Argentinien | Nummer 414 - Dezember 2008

Goldene Zukunft – Wüste Zukunft

In San Juan sollen über 150 Goldminen eröffnet werden

In den Anden zwischen Argentinien und Chile werden immer mehr Goldvorkommen erschlossen. Dadurch wird vor allem ein anderer Schatz der Region bedroht: Das Wasser der Gletscher. Dennoch regt sich nur wenig Widerstand, da der Eingriff in die Natur außer Sicht- und Reichweite der BewohnerInnen stattfindet.

Antje Krüger

„Schau dich mal um. Du siehst die Provinz funktionieren, als ob nichts passiert“, sagt der Touristenführer Ricardo Vargas und macht eine weite Geste über wüstes Land mit grünen Flecken. „Hier passiert ja auch nichts. Es passiert alles dort hinten in den Bergen. Genau das ist das Problem“, fährt der stämmige 40-Jährige fort und deutet zu Gipfeln in der Ferne. San Juan im Nordwesten Argentiniens, Vargas Heimat, ist eine kärgliche Region. Wüstes Land, grün nur entlang der Gletscherflüsse, die aus den 6.000 Meter hohen Anden kommen, der Grenze zu Chile. In den Tälern dagegen gedeiht das Leben üppig.
Zwei Schätze birgt die Provinz – Wasser und Gold. Zwei Schätze, die ganz unterschiedlichen Reichtum bringen und ganz unterschiedliche Interessen bedienen. Um beide wird gestritten. Ein Streit, der existenzielle Fragen der ganzen Gegend berührt. „San Juan ist historisch gesehen eine Agrarprovinz, der zweitgrößte Weinproduzent in Argentinien. In den letzten vier Jahren haben wir unsere Produktion fast verdoppelt“, erklärt der Winzer Juan José Ramos, Vorsitzender der Vereinigung Unabhängiger Weinbauern in San Juan.
Von den gut 700.000 Einwohnern der Provinz leben 300.000 von der Arbeit auf dem Feld. Zahlen, die inmitten der Wüste erstaunen. „Unser Wasser aus den Gletschern der Anden hat eine so hohe Qualität, dass es Mineralwasser gleicht“, sagt Ramos. Er steht am Stausee Ullum und erklärt die Bewässerungsarbeit von Generationen. „Aber jetzt kommt der Goldabbau hinten in den Bergen. Und der macht uns große Sorgen“.
Auch Ricardo Vargas parkt seinen Jeep am Staussee. Der Ort ist symbolisch für San Juan. Um ihn sammelt sich das Leben. Vargas breitet Landkarten auf der Kühlerhaube aus und fährt mit dem Stift darüber, während er das unsichtbare Problem der Provinz erklärt. „San Guillermo, das Biosphärenreservat. Hier befindet sich die Goldmine Veladero. Die Mine Pascua Lama liegt gleich nebenan“, sagt er und zeichnet runde Kreise für Bergbauprojekte und Linien für Flussverläufe. Am Ende ist die Karte komplett mit Kreisen bedeckt, darunter Wasser. Pascua Lama (siehe LN 393) und Veladero sind dick eingekringelt. Veladero ist die erste von über 150 bewilligten Minen, die mittlerweile funktioniert. Hier schürft die kanadische Barrick Gold Corporation, einer der größten Goldförderer der Welt, das begehrte Metall. Pascua Lama auf der Grenze zu Chile soll demnächst eröffnet werden.
Über Jahrtausende lag das Edelmetall in kleinen Partikeln verstreut tief in den Anden. Es gab keine Möglichkeit, an das Metall gewinnbringend heranzukommen. Doch die technischen Voraussetzungen sind nun geschaffen. “Das Gold wird im Tagebau geschürft”, erklärt Vargas, der sich bis ins Detail mit diesem Bergbau neuen Stils auseinandergesetzt hat. Um an das Metall zu kommen, werden ganze Berge weggesprengt und das Gestein zum Waschen mit Chemikalien zerkleinert. Wenn Vargas über die Minen spricht, packt ihn die blanke Wut. Veladero zum Beispiel liegt direkt im San Guillermo Biosphärenreservat. Das Reservat mit seinen vom Aussterben bedrohten Vicuñas steht unter dem Schutz der UNESCO. Zu dieser Hochebene auf 4.500 Metern brachte Vargas früher interessierte Wanderer. Heute klärt er über das auf, was dort oben mit enormen Konsequenzen für die ganze Region geschieht.
„Pascua Lama, die größte Mine, wird ein 483 Hektar großes Becken voll von Zyankali, Sulfid und anderen Chemikalien haben. Das ist dreimal größer als dieser Stausee hier“, berichtet Vargas und deutet hinter sich. „Das Becken liegt auf fast 5.000 Metern Höhe. Und wir sind auf 600 Metern Höhe, ein riesiger Unterschied. Das ganze Ökosystem funktioniert über Verknüpfungen von Wasserlinien. Es ist unmöglich zu glauben, dass ein Chemiesee auf 5.000 Metern Höhe zu keinen Problemen hier unten führt“, sagt er. Gold und Wasser, die beiden Schätze San Juans stehen konträr zueinander.
Gold kann ohne Wasser nicht abgebaut werden. Pro Tag werden alleine in Pascua Lama dafür zwölf Millionen Liter benötigt. Der Schatz Wasser aber, so die Befürchtung, könnte durch den Goldabbau unwiederbringlich geschädigt werden. Denn die Sprengung der Berge beschädigt die umliegenden Gletscher, die unter einer Sprengstaubschicht schneller schmelzen und verschmutzen. Zudem ist San Juan Erdbebengebiet. Risse in einem Chemikalienbecken oben in den Bergen, könnten das Grundwasser auf Jahrzehnte vergiften. Selbst die Windrichtung ändert sich durch das Versetzen der Berge. Niemand kann vorhersagen, wie sich das auf die Niederschläge in den Anden auswirkt, die überlebensnotwendig für San Juan sind.
Der Goldförderer, die Barrick Gold Corporation, hat für beide Minen Umweltberichte eingereicht. In den mehr als 1.000 Seiten starken Ausführungen ist all das aufgezählt, worauf auch Ricardo Vargas sein Wissen stützt. „In ihren Umweltberichten verschweigt die Barrick Gold nichts. Die wissen genau, was sie dort oben tun. Auch unsere Regierung weiß es und stimmt zu. Die Barrick hat damit saubere Hände und die Verantwortung abgegeben. Und den Einwohnern wird etwas ganz anderes verkauft. Da werden Gefahren abgemildert und erklärt, es wäre alles unter Kontrolle. Nur zusichern und nachprüfen kann das niemand”, sagt Vargas. Wenn man sich die Landkarte von San Juan anschaut, sieht man, dass diese ganze Gegend um die Minen unbekanntes Gebiet für 99% der Sanjuaninos ist. Es ist unbewohnt. Die Region ist im geographischen Bewusstsein garnicht vorhanden.
Die Leute spüren die Auswirkungen nicht. Noch nicht. Und es wird auch noch lange dauern, bis hier unten etwas zu merken ist”, beschreibt Chango Illanes das Problem. Die Zahl derer, die Zugang zum Gebiet der Minen hatten, läßt sich an einer Hand abzählen. Der Historiker Illanes erforschte die Inkageschichte dieser Berge und kennt sie deshalb. Ricardo Vargas arbeitete mit Touristen dort oben.
Der Winzer Juan José Ramos verfolgt gedanklich den Lauf der Flüsse, die seinen Wein bewässern, bis zur Quelle zurück. Der Zugang zum San Guillermo Biosphärenreservat selbst ist heute durch einen privaten Grenzposten der Barrick Gold Corporation gesperrt. Niemand außer den Bergarbeitern und den Wildhütern des Nationalparks kommt mehr hoch.
„Uns sind die Hände gebunden. Wir sind Angestellte des Staates, der dieses Desaster zuläßt. Rein rechtlich können wir gar nichts machen und von Seiten der UNESCO kam nie ein Einspruch. Ein Biosphärenreservat ist in drei Ringe eingeteilt. Einen Kern mit striktem Schutz, eine Übergangszone und den äußeren Ring, das nutzbare Gebiet, in dem Veladero liegt. Wer glaubt, dass der äußere Ring das Leben im Inneren des Parkes nicht beeinflußt, ist entweder unendlich naiv oder macht absichtlich die Augen zu”, sagt José Gallo, der alle zwei Wochen im Nationalpark nach dem Rechten sieht.
Für L., einen Bergarbeiter oben in Veladero, reicht der bloße Menschenverstand, um zu begreifen, was dort geschieht. „Die Barrick sagt, wenn die Mine nach 20 Jahren geschlossen wird, soll hier alles wieder so hergerichtet werden, wie es war”, sagt der kleine, untersetzte Argentinier. Er ist einer der wenigen Sanjuaninos, die in Veladero arbeiten. Seinen Namen möchte er nicht nennen, denn die Arbeit ermöglicht es ihm, seine fünf Kinder gut ausbilden zu lassen. „Ich glaube nicht, dass sie die Verschmutzung unter Kontrolle haben. Man kann einen Berg nicht einfach von unten nach oben umdrehen, ohne dass etwas passiert. Wir tragen ja mehr als 1.000 Meter ab. Da wird Arsen aus dem Fels freigesetzt. Und Wasser, das bei Bohrungen raussprudelt, fehlt dann weiter unten. Wie soll man denn das wieder rückgängig machen?”, fragt er.
„Die Argumente von Wasser und Gold sind auch in den Nachbarprovinzen Mendoza und La Rioja gegeneinander abgewogen worden, die ähnlich wie wir von der Landwirtschaft leben. Das Ergebnis: in beiden Provinzen wurde diese Art von Bergbau verboten. Hier aber sollen über 150 Projekte her”, so Winzer Juan José Ramos.
Und die Einwohner? Sie schweigen. Teils aus Unwissenheit, teils aus Desinteresse, teils aus Angst. Und – sie merken ja nichts. Noch nicht. „In den Regionen, in denen die Projekte gestoppt wurden, konnten die Leute den Berg sehen, den es betrifft“, sagt Ricardo Vargas und zeigt zu einem Hügel. „Da sagen sie, ich will nicht, dass du den zerstörst. Aber hier sehen es die Leute nicht. Wie schwer ist es, dagegen anzugehen! Das ist, als wollte man die Pinguine retten“, zuckt Vargas die Schultern, packt Landkarte und Stifte wieder ein und wirft noch einen Blick zu den fernen Bergen
// Antje Krüger

Protestzelt vor dem Kongress
Seit Ende Oktober protestieren betroffene Gemeinden aus 14 Provinzen in Buenos Aires. Ihr Protestzelt vor dem Kongressgebäude und die Demonstrationen zur Bergbaukonferenz „Argentina Oro 2008“ (Argentinien Gold 2008) sind offenbar nicht ohne Folgen geblieben. Beide Kammern des Parlamentes beschlossen wenig später ein Gesetz zum Schutz der Gletscher. Präsidentin Fernandez de Kirchner kassierte es jedoch postwendend mit einem Veto per Dekret.

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