Kolumbien | Nummer 368 - Februar 2005

Grenzenlose Terroristenjagd

Venezuelas Präsident Chávez zieht nach Entführungsfall Botschafter aus Kolumbien ab

Seit die kolumbianische Regierung nach wochenlangen Dementis die Bezahlung von Kopfgeldjägern zur Entführung des „Außenministers“ der FARC zugegeben hat, ist das Verhältnis zwischen Caracas und Bogotá angespannter denn je. Gleichzeitig legen Augenzeugenberichte nahe, dass Einheiten der Sicherheitspolizei beider Staaten an der Aktion beteiligt waren.

Tommy Ramm

Der Kampf des kolumbianischen Präsidenten Uribe gegen die Guerilla kennt keine Grenzen. Am 13. Dezember ließ die kolumbianische Polizei den „Außenminister“ der marxistischen FARC-Guerilla Rodrigo Granda verhaften. Nicht auf eigenem Territorium, sondern in der venezolanischen Hauptstadt Caracas. Ein Vorfall, der zu einer ausgewachsenen Krise zwischen beiden Ländern geführt hat. Venezuelas Präsident Hugo Chávez zog am 14. Januar seinen Botschafter aus Bogotá ab, einen Tag später folgte eine kurzzeitige Schließung der Grenzübergänge zum Nachbarland. Chávez kündigte zuletzt auch alle ökonomischen Beziehungen auf und forderte eine offizielle Entschuldigung Uribes. Nachdem dieser nicht bereit war, sich zu entschuldigen und in US-Manier die Rechtmäßigkeit internationaler Terrorbekämpfung reklamierte, ist die Verbesserung der strapazierten Beziehungen beider Länder zum Stillstand gekommen.

Kopfgeldjäger oder Polizeiaktion

Nach der Festnahme des an die USA ausgelieferten „Simón Trinidad“ gab die kolumbianische Polizei einen weiteren Durchbruch im Kampf gegen die FARC-Guerilla bekannt. Rodrigo Granda, der jahrelang die Rebellen im Ausland vertreten hatte, wurde den Medien in Handschellen präsentiert. Nur wenige Tage später wurden Zeugenaussagen laut, die auf eine Festnahme bzw. Entführung in Caracas deuteten. Zunächst beharrte der kolumbianische Verteidigungsminister Jorge Alberto Uribe noch auf der Version einer Festnahme in der kolumbianischen Grenzstadt Cucuta, während Präsident Alvaro Uribe Schweigen bewahrte. Doch ab dem 11. Januar war der Schwindel so offensichtlich, dass zumindest ein Teil der Umstände von der kolumbianischen Regierung eingeräumt wurde.
Demnach habe sie eine Gruppe von Kopfgeldjägern mit der Ergreifung des Guerilleros beauftragt. Diese verschleppten Granda, der sich in einem Café aufhielt, in einem Jeep und lieferten ihn an der Grenze an die kolumbianischen Behörden aus. Sehr wahrscheinlich scheint indes auch die direkte Beteiligung der kolumbianischen Sicherheitspolizei (DAS) sowie entsprechender venezolanischer Polizeieinheiten (DIZIP). Einseitig wird den Vorwürfen nachgegangen, was bisher zur Verhaftung von acht venezolanischen Offizieren geführt hat.

„Souveränität Venezuelas verletzt“

Die Reaktionen aus Caracas nehmen seitdem an Schärfe zu. Man zieht Vergleiche zu den ‘Verhaftungsmethoden’ südamerikanischer Diktaturen. „Kolumbien hat die Souveränität Venezuelas verletzt“, so die Anschuldigung des venezolanischen Vizepräsidenten José Rangel. In einer kurzen und trockenen Antwort legitimierte die Uribe-Regierung am 14. Januar ihr Vorgehen mit der UNO-Deklaration nach dem 11. September 2001, wonach die Mitgliedsstaaten ‘weder aktiv noch passiv’ Terroristen beherbergen dürfen. Laut dem venezolanischen Innen- und Justizminister Jesse Chacón habe Rodrigo Granda jedoch keine Vorstrafen gehabt und es habe kein Haftbefehl bei Interpol vorgelegen. Granda besaß einen venezolanischen Ausweis, den er jedoch durch gefälschte Papiere erworben hatte.
Auf den Vorwurf, dass Venezuela Terroristen Unterschlupf gewähre, reagierte Präsident Chávez mit dem Hinweis darauf, dass in Kolumbien venezolanische Straftäter leben. Pedro Carmona, der am 11. April 2002 kurzzeitig die Macht nach einem Staatsstreich gegen Chávez übernahm, jedoch nur zwei Tage später wieder aus dem Amt gejagt wurde, findet bis heute in Kolumbien Asyl. „Wenn solche Personen Venezuela betreten, verhaften wir sie, aber niemals werden wir die Souveränität eines anderen Landes verletzen. Man kann Verbrechen nicht mit Verbrechen bekämpfen“, so Chávez in Richtung Bogotá.
Seit Jahren herrscht zwischen Kolumbien und Venezuela ein spannungsreiches diplomatisches Verhältnis. Bogotá hat der linksorientierten Chávez-Regierung mehrfach vorgeworfen, Guerillagruppen auf eigenem Territorium zu tolerieren. Eine Anschuldigung, die der venezolanische Präsident weit von sich weist. „Ich bin eine ehrenwerte Person. Niemals werde ich eine subversive Gruppe unterstützen, die eine demokratische Regierung bekämpft“, versicherte er erst im November dem kolumbianischen Amtsinhaber Uribe auf einem Wirtschaftstreffen.

USA geben Uribe Rückendeckung

Für Chávez ungewöhnlich: Es sind Wochen vergangen, bis die venezolanische Regierung ihren Vorwurf der Entführung gegenüber Kolumbien formulierte. Dem Vorfall war eine Phase der Annäherung der beiden Länder, vor allem in Wirtschaftsfragen, vorausgegangen. Im November unterzeichneten beide Staaten den Bau einer Gaspipeline und Chávez distanzierte sich öffentlich von den kolumbianischen Guerillagruppen. „Kein Zweifel: Hugo Chávez ist ein anderer Präsident als wir ihn bisher kennen“, konstatierte das kolumbianische Wirtschaftsmagazin Portafolio. Dass Caracas nach anfänglichem Zögern nun die Untersuchung der Ereignisse vorantreibt, sei laut der Analystin Valentina Lares auf den innenpolitischen Druck zurückzuführen. Chávez-nahe und radikale venezolanische Gruppen wie Tupamaro haben öffentliche Erklärungen gefordert, denn die Zurückhaltung des Amtsinhabers deute auf eine Distanzierung zu den bolivarianischen Bewegungen hin, nur um die Beziehungen mit dem Nachbarland nicht zu beeinträchtigen.
Ein weiterer Auslöser für den Umschwung in Caracas könnte die mögliche Verwicklung von CIA-Agenten in die Entführung gewesen sein, auf die Innenminister Chacon hinwies. Diese hätten die Operation gemeinsam mit Vertretern der kolumbianischen Polizei geleitet. Washington, das sich durch seinen Botschafter William Wood in Bogotá wie zu erwarten „100-prozentig“ hinter Uribe stellte, fordert von Chávez eine offizielle Ächtung der Guerillagruppen als terroristische Organisationen. „Erstmals und wahrscheinlich zum letzten Mal vertreten wir die gleiche These wie die FARC in ihrer Deklaration vom 30. Dezember, dass sich die venezolanische Regierung in ihrer Haltung entscheiden muss“, so Wood. Um das diplomatische Gerangel zu lösen, aber gleichzeitig den Entscheidungsdruck auf die venezolanische Regierung zu erhöhen, schlug Uribe eine Debatte zur Terroristenbekämpfung zwischen allen Staatschefs des Kontinents vor. Das Kalkül: eine Legitimierung der Entführung und Kopfgeldpolitik, die Chávez als „Gesetz des Wilden Westens“ gebrandmarkt hatte und eine Verpflichtung Venezuelas zum Kampf gegen die Guerilla.

Eingeschränkter politischer Spielraum

Für die FARC-Guerilla bedeutet die Festnahme von Granda einen weiteren Schlag gegen ihre internationale politische Entfaltung. FARC-Vertreter, die sich in der Vergangenheit Gehör auf internationalen Foren verschaffen konnten, sind auf Grund Millionen schwerer Kopfgelder untergetaucht, um der Gefahr einer Verhaftung zu entkommen. Im April 2002 schloss Mexiko auf Druck Bogotás ein Büro, das jahrelang der politischen Arbeit der FARC diente. Jairo Lesmes Bulla, der für die politische Arbeit der FARC im Süden des Kontinents zuständig war, zog sich in den Neunziger Jahren in die kolumbianischen Berge zurück, nachdem die Menem-Regierung den Spielraum in Buenos Aires immer mehr eingeschränkt hatte. Um die Möglichkeit zu wahren, öffentlich zu arbeiten, konnten die FARC bisher auf die Unterstützung von Mitgliedern der kommunistischen Partei oder der in den achtziger Jahren durch Mordanschläge ausradierten Unión Patriotica zurückgreifen, die sich für die Ziele der Guerilla engagierten. Diesen Diplomaten der Guerilla konnte bisher nur die international nicht strafbare Rebellion vorgeworfen werden. Rodrigo Granda war einer von ihnen.

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