Nummer 359 - Mai 2004 | Presse

Grünes Licht für neue Zeitung

LateinamerikanerInnen in Berlin können deutsche Nachrichten auf Spanisch lesen

Mit über 6.500 EinwohnerInnen lateinamerikanischer Herkunft lebt in Berlin die größte Gruppe von LateiamerikanerInnen in Deutschland. Obwohl sie im Vergleich zu den 120.000 TürkInnen eine kleine Community bilden, sind LateinamerikanerInnen im Stadtbild sehr präsent. Durch zahlreiche Restaurants oder Aktivitäten in Musik, Kunst, Theater oder Literatur haben sie das kulturelle Leben der Stadt geprägt. In den 70er Jahren emigrierten mehrere Tausend LateinamerikanerInnen auf der Flucht vor Verfolgung und Gewalt durch die Militärregime in ihren Heimatländern nach Berlin. Nach dem Militärputsch 1973 vorwiegend aus Chile. Es folgten BrasilianerInnen, ArgentinierInnen und PeruanerInnen. ChilenInnen bildeten in den 70ern auch in Ost-Berlin die größte lateinamerikanische Gruppe, wo sie auf viele Kubaner trafen, die dort den Arbeitskräftemangel augleichen sollten. Seit März erscheint in Berlin die Monatszeitung „Luz Verde. Berlín auf Spanisch.“ Sie soll spanisch- und portugiesischsprachige Menschen aus Europa und Lateinamerika ansprechen, die in Berlin leben. Die LN sprachen mit dem Herausgeber Dirk Rüger.

Tammo Grabbert

Dirk Rüger, Du bist einer der Herausgeber der Zeitung „Luz Verde“. Warum diese Zeitung, warum jetzt und wer hatte die Idee dazu?

Eine spanischsprachige Zeitung für Migrantinnen und Migranten aus Spanien und Lateinamerika, die über Dinge hier in Deutschland informiert, gab es in Berlin bisher nicht. Warum jetzt? Das war zum Teil Zufall. Meine Frau und ich waren vorher in Argentinien und sind jetzt wieder seit sechs Jahren in Berlin. In diesen Jahren haben wir angefangen, uns mit den Lebensumständen von Migranten zu beschäftigen. Zum Teil aufgrund von eigenen Erfahrungen, da meine Frau Argentinierin ist. Ich selbst habe festgestellt, dass viele Deutsche die Umstände von Migranten gar nicht kennen. Wer noch nie bei der Ausländerbehörde war, weiß nicht, was ein Gang dorthin bedeutet.

Im Logo der Zeitung ist eine Ampel, die auf Grün steht: „Luz Verde“. Warum trägt die Zeitung diesen Namen?

Mit dem Logo und dem Namen ist der freie Zugang zu Informationen gemeint. Andererseits wollten wir einen positiven Namen haben und so ist das auch aufgenommen worden, da Grün als Farbe der Hoffnung und Licht positiv besetzt sind. Der Untertitel „Berlín auf Spanisch“ ist ein wenig ironisch gemeint, manches kommt uns doch hier selbst spanisch vor.

Für wen wird diese Zeitung gemacht?

Für Menschen, die aus dem spanischsprachigen Kulturraum kommen, also großenteils nicht in Deutschland aufgewachsen sind, aber prinzipiell für jeden, der Spanisch kann. Allerdings auch für portugiesischsprachige Menschen. Der portugiesische Anteil beträgt rund 10 Prozent. Es gibt eine feste Rubrik mit einem Kolumnisten, der über Sport schreibt, und zwar immer auf Portugiesisch. Wir versuchen in jede Ausgabe noch mindestens einen weiteren Artikel zu setzen. In der April-Ausgabe ist ein Interview mit einem Mitarbeiter des brasilianischen Tourismusministeriums auf Portugiesisch drin. Es geht aber vor allem um Nachrichten von denen wir denken, dass sie für Migranten interessant sind. Aber es geht auch um aktuelle Themen und Begriffe, beispielsweise die Agenda 2010. Wir wollen den Leuten diese Begriffe erklären und ihnen die Hintergründe aufzeigen und erläutern. Ein konzeptioneller Schwerpunkt ist Informationen zu liefern die Ausländer generell vor scheinbar unlösbare Probleme stellen, wie zum Beipiel Öffnungszeiten von Ämtern, oder wo ich die entsprechende Person anrufen kann.

Wie war die Resonanz auf die erste Ausgabe?

Die Resonanz war durchweg positiv. Einerseits von Repräsentanten verschiedener Institutionen, wie beispielweise des chilenischen Botschafters. Andererseits von Leuten, die froh sind, jetzt plötzlich ein Medium zu haben, wo sie sich informieren, und auch untereinander in Kontakt treten können.

Woher kommen die Autoren?

Wir achten darauf, dass viele verschiedene Länder in der Redaktion repräsentiert sind. Das sind Leute aus Spanien oder auch Brasilien, daher haben wir den kleinen Teil Portugiesisch dabei. Und es sind auch Deutsche, die fast alle einen Bezug zur spanischsprachigen Kultur haben.
Wie sieht Euer Finanzierungskonzept aus?
Wir haben das Projekt aus eigener Tasche vorfinanziert und die Idee ist, dass es sich hauptsächlich durch Anzeigen tragen soll. Ab der nächsten Ausgabe werden wir die Zeitung für 1,50 Euro verkaufen. Da es eine Monatszeitung ist, denken wir, dass das nicht zu hoch gegriffen ist. Im Moment halten sich die Werbekunden noch etwas zurück. Aber zumindest scheint eine Bereitschaft da zu sein, die Zeitung zu kaufen. Wir haben jetzt eine Auflage von 5.000 Stück, wissen aber noch nicht, ob vielleicht 10.000 sie haben wollen.

Wo bekommt man die Zeitung?

In der aktuellen Ausgabe ist eine kleine Liste, wo man die Zeitung kaufen kann. Was die einzelnen Innenstadtbezirke angeht, gibt es bis jetzt mindestens einen Ort, an dem man sie wird kaufen können. Wer sie abonniert, bekommt sie in Berlin ohne Portokosten nach Hause geliefert.
Laut Berliner Senat leben rund 6.500 Lateinamerikaner offiziell in Berlin.

Kannst Du einschätzen, wie groß die lateinamerikanische Community in Berlin wirklich ist?

Wir gehen von mindestens 30.000 Portugiesisch und Spanisch sprechenden Menschen in Berlin aus. Gerade im Zuge der argentinischen Wirtschaftskrise gab es in den letzten Jahren zahlreiche EmigrantInnen, von denen viele mit spanischen oder italienischen Pässen nach Europa gekommen sind. Diese tauchen in der lateinamerikanischen Bevölkerungszahl natürlich nicht auf. Dann gibt es viele Leute, die in den 70er Jahren vor Militärdiktaturen geflüchtet sind und die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen haben. Im Moment kommen Lateinamerikaner aus anderen Gründen nach Deutschland. Mehr Studenten oder Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen, und dementsprechend einen anderen Aufenthaltsstatus haben.

Gibt es bestimmte Gründe nach Berlin zu kommen und gibt es anderswo ähnlich große lateinamerikanische Communities in Deutschland?

Ich kenne viele Leute, die sagen, Berlin ist die weltoffenste Stadt Deutschlands. Natürlich sprechen im Moment wirtschaftliche Gründe dagegegen, nach Berlin zu gehen, doch wer zum ersten Mal nach Deutschland kommt und nicht so richtig weiß, wohin, der orientiert sich erst einmal an einer Großstadt oder an seinen persönlichen Kontakten, so es ist oft Zufall, wo die Leute hinkommen. Aber Berlin ist international bekannt für den Mix aus vielen verschiedenen Kulturen. Relativ große Communities gibt es auch in Frankfurt, Hamburg und München. Aufgrund seiner Struktur ist Berlin aber sehr attraktiv. Gerade Studienanfänger richten sich nach dem Angebot. Die größte Hürde ist oft die deutsche Sprache, die im Verhältnis zu anderen Sprachen verhältnismäßig schwer zu erlernen ist. In der Diskussion um deutsche Sprachkenntnisse bei Ausländern wird dies oft unterschlagen und den Ausländern unterstellt, sie seien sprachfaul.

Wie ist das Verhältnis der Latinos in Berlin untereinander?

Es kommt vor, dass unterschiedliche Gruppen miteinander zerstritten sind, auch innerhalb der gleichen Ländercommunity. In der chilenischen Community beispielsweise zwischen den ExilantInnen, die eine Rückkehr planen und denjenigen, bei denen eine Rückkehr nicht mehr im Lebenskonzept vorhanden ist. In der kubanischen Community ist das auch so, da gibt es Leute, die mit Fidel Castro einverstanden sind und solche, die ihm kritisch gegenüber stehen.

Was machen Lateinamerikaner beruflich und privat in Berlin?

Das Cliché ist, sie sind nur in Latinolocations unterwegs und tanzen Salsa. Aber viele haben ganz normale Jobs oder in Deutschland studiert. Oft ist ihr Problem, dass sie als „Lateinamerikaner“ arbeiten müssen, weil ihre berufliche Ausbildung oder ihr Studium aus dem Heimatland in Deutschland nicht anerkannt wird und es damit endet, dass sie Spanisch unterrichten oder etwas mit lateinamerikanischer Literatur machen oder den Lateinamerikaner in der Daily Soap spielen. Man kann dann als DJ nicht einfachen House auflegen kann, sondern Latin-House. Allerdings vereinfacht das manches Mal den Einstieg.

Was man von ethnischen Communities in einer Stadt wahrnimmt, sind häufig die Restaurants und Imbissbetriebe. Ist es richtig, dass die meisten Lateinamerikaner in Berlin in diesem Gewerbe tätig sind?

Ein großer Teil, ja. Es kommt jedoch darauf an, wie die Leute hierhergekommen sind. Diejenigen, die hier studiert haben, oder ihre Ausbildung gemacht haben, sind entweder in einem Betrieb angestellt wie andere Deutsche auch, oder genauso arbeitslos. Es gibt viele, die nach dem Studium hier geblieben sind und jetzt als Ärzte oder Anwälte arbeiten. Das wird oft verkannt. Für die Leute ohne Ausbildung bleibt oft nur der Weg in die Selbständigkeit und für viele ist es dann naheliegend, in den Gastronomie- oder Eventbereich zu gehen.

Engagieren sich Lateinamerikaner bezüglich politischer Ereignisse in ihrem Heimatland, oder um ihre Situation hier in Berlin zu verbessern, oder auch um Neuankömmlingen zu helfen?

Solidaritätsbekundungen zu Lateinamerika aus der lateinamerikanischen Bevölkerung selber kommen weniger als aus deutschen Solidaritätsgruppierungen. Es gibt sicherlich mehr Engagement gegenüber der normalen Alltagsproblematik. Meinetwegen Gruppen, die frauenspezifisch arbeiten oder sich mit Rassismus beschäftigen oder auch nur, um sich mal auszusprechen. Das politische Engagement nimmt parallel zur Abnahme der Migration aus politischen Motiven ab.
Wie werden lateinamerikanische Migranten hier aufgenommen?
Ich glaube nicht, dass es eine besonders negative Behandlung gibt. Es gibt die „normalen“ Probleme von Ausländern, denn für Ausländerfeinde spielt die Herkunft keine Rolle. Auf der anderen Seite scheint es von Vorteil zu sein, als Lateinamerikaner nach Deutschland zu kommen, denn unter Deutschen gibt es ein großes Interesse an lateinamerikanischer Kultur und der Sprache.

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