Nummer 395 - Mai 2007 | Venezuela

Gesetzmäßigkeiten in Venezuela

Frauenrechte zumindest auf dem Papier gestärkt

Am 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, wurde in Venezuela ein neues Gesetz beschlossen, welches am 20. März dieses Jahres offiziell in Kraft getreten ist. Es soll Frauen das Recht auf ein gewaltfreies Leben garantieren. Wenngleich dieses Gesetz eine große Errungenschaft darstellt, zeigt sich jedoch bei näherer Betrachtung, dass Frauenbelange in der Regierungsarbeit keine Prioritat genießen.

Eva Bahl und Judith Götz

ChavistInnen rühmen sich heute gerne damit, dass nicht nur die Verfassung in geschlechtsneutraler Sprache geschrieben ist, sondern auch der Präsident selbst eine solche verwendet. Sie behalten auch Recht damit, dass Frauen nicht nur rhetorisch sondern auch praktisch zunehmend in den revolutionär geglaubten Prozess in Venezuela einbezogen werden. Tatsächlich lassen sich seit dem Amtsantritt von Hugo Chávez einige Veränderungen aufweisen, die langfristig marginale Verbesserungen für die Stellung der Frau in der Gesellschaft mit sich bringen könnten. So sind zwar bloß fünf von den 25 MinisterInnen Frauen, aber immerhin lassen sich Überlegungen finden, aus dem Nationalen Fraueninstitut INAMUJER ein Frauenministerium zu machen. Die als Misiones bekannten Sozialprogramme der Regierung zielen darauf ab, Analphabetismus und soziale Benachteiligungen zu verringern, von denen in erster Linie Frauen betroffen sind. Zwar gibt es heute mit dem Gesetz der Chancengleichheit für Frauen auch ein Gleichstellungsgesetz und die Puntos de Encuentro, „die Treffpunkte“, die sich als regionale Frauenbasisgruppen des Nationalen Fraueninstituts unter anderem gegen häusliche Gewalt einsetzen. Eine genauere Betrachtung der Geschichte des neuen Gesetzes gegen Gewalt an Frauen sowie anderer Abschnitte der venezolanischen Gesetzeslage zeigt jedoch, dass zu emanzipatorischer Frauenpolitik noch viel fehlt. So sieht beispielsweise der im Kapitel über Ehebruch enthaltene Artikel 396 des Strafgesetzes für ehebrechende Frauen (bis zu drei Jahre) viel höhere Strafen vor als für Männer (bis zu 18 Monate). Auch der Artikel 395 des recht seltsam betitelten Abschnitts über „Delikte gegen die guten Sitten und die gute Ordnung der Familie“ ist mehr als fragwürdig, da er unter anderem Vergewaltigung, Unanständigkeiten, Zuhälterei, Verführung Minderjähriger straffrei lässt, wenn der Täter mit dem Opfer verheiratet ist beziehungsweise das Opfer noch vor der Verurteilung heiratet. Feministinnen fordern eine Umbenennung des vorliegenden Kapitels in „Delikte gegen die Freiheit und die sexuelle Integrität“. Aber mit einer einfachen Umbenennung wäre es nicht getan. Denn laut des Gesetzes scheint die Rettung der „Familienehre“ wichtiger zu sein als die Verurteilung der Täter.
Nicht zuletzt ist auch Abtreibung in Venezuela nach wie vor illegal, so dass laut gängigen Statistiken ungefähr zwei Frauen pro Woche auf Grund der unsicheren Umstände bei klandestinen Schwangerschaftsabbrüchen sterben. Eine Legalisierung der Abtreibung würde eine Konfrontation mit dem katholischen und dem militärischen WählerInnenklientel bedeuten – ein Preis, der für die Revolution anscheinend doch zu hoch ist.

Ein neues Gesetz mit einer alten Geschichte

Zu den großen Errungenschaften, die in dem neuen „Gesetz über das Recht der Frauen auf ein Leben frei von Gewalt“ durchgesetzt werden konnten, zählt unter anderem die Anerkennung von 19 Typen von Gewalt, zu denen neben institutioneller und medialer auch symbolische Gewalt zählt. Es handelt sich dabei nicht um ein einfaches, sondern um ein Gesetz mit Verfassungscharakter. Das bedeutet, dass es nicht so leicht rückgängig gemacht werden kann, keine willkürlichen Interpretationen zulässt und der Staat seine Durchsetzung garantieren muss. Somit entspricht das neue Gesetz nicht nur allen internationalen Standards, sondern gehört zu den fortschrittlichsten Gesetzen weltweit.

Trennung von Frau und Familie

Schon dessen Vorläufer, das „Gesetz über die Gewalt gegen die Frau und die Familie“, das bereits vor Chávez’ Amtsperiode beschlossen wurde, stellte zum Zeitpunkt seiner Verabschiedung eine große Errungenschaft dar. Veränderungen, die gegenüber dem vorherigen Gesetz vorgenommen wurden, sind zum Beispiel die von Feministinnen viel geforderte Trennung von Frau und Familie sowie die Ausweitung der anerkannten Gewalttypen. Um seine Durchsetzbarkeit zu gewährleisten sieht es außerdem vor, PsychologInnen, ÄrztInnen, AnwältInnen, LehrerInnen et cetera, über das Gesetz aufzuklären und darin zu schulen.
Die Durchsetzbarkeit des vorherigen Gesetzes wurde von der Regierung selbst jedoch nicht immer gewährleistet. Der chavistische Generalstaatsanwalt Isaias Rodríguez Díaz hatte 2003 nämlich versucht, einige der im Artikel 39 des „Gesetzes über die Gewalt gegen Frau und Familie“ festgelegten Schutzmaßnahmen für Frauen als Opfer von Gewalt für verfassungswidrig zu erklären. Seiner Auffassung nach hätte der Absatz, der vorsah, dass Täter sich nicht mehr dem Arbeitsplatz der betroffenen Frauen nähern durften, die Bewegungsfreiheit der Männer eingeschränkt. Im Absatz, der besagte, dass im Falle eines gemeinsamen Wohnsitzes der Mann das Haus zu verlassen habe, meinte er wiederum eine Einschränkung des Rechts auf Privateigentum zu erkennen. So zielte die Argumentation des Generalstaatsanwalts darauf ab, die Rechte der Täter über jene der Opfer zu stellen. Die scharfe Kritik und der vehemente Protest der Frauenbewegung, der sich über drei Jahre hinzog, eröffneten den Weg zu dem jetzigen Gesetz. Erst zu Ostern des letzten Jahres konnte sich der Generalstaatsanwalt schlussendlich dazu durchringen, sich für sein Verhalten zu entschuldigen. Obwohl er sich dabei auf Ostern als Zeit des Vergebens berief und meinte, die Frauen sollten doch nicht so hart zu ihm sein, wollten die wenigsten über sein Verhalten hinwegsehen und setzten so ihre Kritik an der Regierung fort.

Gespaltene Frauenbewegung geeint für neues Gesetz

So lässt sich zwar mit der Verfassung und anderen Gesetzen hervorragend Wahlkampf betreiben und die eigene Fortschrittlichkeit preisen. Doch sind die wenigen grundlegenden Verbesserungen in Frauenbelangen, die sich im bolivarianischen Venezuela heute finden lassen, vor allem den Feministinnen und ihren unermüdlichen Bemühungen, Forderungen nach emanzipatorischer Politik und ihrer Kritik an der Regierung zu verdanken.
An der Gestaltung des neuen Gesetzes hatten Frauen aus allen politischen Lagern mitgewirkt. Sowohl Chavistinnen als auch regierungskritische Frauen bis hin zu Angehörigen der bürgerlichen bis rechten Opposition nahmen an der Diskussion des Entwurfs teil. Solche gemeinsame Arbeiten lassen sich im Normalfall in Venezuelas Frauenbewegung jedoch eher selten antreffen. Denn die Frauenbewegung ist ähnlich polarisiert wie auch der Rest der Gesellschaft. So ist auch die Frage, ob in Venezuela überhaupt von einer organisierten Frauenbewegung gesprochen werden kann, nicht einfach zu beantworten, da sich das Verhältnis der Frauen untereinander oftmals schwierig gestaltet. Viele der politisch aktiven Frauen sind in erster Linie über chavistische Parteistrukturen organisiert, deren politische Arbeit sich nicht vordergründig mit Frauenbelangen und feministischen Forderungen auseinander setzt. Diese werden vielmehr oftmals hinten angestellt, wenn es um die „wichtigeren“ Themen der „bolivarianischen Revolution“ geht. Dies sorgt bei jenen Frauen, die in erster Linie über feministische Kämpfe organisiert sind, für Unbehagen. Gleichzeitig wird Engagement in Frauenbelangen auch immer wieder für Regierungszwecke vereinnahmt, so dass Lobreden auf den Präsidenten zum Alltag frauenpolitischer Veranstaltungen und Tätigkeiten gehören. Kaum verwunderlich also, dass am Festakt zur Verabschiedung des Gesetzes, der am 25. November im Teresa Carreño-Theater in Caracas stattfand, in erster Linie Chavistinnen teilnahmen. Regierungsunabhängige Frauen zogen es vor, an diesem Tag fernzubleiben, da sie befürchteten es handele sich bei dem Akt ohnehin nur um eine Propagandaveranstaltung zu Gunsten der Regierung. Obwohl sie damit Recht behielten, lassen sich dennoch auch viele Anknüpfungspunkte – wie das neue Gesetz – finden, die gemeinsames Arbeiten möglich machen und davon zeugen, dass sehr wohl von einer aktiven Frauenbewegung gesprochen werden kann.

Kein neues Gesetz trotz noch älterer Geschichte

Beim Thema Schwangerschaftsabbruch ist trotz einer sich als „links“ verstehenden Regierung und den langzeitigen Bemühungen der Frauenbewegung keine Gesetzesänderung in Sicht. Im Kapitel V des venezolanischen Strafgesetzbuches über „die hervorgerufene Abtreibung“ wird im Artikel 432 vorgesehen, dass eine Frau, die wissentlich einen Schwangerschaftsabbruch begeht, mit sechs Monaten bis zwei Jahren Gefängnis zu rechnen hat. Die Person, die den Abbruch vollzieht, so der Artikel 433 desselben Gesetzes, hat hingegen mit 30 Monaten bis zu einem Jahr Haft zu rechnen. Erlaubt beziehungsweise nicht strafbar ist der freiwillige Abbruch der Schwangerschaft nur dann, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. Aber selbst in diesem Fall muss auch die schriftliche Einverständniserklärung ihres Ehemanns oder im Fall von Minderjährigen ihres/ihrer gesetzlicheN VertreterIn vorgewiesen werden. Eine staatliche Vereinnahmung des 28. September, dem „Tag des Kampfes für die Legalisierung der Abtreibung in Lateinamerika und der Karibik“ ist folglich nicht zu erwarten.
Immer wieder gab es Versuche der Frauenbewegung, Abtreibung vom Strafgesetz ins Gesundheitsgesetz zu verschieben. Verbunden wurde dies mit der pragmatischeren Forderung, Abtreibung zumindest in den bereits 1981 von der venezolanischen Ärztekammer empfohlenen Ausnahmefällen, wie zum Beispiel Vergewaltigung, zu erlauben. Dies wurde auch bei der Reform des Strafgesetzbuches 2004 vorgeschlagen. Auf Grund der vielen Wahlen im selben und im darauf folgenden Jahr, so die Vermutung vieler Feministinnen, wurden die Hauptvertreterinnen dieser Forderungen in der Nationalversammlung „zurückgepfiffen“ und die komplette Reform schlussendlich zurückgezogen. Bei der heutigen Diskussion über Abtreibung sind diese Feministinnen wieder zu ihrer maximalen Forderung zurückgekehrt, die Abtreibung nur in jenem Fall strafbar machen würde, wenn sie ohne das Einverständnis der betroffenen Frau durchgeführt wird. Sie wissen eben, dass sie alles fordern müssen, um zumindest Kleinigkeiten verändern zu können.

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