst der argentinische Präsident Menem, der sich im August noch lautstark für die Entsendung einer multinationalen Eingreiftruppe ausgesprochen hatte, lehnte nun Anfang Oktober eine derartige Maßnahme ab.
Der Grund für diese Kehrtwende dürfte in der heftigen Reaktion der internationalen Öffentlichkeit zu suchen sein. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez und sein Außenminister José Vicente Rangel (der im übrigen aus dem linkssozialdemokratischen Movimiento al Socialismo kommt), hatten ihrerseits bei mehreren Staatsbesuchen für eine Verhandlungslösung im kolumbianischen Konflikt die Werbetrommel gerührt und sich gegen eine Intervention ausgesprochen. Der Druck wurde schließlich so groß – Prominente wie der mexikanische Schriftsteller Carlos Fuentes nannten die Interventionspläne „selbstmörderisch“, und die kolumbianische Öffentlichkeit zeigte sich empört –, daß selbst die Regierung in Bogotá Stellung gegen die mögliche Invasion bezog. Solange er Präsident sei, so Andrés Pastrana, werde es keine derartige Intervention geben.
Damit dürfte die Sache vorübergehend auf Eis gelegt sein, denn die US-Pläne sahen bisher vor, daß Präsident Pastrana die Nachbarregierungen wegen der prekären Sicherheitssituation im Land offiziell um die Entsendung von Truppen bitten solle. Dies erscheint nun jedoch recht unwahrscheinlich.

Die Militarisierung geht weiter

Es ist jedoch gut möglich, daß die Debatte um eine Militärintervention in den vergangenen Monaten auch deshalb so lautstark geführt wurde, um eine reibungslosere Erhöhung der US-Militärhilfe durchzusetzen. Tatsächlich beschäftigt sich die außenpolitische Kommission des US-Senats im Augenblick mit einer Aufstockung der Militärhilfe von offiziell bisher 289 Millionen auf 1,5 Milliarden US-Dollar. Immer deutlicher wird dabei, daß die USA gewillt sind, innenpolitisch massiv in Kolumbien einzugreifen. So berichtete die Bogotaner Tageszeitung El Tiempo Anfang Oktober, daß der US-Senat die Militärhilfe an Bedingungen knüpfen werde. Die Gelder würden demnach nur fließen, wenn die kolumbianische Regierung zusichere, die Kontrolle über die entmilitarisierte Zone in Südkolumbien „ausüben zu können“. Dies sei zwar – so die Quelle von El Tiempo – kein Ultimatum an die kolumbianische Regierung, aber der Hinweis zeigt doch, wie wenig Washington von den Friedensgesprächen zwischen Regierung und Guerilla hält. Immerhin hatte erst die Übergabe des 42 000 Quadratkilometer großen Gebiets an die FARC die Aufnahme von Friedensgesprächen zwischen Regierung und Guerilla im Januar diesen Jahres ermöglicht. Seitdem hat die US-Regierung mehrmals versucht, dieses Zugeständnis Pastranas an die Aufständischen wieder rückgängig zu machen.
So schreitet denn auch die Militarisierung der Region munter weiter voran. Wie nun bekannt wurde, werden 3 300 Soldaten der noch in Panama stationierten US-Truppen das Land nicht, wie im Torrijos-Carter -Abkommen vereinbart, zum Jahresende verlassen. Mit ihnen soll eine 2.000 Mann starke, panamaisch-US-amerikanische Sondereinheit gegründet werden, die die Grenze zu Kolumbien kontrollieren wird. Desweiteren berichtete die alternative Nachrichtenagentur ANNCOL, daß die US-Army in der Nähe der kolumbianischen Grenze uranhaltige Munition getestet habe, um deren Tauglichkeit in tropischen Ländern zu untersuchen.

Alltäglicher Wahnsinn

Und auch in Kolumbien selbst bleibt die Situation gespannt. In der Umgebung der Ortschaft Arenal im Departement Bolívar wurden erneut schwere Kämpfe zwischen Armee und Paramilitärs auf der einen und der Guerilla auf der anderen Seite gemeldet. Genau ein Jahr nach der Unterzeichnung eines Abkommens, in dem sich die Pastrana-Regierung gegenüber regionalen Bauernverbänden verpflichtete, die Zivilbevölkerung vor paramilitärischen Massakern zu schützen, gehen Armee und Todesschwadrone wieder einmal gemeinsam gegen die Zivilbevölkerung vor. So zitierten Menschenrechtsorganisationen den Fall dreier Bauern aus der Region, die in Arenal von Soldaten an Paramilitärs übergeben und dann erschossen worden seien.
Schon beinahe skurril sind die Meldungen aus Süd- und Ostkolumbien, wo Luftwaffenkommandant Hector Fabio Velásco einfach ein nächtliches Fahrverbot verhängte. Von nun an dürfen Fahrzeuge nach 18 Uhr nicht mehr ohne Erlaubnis der Luftwaffe auf den Straßen der Region unterwegs sein. Die Armee hofft dadurch offensichtlich, die Kontrolle über das Gebiet aus der Luft zurückzuerobern. Die Maßnahme wurde allerdings selbst von der Defensoría del Pueblo, einer Regierungsstelle zum Schutz der Zivilbevölkerung, als inakzeptabel zurückgewiesen. Es handele sich um eine Drohung gegen die Zivilbevölkerung, so der Vorsitzende José Fernando Castro. Gerechtfertigt wird die Militarisierung unter anderem damit, daß sich die kolumbianische Guerilla auf eine Eskalation des Bürgerkriegs vorbereite. Der Armee-Geheimdienst veröffentlichte Anfang Oktober unter anderem die Information, die FARC hätten 10 000 russische Gewehre gekauft, die sie nun unter der Bauernbevölkerung verteile wolle. Selbst wenn die Information stimmen sollte – was durchaus anzuzweifeln ist – läßt sich in Anbetracht der Milliardenbeträge, die die Regierung jährlich in den Krieg investiert, allerdings kaum von einem Wettrüsten sprechen.

Eine zivile Opposition formiert sich

Das größte Kopfzerbrechen dürften der Pastrana-Regierung jedoch im Augenblick weder Naturkatastrophen noch der Krieg bereiten. Viel unberechenbarer für sie ist die Entwicklung der politischen und sozialen Landschaft, denn in Kolumbien entsteht allmählich wieder so etwas wie eine öffentliche Opposition. In Venezuela gehen die Gespräche zwischen ELN-Guerilla und VertreterInnen der Gesellschaft weiter, die vergangenes Jahr im Kloster Himmelspforten aufgenommen worden waren. Besondere Bedeutung bekommen diese Kontakte dadurch, daß die venezolanische Regierung nun auch offiziell angeboten hat, die geplante Nationalkonvention auf venezolanischem Territorium stattfinden zu lassen. Dies wäre eine akzeptable Lösung, sowohl für die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen als auch für die Guerilla, die die Konvention wegen nicht vorhandener Sicherheitsgarantien auf kolumbianischem Territorium immer wieder verschieben mußten.
Interessant ist auch die Entwicklung der „No mas“-Bewegung, die sich gegen die Praxis des Verschwindenlassens und der Entführungen richtet und sowohl auf die regierenden Eliten als auch auf die Guerilla Druck ausübt. Anders als vielleicht zu vermuten war, haben diese „politisch-neutralen“ Massendemonstrationen bisher nicht zu einer Einheitsfront gegen die Linke, sondern zu einer Radikalisierung rechter Armeekreise geführt. Mit den Morden an dem Universitätsprofessor Bejarano und dem Fernsehsatiriker Garzón haben die Paramilitärs nun auch die politische Mitte zum Gegner auserkoren. Als Ergebnis davon ist nun auch die liberale Abgeordnete Piedad Córdoba ins Exil gegangen, die bei ihrem Abschied schwere Vorwürfe gegen den Innenminister Néstor Humberto Martínez erhob, weil dieser auf ihre wiederholten Bitten um bessere Sicherheitsvorkehrungen nicht reagiert habe.
Explosiv ist schließlich auch die Situation im Arbeitssektor. Die Lehrergewerkschaft FECODE hat zum 14. Oktober einen unbefristeten Streik ausgerufen, nachdem die Regierung nicht im geringsten auf die Forderungen des Generalstreiks Anfang September eingegangen war. „In Wirklichkeit gab es keine Verhandlungen“, so die FECODE-Leitung, „sondern eine Farce. Während wir am Verhandlungstisch saßen, hat die Regierung eine neue Erhöhung der Benzinpreise beschlossen, einseitig eine Lohnkürzung für 90 Prozent der Staatsangestellten durchgesetzt und ein neues Abkommen mit dem IWF geschlossen.“(siehe dazu Kurznachrichten) Auch die Wochenarbeitszeit der Lehrer sei erweitert und eine faktische Abschaffung der Abendschulen beschlossen worden, die vor allem tagsüber arbeitenden Jugendlichen zugute kommt.
Hierzu addiert sich schließlich die schwere Krise des Gesundheitswesens, das durch die Privatisierungen der Regierungen Gaviria und Samper praktisch zerschlagen wurde. Mit der Einführung von versicherungsfinanzierten „Gesundheitsunternehmen“ (EPS) hat sich der kolumbianische Staat seiner Verantwortung für die Krankenversorgung 1995 praktisch entledigt. Das Ergebnis liegt nun vor: Mehr als 20 Krankenhäuser sind von Schließungen bedroht. Vor diesem Hintergrund haben inzwischen auch die anderen Gewerkschaften des öffentlichen Sektors zum Generalstreik aufgerufen – nur sechs Wochen, nachdem das Land das letzte Mal streikbedingt still stand.

Vom selben Autor ist im ISP-Verlag „Kolumbien – Große Geschäfte, staatlicher Terror und Aufstandsbewegung“ erschienen. Der Autor steht für Veranstaltungen gerne zur Verfügung; Kontakt über die Lateinamerika Nachrichten.

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