Nicaragua | Nummer 423/424 - Sept./Okt. 2009

Gespalten aber ungebrochen

Die Regierung geht repressiv gegen eine starke Frauenbewegung vor

Ihr Aufstieg begann schon bald nach der Revolution 1979, und bis zur Abwahl der sandinistischen Regierung 1990 war die Frauenorganisation AMNLAE eine wichtige Massenorganisation, die allerdings von der Sandinistische Befreiungsfront FSLN gesteuert wurde. Ab Mitte der 80er Jahre jedoch kümmerte sich AMNLAE vor allem um Mütter, deren Söhne zum Militärdienst eingezogen worden waren, und wurde eine Art Transmissionsriemen zwischen der Regierung und der weiblichen Bevölkerung. Andere „Frauenthemen“ wie etwa Gewalt gegen Frauen und Vergewaltigungen gerade auch in Zeiten des Krieges durften daher nicht thematisiert werden.

Kirsten Clodius und Barbara Lucas

Viele Frauen in der AMNLAE waren aus diesem Grund in ständiger Auseinandersetzung mit der Partei. Mitte der 1980er Jahre gründeten die ersten Frauen unabhängige Gruppen. Zum einen, weil sich viele Frauen weigerten, den vertikalen Führungsstil der FSLN und eben auch von AMNLAE weiterhin zu akzeptieren. Zum anderen gab es unterschiedliche Konzepte über frauenspezifische Probleme. AMNLAE und die FSLN kämpften vor allem gegen die wirtschaftliche Benachteiligung von Frauen – eine Ungleichheit, die sich auflösen würde, sobald die Revolution fortgeschritten wäre. Die autonomen Frauen kritisierten den vorherrschenden kulturellen Machismo und das Patriarchat und griffen frauenspezifische Themen auf, vor allem die Gewalt gegen Frauen. Damals wie heute sind die meisten Frauen in ihren Familien häuslicher Gewalt ausgesetzt, ihre sexuellen und reproduktiven Rechte werden verletzt. Die autonomen Frauengruppen schufen Frauenhäuser als Zufluchtsorte, entwickelten alternative Konzepte zur Gesundheitsversorgung für Frauen unter starker Berücksichtigung der Prävention und schufen Orte für feministische Bildungs- und Kulturarbeit. Dabei wurden durchaus auch Männer einbezogen, um einen gendersensiblen Blickwinkel in die politische Arbeit zu integrieren.
So wurden neue Arbeitsbereiche geschaffen, zugleich verliefen aber auch tiefe Gräben zwischen den beteiligten Frauengruppen. Eine weitere Spaltung fand nach der Anklage von Zoilamérica Narváez gegen Daniel Ortega 1998 statt. Die Tochter Rosario Murillos klagte damals ihren Stiefvater Daniel Ortega öffentlich an, sie über Jahre hinweg körperlich missbraucht und vergewaltigt zu haben. Ein Gerichtsverfahren blieb aus, weil es Ortega gelang, sich aufgrund seiner parlamentarischen Immunität dem Verfahren zu entziehen. Narváez fand Unterstützung in der feministischen Bewegung innerhalb und außerhalb Nicaraguas und reichte bei der Interamerikanischen Menschenrechtskommission Klage gegen den Chef der FSLN ein. Ihr Fall wurde zum Symbol der Auseinandersetzung der feministischen Bewegung mit sexuell-gewaltbasierten Herrschafts­praktiken des patriarchalen Systems. Viele Feministinnen solidarisierten sich mit Narváez, andere Frauen gerieten in einen tiefen Zwiespalt, hielten aber trotz der Vorwürfe ihrem „Caudillo“ weiterhin die Treue. Rosario Murillo stellte sich auf die Seite ihres Ehemanns. „Um ihren Frieden zu finden“, so Zoilamérica Narváez selbst, zog sie ihre Klage vor einigen Monaten zurück.
Diese Auseinandersetzung war wohl der Beginn eines endgültigen, tiefen Zerwürfnisses zwischen den unabhängigen Frauengruppen und dem Ehepaar Ortega-Murillo. Kurz vor der Präsidentschaftswahl 2006 lieferte Daniel Ortega dann einen neuen Grund für lautstarke Proteste der Frauenbewegung. Mit den Stimmen vieler FSLN-Abgeordneter verabschiedete damals die nicaraguanische Nationalversammlung ein Gesetz, das Abtreibung selbst dann unter Strafe stellt, wenn eine Gefahr für Gesundheit und Leben der Frau besteht. Grund für diese Gesetzesänderung waren Absprachen zwischen Daniel Ortega und der katholischen Kirche, die ihm letztendlich zur Präsidentschaft verhalfen.
AMNLAE protestierte damals nicht sichtbar gegen die Gesetzesreform, alle anderen Frauenorganisationen aber organisierten sich und kämpfen bis heute für die Legalisierung der Abtreibung.
Nach dem Regierungsantritt begann besonders Rosario Murillo mit einer regelrechten Hetzkampagne gegen die feministischen Gruppen. Es kam darüber hinaus zu Anklagen und öffentlicher Diffamierung ganzer Organisationen sowie einzelner Frauen, unter anderem gab es einen Strafantrag wegen Geldwäsche und die Gemeinnützigkeit einiger Organisationen wurde in Frage gestellt. Im Oktober 2008 drangen Staatsanwalt und Polizei gewaltsam in die Räume der Autonomen Frauenbewegung (MAM) ein und beschlagnahmten Computer und Materialien.
Nachdem selbst AMNLAE sich zunehmend kritisch gegenüber der Regierungslinie äußerte, sorgte die Präsidentengattin Rosario Murillo durch geschickte Manipulation kurzerhand dafür, dass die langjährige AMNLAE-Vorsitzende durch eine neue, der Regierungspolitik ungefährlichen Leitung ersetzt wurde. Zudem gründete Murillo 2008 eine neue Organisation, die Bewegung der sandinistischen Frauen Blanca Arauz. Es wurde verkündet, Blanca Arauz verfüge bereits über Vertretungen in allen größeren Ortschaften und über mehr als 3.000 Mitglieder. Wenige Monate später scheint die Organisation genauso schnell wieder von der Bildfläche verschwunden zu sein wie sie aufgetaucht war. Das Vorgehen Murillos verdeutlicht jedoch die Schärfe, mit der die aktuelle Regierung der unabhängigen Frauenbewegung des Landes begegnet und versucht, sie und ihre Themen zu vereinnahmen.
Statt unter einer „linken“ Regierung mehr Handlungsspielraum zu haben, sieht sich die Frauenbewegung vermehrt Repressionen ausgesetzt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass ein Teil der Frauenbewegung eine begrenzte Allianz mit der reformsandinistischen Partei MRS eingegangen ist (siehe Porträt von Violeta Delgado). Die etwa 70 in der MAM organisierten Frauen wollen aus einer feministischen Position heraus zu gesamtgesellschaftlichen Fragen Stellung nehmen und in den Wahlkampf und die allgemeine politische Debatte eingreifen. Langfristig möchten sie jenseits von FSLN und Liberalen eine dritte politische Kraft formieren, die so weitgehend wie möglich ein partizipatives und gendergerechtes Politikmodell verfolgt.
Dieser Schritt wird jedoch von anderen Teilen der Bewegung als Aufgabe der Autonomie kritisiert und führte zu Diskussionen über den Stellenwert der Unabhängigkeit der Frauenbewegung vor Parteiinteressen. Als Abspaltung der MAM schlossen sich deshalb zwölf Gruppen in verschiedenen Teilen des Landes zur Movimiento Feminista (Feministischen Bewegung) zusammen.
Ihre Stärke indes haben die Frauen trotz unterschiedlicher Haltungen und immer neuen Zersplitterungen nicht verloren. Nach wie vor arbeiten über 150 Gruppen im Frauennetzwerk gegen Gewalt zusammen. Und das Hauptziel der aktuellen Arbeit in nahezu allen unabhängigen Frauengruppen ist derzeit mit der Verteidigung ihrer politischen Handlungsspielräume ebenfalls das gleiche. Obendrein gibt es unter den Feministinnen bereits erste Gespräche, um erneut zu einer Verständigung zu finden.
Von den Drohgebärden der Regierung jedenfalls lassen sich die Frauen nicht einschüchtern und zeigen sich kämpferisch. Juanita Jiménez von der MAM erklärte: „Wir sind darauf vorbereitet, Widerstand zu leisten, und haben gezeigt, dass wir keine Angst haben. Wir werden jedem Angriff Widerstand leisten, und wenn sie eine Gruppe ins Gefängnis bringen, dann machen sie es halt, aber das wird uns nicht zum Schweigen bringen, denn wir wissen, dass sich viele andere Stimmen erheben werden.“

Teile des Artikels stammen aus einem Beitrag von Kirsten Clodius im INKOTA-Brief 147 vom März 2009 „Nicaragua 30 Jahre danach: Irrwege einer Revolution.“

Diana Martínez
ist 50 Jahre alt und lebt in Estelí. Sie ist Mitgründerin der Fundación entre Mujeres (FEM) in Nicaragua, einer Frauenorganisation, die mit rund 3.000 Frauen in ländlichen Gebieten zusammen arbeitet.

Als sie sich dem revolutionären Prozess anschloss, war Diana Martínez 19 Jahre alt. Sie kam aus einer Mittelschichtsfamilie und wurde auf eine Klosterschule geschickt, wo sie mit der marxistisch beeinflussten Befreiungstheologie in Kontakt kam.
Als ihre Eltern davon erfuhren, schickten sie ihre Tochter auf die Universität nach Guatemala. Doch auch dort traf sie auf den Marxismus-Leninismus. Zunehmend kam es zum Bruch mit der Familie. „Meine Eltern wollten, dass ich einen Mittelklasse-Mann heirate und meiner Bestimmung nachgehe, viele Söhne zu gebären. Die Revolution hat mich vor dieser bürgerlichen Barbarei bewahrt. Für mich ist ein großer persönlicher Erfolg, dass mir dieses Schicksal erspart blieb.“
Nachdem es in Nicaragua im September 1978 zu heftiger Repression und Massakern gekommen war, schloss sich Diana dem revolutionären Prozess Nicaraguas an und ging nach Costa Rica. Dort arbeitete sie bis zum Tag der Revolution in einem klandestinen Krankenhaus für Verwundete der FSLN und versorgte dort Verletzte.
Nach ihrer Rückkehr nach Nicaragua beteiligte sich Diana Martínez in den 1980er Jahre am Aufbau der Gewerkschaftsstrukturen in Bluefields. Danach beendete sie ihr Soziologiestudium an der UCA in Managua und arbeitete zeitgleich als Textilarbeiterin. „Ich wollte eine richtige Arbeiterin sein und war in der Sandinistischen Jugend aktiv“, sagt sie heute über diese Zeit.
1984 konnte Diana Martínez als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem Forschungsprojekt zur Untersuchung der Situation von Landarbeiterinnen mitarbeiten, eine der ersten wissenschaftlichen feministischen Arbeiten Nicaraguas. Auch später forschte sie noch weiter zu genderspezischen Fragen im Zusammenhang mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen von berufstätigen Frauen. „Unser Interesse war es, die besonderen Schwierigkeiten der ausgebeuteten Frau sichtbar zu machen. Wir erhofften uns natürlich auch, dass sich die Arbeiterorganisationen dem Frauenthema öffnen würden.“
Diese Hoffnung wurde jedoch enttäuscht. Auch in den sandinistischen Massenorganisationen und der FSLN herrschte der Machismo vor, und 1990 war ihr dann absolut klar, dass der Widerstand gegen Genderthemen und Gleichberechtigung innerhalb der Gewerkschaften zu groß war.
Deshalb gründete Diana Martínez Anfang der 1990er Jahre gemeinsam mit anderen Frauen die Frauenorganisation Fundación entre Mujeres (FEM). Die FEM entstand als autonomes, von Gewerkschaften und Parteien unabhängiges Projekt von Frauen und hatte zum Ziel, die Interessen der Frauen an der Basis in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei ging es insbesondere um den Kampf für die Emanzipation der Menschen auf dem Land. Die FEM verteidigt den Anspruch, einen radikalen gesellschaftlichen Wandel der Strukturen herbeizuführen und Ungleichheiten aufzulösen. Dass das möglich ist, davon ist Diana heute noch überzeugt.
// Kristopher Lengert

Argentina Olivaro
ist 45 Jahre alt und lebt in Matagalpa. Seit 1990 ist sie Mitglied im Colectivo de Mujeres Matagalpa (CMM). Sie ist Journalistin und arbeitet als Direktorin von Radio Stereo Vos des CMM. Außerdem ist sie nationale Koordinatorin der Vereinigung der kommunalen Radios (AMRAC).

1979 war Argentina gerade 14 Jahre alt und Mitglied in einer SchülerInnen-Vereinigung, die sich heimlich traf und oppositionelle Papiere weiterleitete. Da ihre Mutter schwanger war und ihre Hilfe brauchte, konnte sie nicht in die Berge zu den Gueriller@s gehen. Später hat sie aber bei der Alphabetisierungskampagne mitgemacht und diese in vielen Stadtteilen Matagalpas mitorganisiert. Ihre Mutter und sie waren bei der sandinistischen Frauenorganisation AMNLAE.
Seit 1990 ist Argentina Olivar Mitglied im CMM.
Die Kritik vieler Mitstreiterinnen an der aktuellen Regierung teilt sie nur sehr eingeschränkt: „Wir haben die 16 Jahre neoliberale Regierung nur überstanden, weil wir immer an die Prinzipien der Revolution glaubten, und eine revolutionäre Regierung ist immer noch besser als eine neoliberale.“ Daher hat sich das CMM den politischen Kampagnen einiger zivilgesellschaftlicher Gruppen wie beispielsweise der Coordinadora Civil nicht angeschlossen. Argentina Olivar kritisiert, dass sich diese Organisationen teilweise mit den Rechten verbündet hätten, um ihre Kritik an der Regierung vorzubringen.
Ihre eigene Arbeit betrachtet sie als ein Resultat der täglichen Bedürfnisse von Frauen: „Wir haben es geschafft, bei den Frauen ein Bewusstsein für ihre Rechte zu wecken und die Lebensqualität vieler Frauen zu verbessern. Wir glauben, dass die Frauen zuerst etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf brauchen, bevor sie sich wirklich engagieren können.“
Die FSLN hat die Arbeit des CMM anerkannt. Beim Vorgehen der Regierung gegen Nichtregierungsorganisationen (NRO) sieht Argentina Olivar das Problem, dass die Regierung dabei alle über einen Kamm schere. Auch glaubt sie nicht, dass die Zentralregierung alle ausländischen Spendengelder an NRO verwalten sollte. In den Räten der Bürgermacht (CPC) hingegen sieht sie ein geeignetes Regelwerk, um die sinnvolle Verwendung der Spendenfonds zu überwachen.
Die zukünftige Arbeit des CMM sieht sie nicht bedroht: „Unsere Arbeit im CMM war immer sehr gut – wir haben durch fortdauernde Analyse und Selbstkritik unsere Arbeit für die Frauen immer weiter verbessert.“
// Ulla Sparrer

Violeta Delgado Sarmiento
ist 39 Jahre alt, lebt in Managua und ist hauptamtliche Mitarbeiterin in der Autonomen Frauenbewegung (MAM). Zudem arbeitet sie im Sozialforschungszentrum CINCO. Vorher war sie Generalsekretärin im Frauennetzwerk gegen Gewalt und Vertreterin der Coordinadora Civil, einem Zusammenschluss von Nichtregierungsorganisationen.

„Ich bin schon mit elf Jahren zu politischem Engagement gekommen. 1981, habe ich meiner Mutter bei der Alphabetisierungskampagne geholfen. Wir haben vier Monate bei einer Kleinbauernfamilie gelebt. Das Vorbild meiner Mutter war entscheidend für meine spätere Begeisterung für soziale und politische Kämpfe. Darauf bin ich dann zur sandinistischen Jugend gekommen, später zur Studentenbewegung.“
Violeta Delgado studierte Mathematik und Informatik in der UNAN in Managua und war dort Vorsitzende der Studierendenvereinigung. Zwischen 1991 und 1992 war sie Vizepräsidentin der Sandinistischen Jugend, verließ die Organisation aber zu Beginn der internen Krise der Frente 1994.
Über die Zeit nach der Wahlniederlage und ihr Engagement in der Frauenbewegung sagt sie heute: „Der Feminismus hat uns eine Orientierung gegeben, die anderen nach der Enttäuschung der Wahlniederlage lange fehlte. Wir nahmen in einem Rucksack die Werte der Revolution mit: Solidarität, soziale Sensibilität, Engagement. Aber auch die ungelösten Probleme der Revolution im Frauenbereich nahmen wir mit. Denn die FSLN-nahe Frauenorganisation AMNLAE hatte kaum Antworten auf Fragen der innerfamiliären Gewalt, der sozialen Ausgrenzung und andere.“ Mit 24 Jahren wurde Violeta Delgado 1994 zur Generalsekretärin des Frauennetzwerks gegen Gewalt gewählt und hatte diese Position acht Jahre inne.
Heute ergreift sie Partei für eine allgemeinpolitische Einflussnahme der Frauenbewegung. Sie befürwortet daher die Allianz der MAM mit der reformsandinistischen Partei MRS (siehe Überblicksartikel). 2006 kandidierte sie als Abgeordnete der MRS bei den Parlamentswahlen, zog jedoch nicht ins Parlament ein. Seit 2007 war sie mehreren Kriminalisierungsversuchen durch die von der Regierungspartei FSLN kontrollierten Justiz ausgesetzt.
Dennoch hält sie an ihrer Überzeugung fest: „Der Feminismus ist für mich ein Vorschlag der Frauen an die ganze Menschheit. Wir haben mit unseren Frauenorganisationen in den 1990er Jahren viel dafür getan, die Versorgung in den vom Staat vernachlässigten Bereichen Gesundheit, familiäre Gewalt, ökonomische Probleme alleinerziehender Frauen usw. aufrecht zu erhalten. Ich denke heute, dass sich die Frauenbewegung nicht allein mit Frauenthemen beschäftigen kann, während das ganze Land in sich zusammenfällt. Wir müssen uns zu Themen wie Demokratieabbau und Korruption äußern, auch wenn das hart ist.”
// Andrés Schmidt

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