Kolumbien | Nummer 449 - November 2011

Geschacher um die besten Plätze

In Kolumbien geht es bei den Regionalwahlen im Oktober längst nicht mehr um politische Alternativen

In Kolumbien finden am 30. Oktober Wahlen auf kommunaler und regionaler Ebene statt. Doch in kaum einer Gemeinde, weder in der Hauptstadt Bogotá noch im nordöstlich gelegenen Departamento Chocó, glaubt jemand daran, dass diese Wahlen mehr als ein Geschäft sind. Die Parteien kaufen Wahlstimmen und hoffen zugleich auf finanzielle Ressourcen durch Wahlerfolge.

Alke Jenss

Samuel Moreno, der Bürgermeister von Bogotá, sitzt im Gefängnis. Er soll massiv Gelder veruntreut haben, die für den Bau weiterer Linien des Metrobusses Transmilenio gedacht waren. Seine Art in Bogotá Politik zu machen, hatte zwar in den letzten Jahren für Kritik in den eigenen Reihen gesorgt, doch mit dem Entzug seines Mandates im Juli schien die Zersplitterung des Linksbündnisses Polo Democratico Alternativo (PDA) so gut wie vollzogen. Noch existiert die Bündnis-Partei, die vor wenigen Jahren als wichtige, neue linke Kraft galt. Der PDA hatte über mehrere Legislaturperioden das Bürgermeisteramt in Bogotá – eines der wichtigsten politischen Ämter in Kolumbien – für sich beanspruchen können. Doch nun gibt es zwischen den unterschiedlichen progressiven und klientelistischen Strömungen kaum noch einen Zusammenhalt.
Am 30. Oktober, wenn die Bürgermeisterwahlen stattfinden, steht eine Vielzahl von Bewerber_innen zur Auswahl. Da ist zunächst Morenos Gegenspieler im Polo, Gustavo Petro. 2010 trat er vergeblich als Präsidentschaftskandidat gegen den rechtsgerichteten jetzigen Präsidenten Juan Manuel Santos an. Inzwischen hat er mit einigen weiteren die Partei verlassen und stellt sich als unabhängiger Kandidat für die Nachfolge Morenos auf. Der Kandidat des PDA, Aurelio Suarez, gilt als nicht sehr charismatisch und wenig aussichtsreich. Antanas Mockus, der 2010 noch als Präsidentschaftskandidat der Grünen Partei für Überraschungserfolge gesorgt hatte, tritt nun doch nicht mehr selbst für das Bürgermeisteramt an. Mockus unterstützt die ehemalige Senatorin Gina Parody. Sie bewirbt sich als Unabhängige, war aber früher in der Partei Unidad Nacional des jetzigen Präsidenten Santos, kommt also ursprünglich aus dem rechten Lager. Mockus hat bereits eine neue Partei hinter sich, die Alianza Social Independiente und bringt wohl für ihn bestimmte Wähler_innenstimmen mit ins Lager von Parody.
Ex-Präsident Alvaro Uribe Vélez seinerseits macht nicht etwa Werbung für den Kandidaten der Partei der Unidad, sondern hat dem Kandidaten der Grünen Partei, Enrique Peñalosa, seine Unterstützung erklärt. Peñalosa war bereits von 1998 bis 2000 Bürgermeister. Die Allianz aus Grünen und Unidad ist deshalb kurios, weil die Grüne Partei 2010 als Gegnerin von Juan Manuel Santos in die Präsidentschaftswahlen gezogen war. Santos war immerhin Verteidigungsminister unter Uribe und dessen Wunschkandidat für die Nachfolge. Dazu steht Uribe Vélez für das System, dass die überwiegend jungen Unterstützer_innen der Grünen 2010 rundweg ablehnten. Ihr Erfolg im Wahlkampf hatte sich zumindest teilweise in der Forderung nach einer Verurteilung politischer Verbrechen und einem größeren Respekt des Staates vor menschenrechtlichen Grundsätzen begründet. Die in die neue Partei gesetzten Hoffnungen fallen somit endgültig in sich zusammen. Der laute Protest einiger Abgeordneter verhinderte zwar eine Rede Peñalosas vor dem Parteitag, hatte aber sonst kaum Konsequenzen. Im Süden Bogotás waren Alvaro Uribe Vélez und Peñalosa gemeinsam auf Wahlkampftour zu sehen. Uribe Vélez twitterte: „Peñalosa soll Bürgermeister werden, erinnern wir uns an den Transmilenio, Luxusschulen in Armenvierteln, Kindergärten, Parks, er soll es noch einmal machen.“ Peñalosa liegt bei den Umfragen vorn. Dionisio Araujo von der Konservativen Partei zog seine Kandidatur zurück, die konservative Partei unterstützt jetzt die Grünen. Die beiden traditionellen Großparteien der Konservativen und Liberalen haben ihren Einfluss in Bogotá weitgehend verloren.
Jaime Castro, der bereits Bürgermeister war, als zuletzt 1992 ein liberaler Bürgermeister wegen Korruption sein Amt aufgeben musste, tritt mit Unterstützung der Bewegung Autoridades Indígenas de Colombia (AICO) an. Carlos Fernando Galán schließlich wird von der aus dem Uribe-Umfeld stammenden, rechtsgerichteten Partei Cambio Radical ins Rennen geschickt. Beide haben kaum Aussichten. Erstaunlicherweise ist Galán der einzige, der ein umfassendes Programm zur Förderung von Frauen – beispielsweise den Ausbau von Frauenhäusern, von denen es in der 10-Millionen-Stadt gerade mal fünf gibt – sowie der Lesbisch-schwul-bisexuell-transgender-Gemeinde vorgelegt hat. Allen Kampagnen ist gemein, dass der Wahlkampf in Bogotá kaum eigene Themen setzen kann. Momentan sind in der Hauptstadt keine stadtpolitischen Probleme präsent, sondern vor allem die Ratifizierung des Freihandelsvertrages mit den USA durch den dortigen Kongress, die breiter werdenden Proteste der Studierenden wegen geplanter Reformen zum Hochschulgesetz und das Mitte Oktober zu Fall gebrachte Gesetzesvorhaben zur Verschärfung des Abtreibungsgesetzes. Dabei gäbe es viel zu verändern: Die Staus sind so schlimm wie nie, weil die Baustellen des Metrobusses die Hauptverkehrswege blockieren. Gewöhnliche Kriminalität steigt, Überfälle sind häufig. Dazu sind öffentliche Räume rar; die Mieten steigen. Dass eine_r der Kandidat_innen diese Prozesse umkehrt, glaubt kaum jemand.
Nicht nur in Bogotá, in allen 32 Departements werden Gouverneur_innen, Bürgermeister_innen und Gemeindeabgeordnete gewählt. Einige der kleinen Parteien, die spezifisch ethnische Gruppen vertreten wollen, wie ASI, Afrovides und AICO, haben sich in Plattformen für ihnen programmatisch fern stehende Kandidat_innen verwandelt: In Policarpa im Departamento Nariño etwa ist die ASI-Kandidatin fürs Bürgermeisteramt, Gladys Ortega (eigentlich eine Konservative), wegen angeblicher Verbindungen zu den „Rastrojos”, einer Nachfolgeorganisation paramilitärischer Gruppen, in Verruf geraten. „Wir wollen anständige Leute unterstützen”, wehrte sich der Parteivorsitzende Alonso Tobon. Finde man etwas heraus, so würden solche Kandidat_innen sofort aus der Partei ausgeschlossen, wie es mit dem ehemaligen Bürgermeister des Heimatortes von Gabriel Garcia Marqüz, Aracataca, geschah. Der war wegen Mordes und Bildung einer kriminellen Vereinigung festgenommen worden. 38 Kandidat_innen wurden im Vorfeld der Wahlen bisher ermordet. Die Regionalwahlen sind wohl auch deshalb mit mehr Gewalttaten verbunden als etwa die Kongresswahlen, da auf der lokalen Ebene noch direkter um finanzielle Mittel für die eigene Klientel gerungen wird.
Im afrokolumbianisch geprägten Departamento Chocó ist die Währung für Wahlstimmen Bauholz und Zement. Dort haben 80 Prozent der Bevölkerung keinen Zugang zu öffentlichen Diensten wie Wasserversorgung, Strom oder Abwasserversorgung. „Am Tag der Wahlen bilden sich Aufläufe vor den Wahlkreisbüros der Kandidat_innen, die Leute wollen sehen, was sie dort bekommen. Es ist die eine Möglichkeit für die Leute, was rauszuholen. Wenn sie an dem Tag nichts kriegen, dann nie”, wird eine Professorin aus der Departamento-Hauptstadt Quibdo in der Wochenzeitung Semana zitiert. Hier ist der ehemalige Gouverneur Sánchez Montes de Oca wegen Unterschlagung verurteilt und seines Postens enthoben worden. Welche politische Macht die Familie Sánchez dennoch hat, wird daran deutlich, dass der Bruder des Gouverneurs zwar wegen Verbindungen zu Paramilitärs in Bogotá im Gefängnis sitzt, aber dennoch in den Chocó reisen durfte. Dort besuchte er nicht nur das Begräbnis seiner Mutter, sondern auch das Parteibüro der Unidad Nacional. Der von ihm unterstützte Kandidat Jafet Bejarano hat versprochen, die Schuldächer in der regenreichen Region reparieren zu lassen und wird vermutlich die Wahl gewinnen. Die Gegenkandidatin Zulia Mena, die für eine kuriose Allianz aus dem linksgerichteten Demokratischen Pol, den Grünen und nun auch der Konservativen Partei antritt, hatte 2007 bei einer ersten Kandidatur Anzeige wegen Wahlbetrugs erstattet, da am Tag nach der Wahl Dutzende Wahlzettel mit für sie abgegebenen Stimmen im Müll gefunden worden waren. Passiert war damals nichts.
Das Wahlbeobachtungsinstitut MOE fürchtet dieses Jahr in mindestens 544 Gemeinden Wahlfälschung oder Unregelmäßigkeiten. In vielen Regionen sind ID-Karten aufgetaucht, die zu Verstorbenen gehören oder zu Menschen, die nicht existieren. Über 500.000 der für die Wahlen registrierten Karten wurden deshalb vom Nationalen Wahlrat annulliert. Alejandra Barrios von der Wahlbeobachtungsbehörde erklärt: „Diese annullierten Wahlregister lassen sich direkt in Finanzmittel der einzelnen Wahlkampagnen übersetzen” – Wahlfälschung kostet also. „Überlegen Sie sich mal, was es für eine logistische Leistung ist, wenn Sie Tausende Wähler, und die auch noch bezahlt, mit Bussen in einen anderen Ort bringen, damit diese dann dort für einen ausgemachten Kandidaten stimmen!”, so Barrios weiter. Natürlich seien diese Unregelmäßigkeiten nicht einer einzelnen Kampagne zuzuschreiben, dennoch „haben wir die Streitkräfte darum gebeten, dass sie Gemeindegrenzen von einzelnen Munizipien am Wahltag kontrollieren, weil wir dort von massiven Fällen von Mehrfachwahl ausgehen”, meint die Beobachterin im Interview mit Contagio Radio. Die Bitte um „Militarisierung” ist zunächst erschreckend, doch die Wahlbeobachterin insistiert: „Wir hoffen nur, dass Militär und Polizei auf den Fernstrassen die Busse und Autos so kontrollieren, dass nicht so etwas passiert wie zum Beispiel 2007 in Castilla la Nueva: Dort kamen unerwartet Busse mit Leuten aus anderen Dörfern an, die in Castilla wählten, obwohl sie eigentlich keine Berechtigung dazu hatten.” Es kam daraufhin zu Protesten, es wurden Wahlurnen verbrannt, mehrere Menschen wurden verletzt – „dort konnte dann gar nicht gewählt werden”, so Barrios. In anderen Regionen, wie zum Beispiel dem Valle del Cauca, wo es gewaltsame Zusammenstöße zwischen den Streitkräften und der Farc-Guerilla gibt, sei eine größere Präsenz des Militärs selbstverständlich nicht erwünscht.
Immer wieder entstehen Allianzen, um Kandidat_innen mehr Wahlstimmen zu ermöglichen, weil angenommen wird, dass eine feste Stammwähler_innenschaft den Kapriolen der Parteifunktionär_innen folgt. Doch so schnell wie sie geknüpft werden, lösen sich diese Allianzen bisweilen wieder auf.

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