Mexiko | Nummer 421/422 - Juli/August 2009

Gefährliches Engagement

In Guerrero sind MenschenrechtsverteidigerInnen wieder verstärkt Opfer staatlicher Repression

Im mexikanischen Bundesstaat Guerrero fürchten lokale Menschenrechtsorganisationen um ihre Sicherheit. Übergriffe, Drohungen und die Kriminalisierung ihrer Arbeit setzen den MenschenrechtlerInnen zu und verhindern das legitime Engagement der zivilgesellschaftlichen Organisationen für eine Verbesserung der Verhältnisse im ärmsten Bundesstaat Mexikos.

Maik Müller

In Guerrero, Hauptschauplatz des so genannten schmutzigen Krieges der 1970er Jahre, werden MenschenrechtsverteidigerInnen wieder verstärkt Opfer staatlicher Repression. Der Bundesstaat ist wegen der Präsenz aufständischer bewaffneter Gruppen und wegen seiner Eigenschaft als bedeutendes Drogenanbaugebiet stark militarisiert, doch die Sicherheitsbehörden gehen nicht nur gegen Kriminelle und Aufständische vor, sondern verstärkt auch gegen kritische zivilgesellschaftliche Organisationen.
Fehlende Infrastruktur, extreme Armut, Analphabetentum und unterernährte Kinder prägen die ländlichen Regionen Guerreros. Bei den ärmsten Gemeinden handelt es sich meist um Regionen mit überwiegend indigener Bevölkerung. Soziale Basisorganisationen und lokale MenschenrechtlerInnen, welche diese Zustände und die fehlenden Antworten der staatlichen Institutionen kritisieren, stehen unter enormem Druck. Die Menschenrechtssituation ist äußerst angespannt und die Sicherheit für lokale AktivistInnen keinesfalls garantiert. Diffamation, Drohungen, Verhaftungen sowie Attacken bis hin zur Tötung können die Folgen ihres Engagements sein. Gerade indigene Organisationen werden von den Sicherheitsbehörden unter den Verdacht gestellt Guerillagruppierungen zu unterstützen und werden damit zum Ziel staatlicher Repression.
Im Bundesstaat Guerrero regiert die Mitte-Links-Partei PRD (Partei der Demokratischen Revolution). Als diese Anfang 2005 die Regierung übernahm wurde sie durch eine große Bandbreite sozialer Basisbewegungen unterstützt, die ihre Hoffnung auf einen neuen Politikstil und wirkliche Veränderungen durch den damaligen Kandidaten Zeferino Torreblanca Galindo gesetzt hatten. Sie wurden bitter enttäuscht. Maribel Gutiérrez, Journalistin der regierungskritischen Zeitung El Sur de Acapulco sagt: „Vor den Wahlen gab es zumindest die Hoffnung auf Veränderung. Die Regierungsübernahme Torreblancas lehrte die Menschen, dass eine neue Person in der Regierung nicht zu Veränderungen führt, dass sich die Situation ebenso verschlechtern kann.“
Nach vier Regierungsjahren von Torreblanca hat sich die Armut nicht verringert, die Gewalt ist allgegenwärtig. „Wir haben 2008 in Guerrero 204 strafrechtliche Verfahren gegen MenschenrechtsverteidigerInnen oder soziale AktivistInnen dokumentiert“, berichtet Vidulfo Rosales, Anwalt beim lokalen Menschenrechtszentrum Tlachinollan, besorgt. Aufgrund des ineffizienten Justizsystems ist es in Mexiko nicht unüblich, dass Angeklagte auch ohne Verurteilung Jahre im Gefängnis verbringen. Staatlichen Behörden bedienen sich eines Diskurses, der Oppositionelle direkt mit dem Organisierten Verbrechen oder der Guerilla in Verbindung bringt. Die starke Präsenz der Drogenkartelle und EntführerInnenbanden sowie von Guerillagruppen in verschiedenen Regionen Guerreros machen den Behörden die Kriminalisierung leicht. Torreblanca äußerte 2008 mehrfach, eine Vielzahl sozialer Organisationen in Guerrero seien nur Fassade für das Organisierte Verbrechen.
Das marode Justizsystem wird dazu genutzt den politischen Interessen der Exekutive Nachdruck zu verleihen. Indem Beweise gefälscht und Delikte konstruiert werden, haben staatliche Behörden ein effektives Werkzeug zur Kontrolle und Zerschlagung sozialer Protestbewegungen. Die Kriminalisierung des Protests wird mit anderen Formen staatlichen Drucks gegenüber den Protestbewegungen gepaart.
Ein exemplarisches Beispiel für die Verknüpfung verschiedener Repressionsformen ist der Fall der Organisation des indigenen Volks der Me´phaa (OPIM). Die OPIM setzt sich für die Rechte der indigenen Bevölkerung ein. Sie dokumentiert und klagt Menschenrechtsverletzungen gegen ihr Volk an, fordert den Rückzug des Militärs aus ihrer Region, das Ende der Straflosigkeit und die sinnvolle Verwendung öffentlicher Gelder, die nachweislich allzu oft in den Taschen von lokalen Politikern hängen bleiben. Lokalen Machthabern sowie dem Militär bereitet die Arbeit der OPIM Unannehmlichkeiten, wodurch die Organisation zur Zielscheibe von Verfolgung geworden ist. Die Bedrohung und Verfolgung der Organisation nahm zu, als diese anfing, sich für zwei Fälle einzusetzen, die sie zusammen mit den Anwälten von Tlachinollan erst vor die mexikanischen Gerichte und dann vor die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (CIDH) brachten. Bei einem Fall handelt es sich um 14 Männer des Volkes der Me´phaa, die mit falschen Versprechen und massivem Druck durch das Gesundheitsministerium zwischen 1998 und 2001 dazu bewegt wurden, sich sterilisieren zu lassen. Beim anderen Fall handelt es sich um zwei Me´phaa-Frauen, die von Militärs in ihren Gemeinden verhört und vergewaltigt wurden. Der Fall der vergewaltigten Inés Fernández wurde im Mai dieses Jahres von der CIDH an den Interamerikanischen Gerichtshof in San José, Costa Rica, weitergeleitet. Es handelt sich um den zweiten Fall, auf Grund dessen Mexiko wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen des Militärs vor dem internationalen Gericht angeklagt wird. Inés berichtet: „Ich lebe in Angst um meine Kinder und mich. Mein Bruder wurde vergangenes Jahr umgebracht und zwei meiner Neffen waren zu Unrecht im Gefängnis. Ich weiß, dass viele der vergewaltigten Frauen die Vergewaltigung aus Angst nicht anzeigen.“ Die Präsidentin der OPIM, Obtilia Eugenio Manuel, klagte die Fälle immer wieder auf öffentlichen Veranstaltungen und Foren an. Aufgrund ihrer mutigen Arbeit hat sie im Laufe der Jahre eine Vielzahl von Todesdrohungen erhalten, die zum Teil direkt Bezug auf ihren Einsatz in den oben genannten Fällen nehmen. Sieben waren es allein in diesem Jahr. Sie wird beschattet, bedroht, eingeschüchtert, verfolgt und überwacht. „Sie wollen mir Angst machen, damit ich nicht noch mehr Menschen organisiere. Die Regierung hat das gut geplant“, berichtet Obtilia Manuel. Doch sie ist nicht als Einzige Ziel von Bedrohung und Verfolgung. Im Februar 2008 wurde ein Mitglied der OPIM tot aufgefunden. Lorenzo Fernández Ortega, Bruder des Vergewaltigungsopfers Inés Fernández, wurde gefoltert und ermordet. Die staatlichen Behörden bestreiten einen Zusammenhang zwischen den politischen Aktivitäten Lorenzos und seinem gewaltsamen Tod. Lorenzo hatte Tage vor seinem Tod berichtet, Mitglieder einer paramilitärischen Gruppe hätten in den Gemeinden nach ihm gesucht. Der Mord an ihm geschah unmittelbar nach einem Besuch der damaligen Hochkommissarin für Menschenrechte der UNO, Louise Arbour, in Guerrero, bei dessen Gelegenheit die OPIM ein weiteres Mal öffentlich die kritische Situation angeprangert hatte.
Indes sind bei den Ermittlungen zur Aufklärung des Mordes an Lorenzo auch nach mehr als einem Jahr keine Fortschritte zu sehen. Ähnlich wie in anderen Fällen, in denen Gewalt gegen MenschenrechtlerInnen angezeigt wurde. Auch die Anzeigen der Todesdrohungen gegen Obtilia haben zu keinen strafrechtlichen Folgen geführt. Das Problem der Straflosigkeit ist allgegenwärtig und bietet den TäterInnen von Menschenrechtsverletzungen Schutz.
Am 17. April 2008 wurden fünf Mitglieder der OPIM in einer Straßensperre von Militär, Bundes- und Lokalpolizei verhaftet. Gegen sie wie gegen zehn weitere Mitglieder der OPIM wurde ein Haftbefehl wegen Mordes erlassen. Die Anklage berief sich auf zwei Zeugen, die als Militärspitzel bekannt sind. Die Ermittlungen und die Anklageschrift waren so voller Widersprüche und Unregelmäßigkeiten, dass eine Bundesrichterin im November 2008 in einer ersten Revision die Freilassung der Häftlinge anordnete. Daraufhin legte die Bundesstaatsanwaltschaft ein weiteres Mal Revision ein, um die Entscheidung der Bundesrichterin zu prüfen. Die AnwältInnen des Menschenrechtszentrums Tlachinollan wiesen darauf hin, dass eine Revision eines Bundesrichters nur in den seltensten Fällen durch die Bundesstaatsanwaltschaft einer weiteren Revision unterzogen wird. Für die AnwältInnen war dies ein klares Indiz, dass die Arbeit der OPIM nicht nur lokalen Machthabern ein Dorn im Auge ist, sondern auch bundesstaatliche Institutionen, die der Arbeit der Organisation ein Ende setzen möchten. Vier der fünf Häftlinge wurden im März dieses Jahres entlassen, sicherlich auch aufgrund des internationalen Drucks, der mit Hilfe verschiedener Menschenrechtsorganisationen aufgebaut werden konnte. Amnesty International hatte die inhaftierten Mitglieder der OPIM zu „gewaltlosen politischen Häftlingen“ erklärt und verschiedene Mitglieder der OPIM werden von der Menschenrechtsorganisation Peace Brigades International (pbi) begleitet.
Der mexikanische Staat hat, im Rahmen des Prüfverfahrens vor dem UN-Menschenrechtsrat am 13. Februar 2009, zugesagt, die Umsetzung der Schutzmaßnahmen für MenschenrechtsverteidigerInnen effektiver zu gestalten, um möglichen Übergriffen zuvor zu kommen. Trotz der angeordneten Schutzmaßnahmen durch die CIDH haben die Drohungen gegen Obtilia und andere AktivistInnen in diesem Jahr weiter zugenommen. Im Februar dieses Jahres wurden zwei Vorsitzende einer benachbarten indigenen Organisation verschleppt, gefoltert und ermordet. Das Menschenrechtszentrum Tlachinollan hat aufgrund zunehmender Drohungen sein Regionalbüro in der Region Ayutla geschlossen und Obtilia Eugenio und ihr Mann haben wegen der berechtigten Befürchtungen um ihr Leben die Region vorerst verlassen. Unter vielen der bedrohten AktivistInnen herrscht Wut, Enttäuschung und große Besorgnis. Von den vielen Fortschritten im Bereich der Menschenrechte, die im offiziellen Bericht Mexikos für das Überprüfungsverfahren vor dem UN-Menschenrechtsrat genannt wurden, spüren sie nichts.

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